(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Öffentlicher Dienst
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607030028/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2006-03-17a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Öffentlicher Dienst

Hintergrund:
Deutschland sitzen hauptsächlich Beamte und Funktionäre im Parlament. Der produktive Sektor ist an Entscheidungen kaum noch beteiligt.

 

Implosion statt Explosion

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Erschienen am 17.03.2006 in DIE WELT

Revolutionen laufen nach populärer Vorstellung meist nach einem ähnlichen Drehbuch ab. Und das geht in etwa so: Ein kleine Minderheit dominiert den Staat und lebt auf Kosten der anderen, bis der Zorn der großen Masse explodiert und die Herrschenden davonjagt. In Deutschland sehen wir uns heute einem umgekehrten Phänomen gegenüber. Die große Mehrheit lebt auf Kosten einer Minderheit. Nur noch ein Drittel der Bürger dieses Landes gehört dem produktiven Sektor an und erwirtschaftet jene Mittel, von denen alle anderen leben. Aus ihrer Produktivkraft werden Renten, Krankenkassen, die Bildung, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und auch die Gehälter für den öffentlichen Dienst generiert. Die Mehrheit wird sich dagegen kaum erheben - und die Minderheit hat keine Chance. Deshalb deutet derzeit nichts auf eine Explosion hin - sondern alles auf eine Implosion. Um es mit Häuptling Seattle zu sagen: Erst wenn alle Geld vom Staat kriegen, werden sie merken, dass man es niemandem mehr aus der Tasche ziehen kann.

Arbeiter und Angestellte in der Privatwirtschaft, Freiberufler und Unternehmer sind in Deutschland längst Exoten. Dafür genügt ein Blick in den Bundestag: Etwa die Hälfte der Abgeordneten stammen aus dem öffentlichen Dienst, zusammen mit Berufspolitikern und Verbandsfunktionären stellen sie zwei Drittel der deutschen Volksvertreter. Sie formieren faktisch eine Staatspartei mit absoluter Mehrheit, die eigentlichen Parteien wie CDU oder SPD beschreiben nur noch verschiedene Flügel. Quereinsteiger ohne den vertrauten Stallgeruch von Behörden, Ämtern und Funktionärsgremien werden abgestoßen wie von einem Immunsystem.

Die Schlagzeilen der letzten Tage spiegeln diese Entwicklung sehr schön wieder: Die Funktionäre des öffentlichen Dienstes streiten mit den Funktionären der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes um 18 Minuten täglich - und dies seit über 50 000 Minuten. Sie haben keine Eile, denn die Zeche wird in jedem Falle der produktive Sektor - und somit jemand anderes bezahlen.

Ähnliches gilt für die avisierte Gesundheitsreform bei der nichts Tabu sein soll, außer den Privilegien der zahlreichen Funktionäre, darunter 253 Krankenkassen mit Vorständen, Verwaltungsräten und Dienstwagen. Deshalb sollen auch Freiberufler in das System gezwungen werden, schließlich muss frisches Geld her. Wobei Eile geboten ist, Freiberufler geraten allmählich auf die rote Liste bedrohter Spezies.

Auch andernorts werden funktionärsfreie Zonen nicht mehr geduldet. 91 Prozent der Mitarbeiter des Software-Herstellers SAP lehnten einen Betriebsrat ab, weshalb dieser von der Gewerkschaft per Gerichtsbeschluss eingesetzt werden soll. Ein Ball Paradox.

Der neue Subventionsbericht zeigt, wie Deutschland beim Abbau staatlich gewährter Wohltaten für gut organisierte Interessengruppen vorankommt: Nämlich gar nicht. Es wurden zwar bestehende Subventionen abgebaut, stattdessen aber umgehend andere beschlossen. Je nach Berechnung liegen sie zwischen 55 und 150 Milliarden Euro im Jahr. Die müssen ebenfalls irgendwo abkassiert werden.

Mit dem Staat verbandelte große Kapitalgesellschaften und Finanzkonzerne sind längst Teil des Systems. Dass die missglückte Arbeitsmarktreform den Namen des ehemaligen VW-Personalvorstandes Peter Hartz, trägt spricht ebenso Bände wie die Karrieren ehemaliger Politgranden. Gerhard Schröder heuerte als Lobbyist bei Gazprom an, sein Wirtschaftsminister Werner Müller leitet die Ruhrgas AG, Finanz-Staatssekretär Cajo Koch-Weser findet bei der Deutschen Bank Unterschlupf. Der grüne Rezzo Schlauch avancierte zum Berater des Atomkraftwerk-Betreibers Energie-Baden-Württemberg. Die immer engere Verflechtung von Staat und Konzernen solle über den Staatsmonopolkapitalismus (Stamokap) ganz automatisch in den Sozialismus führen, ersehnte es einst eine Fraktion der Jungsozialisten. Ihr Wunsch ist inzwischen zumindest teilweise Wirklichkeit geworden - nur anders als gedacht.