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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Verschwörungstheoretiker
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Verschwörungstheoretiker

Hintergrund:
In großen Anzeigen erklärt eine Gruppe von Friedensaktivisten, dass die USA hinter allen Übeln dieser Welt stecken.

 

Gutbürgerlicher Hass

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Erschienen am 23.06.2006 in DIE WELT

Die Vereinigten Staaten haben den Balkan, Afghanistan und den Irak grundlos mit Krieg überzogen. Sie hetzen uns gegen die muslimische Welt auf. Völkermord gehört ebenso zum Programm der US-Regierung wie die Errichtung von Konzentrationslagern. Nicht mal die eigene Zivilbevölkerung wird geschont. Um den Überfall auf Afghanistan zu rechtfertigen, hat das Regime in Washington die Anschläge vom 11. September 2001 arrangiert. Weil ihr skrupelloses Militär Uranmunition benutzt, sind bereits ganze Landstriche verstrahlt. Dadurch wüten Krebs und Leukämie und eine riesige Zahl von Babys wird mit noch nie da gewesenen Missbildungen zur Welt gebracht. Damit nicht genug. Noch während der Fußballweltmeisterschaft wollen diese beispiellosen Zyniker ein schreckliches Attentat inszenieren und muslimischen Widerstandskämpfern in die Schuhe schieben. Ihr Kalkül hinter diesem neuerlichen Blutbad: Das bisher friedliche Deutschland soll in den nächsten Waffengang gezwungen werden. Geplant ist ein Atomkrieg gegen den Iran, der aller Voraussicht nach den halben Globus verstrahlen wird.

Diese Darstellung des Weltgeschehens lasen wir vor genau einer Woche in einer großformatigen Anzeige, die in dieser und anderen Zeitungen erschien. Die geschilderten Zusammenhänge wurden zwar nicht eindeutig behauptet, jedoch ziemlich brachial insinuiert - mit vielen Konjunktive und weichen Formulierungen wie "aus Wirtschaftskreisen ist zu hören".

Überraschend war die Handlungsempfehlung am Schluss. Bei einer so ungeheuerlichen Enthüllung hätte man ja erwarten können, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, sofort aus der NATO auszutreten und die diplomatischen Beziehungen zu den USA abzubrechen. Oder dass man die Leser aufruft, sich gemeinsam mit den irakischen und afghanischen Widerstandshelden gegen den globalen Terror Amerikas zu wehren. Stattdessen stand da: "Reichen wir die Friedenshand, begrenzen wir den Schaden und beginnen, das angerichtete Leid zu lindern." Eingerahmt wurde die friedliche Botschaft von Zitaten des vorigen Papstes und des griechisch-melkitischen Alt-Patriarchen von Jerusalem.

Nun könnte man meinen, wen schert es, wenn ein paar Verschwörungstheoretiker ihr Geld dafür ausgeben, die abgestandenen Traktate von Bröckers, von Bülow und Co. wieder aufzuwärmen? Man liest die ersten Absätze, hebt kurz eine Augenbraue und wendet sich wichtigeren Themen zu. Doch das Pamphlet ist mehr als ein Bekennerschreiben politisierter Paranoiker. Es beschreibt den traurigen Geisteszustand eines Milieus, das in Deutschland weit verbreitet und einflussreich ist. Die Unterzeichner stammen aus dem christlich-pazifistisch-ökologistischen Bildungsbürgertum. Es sind Professoren und Doktoren, Wissenschaftler, Ökonomen, Ärzte, Ingeneure und Medienleute, darunter der populäre Sänger Reinhard Mey. Nicht der Rand der Gesellschaft, sondern eher deren Mitte. Um Anhänger dieser Weltanschauung kennen zulernen muss man nicht in dunkle Sektenkreise hineintauchen. Es reicht der Besuch eines kirchlichen Gemeindeabends oder des Stadttheaters.

Da es sich unpolitisch und bieder gibt, wird dieses Milieu häufig unterschätzt. Doch es ist eine subkutane Massenbewegung, deren Wurzeln zu den Lebensreformern des frühen 20. Jahrhunderts reichen. Sie suchten Erleuchtung in Meditation, Vegetarismus und Esoterik und schwärmten für ein kernig, bäuerliches Germanentum. Sie verachteten die Oberflächlichkeit westlicher Zivilisation, waren anti-liberal und antisemitisch. Vieles davon wurde später von den Nationalsozialisten aufgegriffen und kanalisiert. Nach dem Krieg überwinterte dieser Geist in linksprotestantischen und anthroposophischen Kreisen, um in der Alternativbewegung der späten siebziger Jahre eine fröhliche Auferstehung zu feiern.

Ihre stets betont Friedensliebe wirkt angesichts des apokalyptisch inszenierten Feindbildes verkrampft und unecht: Aus jeder Zeile spricht mühsam unterdrückte Aggressivität. Wie wackelig die pazifistische Fassade ist, das den Hass bemäntelt, zeigt die Geschichte des Jerusalemer Patriarchen, dessen Zitat die Anzeige schmückte. Er wurde in den siebziger Jahren beim Waffenschmuggeln für Terroristen erwischt.