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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Karikaturenstreit II
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Karikaturenstreit II

Hintergrund:
Bilderverbote wie sie die Islamisten brutal durchsetzen sind nichts Neues. Und auch früher schon reagierten viele im Westen mit Anpassung.

 

Die zwei Reiche

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Erschienen am 17.02.2006 in DIE WELT

Es waren einmal zwei Weltteile. In dem einen herrschten Fanatiker und Despoten. Sie pflegten einen Kult der Gewalt, unterdrückten jeglichen Ungehorsam und hetzten schon Kinder gegen Fremde und vermeintliche Feinde auf. Denn anderen Teil der Welt verachteten sie als dekadent, ohne tiefe Überzeugung und dem Untergang geweiht. Die Machthaber verfügten strikte Bilderverbote. So durfte der bärtige Prophet niemals gezeigt werde, der ihr Reich einst mit Feuer und Schwert gegründet hatte. Nach und nach wurden das Abbilden von immer mehr Menschen und immer mehr Ereignissen zensiert. Auch viele Bücher und Lieder waren verboten. Sogar einzelne unliebsame Wörter gerieten auf den Index der Herrschenden und ihrer eifernden Demagogen. Jeder, der sie in den Mund nahm, begab sich in höchste Gefahr. Das Reich ist untergegangen. Es währte nicht einmal ein Dreivierteljahrhundert.

Spätestens jetzt werden die Älteren unter unseren Lesern ahnen, dass dies kein Märchen ist, sondern ein Stück aus einer Wirklichkeit, die gestern noch Gegenwart war. Der Prophet der nicht abgebildet und dessen Name nicht genannt werden durfte, war der von Stalin verstoßene Leo Trotzki, Organisator und militärischer Führer der Oktoberrevolution. Im Machtbereich des Kommunismus konnten Bilder oder Worte lebensgefährlich sein.

Unsere Geschichte geht weiter: In der Zeit, als das Reich groß und mächtig war, stritt man sich im freien Teil der Welt, wie man mit den Feinden der Freiheit umgehen sollte. Zum Beispiel mit dem Verbot den verstoßenen Propheten abzubilden. Die einen sagten: Was ist unser Freiheit wert, wenn wir uns nach den Gepflogenheiten der Unfreien richten? Die anderen sagten: Was geht uns dieser verstoßene Prophet an? Wenn sie beschlossen haben ihn nicht abzubilden, müssen wir sie doch nicht provozieren, indem wir es demonstrativ tun. Und so versuchten sie die Herrscher des Ostens nicht unnötig zu reizen. Die aber ließen sich nicht beschwichtigen. Sie interpretierten Rücksicht und Höflichkeit als Zurückweichen vor ihrer Gewalt. Doch am Ende erwies sich ihre Macht als morsch und von Würmern zerfressen. Ende der Geschichte.

Es ist noch nicht allzu lange her, da versuchten die sowjetischen Machthaber ihre Zensur durch Drohungen und Einflussnahme auf den Westen auszudehnen. Nicht ohne Erfolg. Das war nicht nur in der brutalen Frühzeit des Stalinismus so, als kein Staat den Exilanten Trotzki aufnehmen wollte, aus Angst man könnte die Herren im Kreml verärgern. Noch in den achtziger Jahren übte Moskau massiven Druck aus, als in Jugoslawien ein Stalin-kritisches Theaterstück aufgeführt wurde. Die Bilder, die die "Glawlit" (Zentralverwaltung für Literatur und Verlagswesen) manipulierte fanden Eingang in westliche Geschichtswerke und sogar in Schulbücher - ohne den Hinweis, dass es sich um Fälschungen handelt. Westliche Verlage vermieden in Reiseführern vorsorgliche unliebsame Fotos, damit sie den Touristen nicht von der Grenzpolizei abgenommen wurden. Zu Buchmessen im Ostblock nahmen die meisten Verlagshäuser von vornherein keine kritische Literatur mit. Bei Film-Koproduktionen akzeptierten die westlichen Partner die Geschichtsfälschungen der sowjetischen Zensur. Und wenn sich friedliebende Intellektuelle aus Ost und West trafen, vermieden sie unschöne Worte wie "Schauprozess" oder "Schießbefehl".

Eine Minderheit von Intellektuellen und Journalisten wollten sich nicht an die Regeln der Freiheitsfeinde anpassen. Sie weigerten sich Diktaturen Demokratie zu nennen, wie es die Herrscher in Moskau und Ost-Berlin verlangten. Diese Haltung galt vielen als unflexibel, kompromisslos und Gefahr für den Frieden. Warum waren diese Hitzköpfe nur so stur und verweigerten der fremden Kultur ein bisschen Respekt? Nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Reiches wurden ihnen für kurze Zeit applaudiert. Dann vergaß man sie wieder.