(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Politische Diffamierung
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024401/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2003-11-26a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Politische Diffamierung

Hintergrund:
Die Kategorie "rechts" wird mittlerweile auf alles angewendet, was gegen den vorherrschenden Zeitgeist verstößt.

 

Linksherum im Kreise

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Wer einmal mit dem Kinderkarussell links herum gefahren ist, der weiß, dass alles außerhalb dieses Kreises rechts liegt. So läuft das auch in der Politik. In Deutschland dreht sich ein Karussell aus Lichterketten, Pace-Fahnen und Palästinensertüchern links herum im Kreise. Wer da nicht aufspringt, so viel ist sonnenklar, muss zwangsläufig rechts stehen. Das Karussell ist bestens besetzt. Politiker, Gewerkschaften, Verbände und Nicht-Regierungsorganisationen buhlen um die besten Plätze. Besonders beliebt ist die rote Feuerwehr, die sich bimmelnd im Kreis dreht und deren Besatzung ständig ruft: Gefahr von rechts, Gefahr von rechts! Denn rechts, da lauern die Brandstifter.

Rechts ist in Deutschland keine salonfähige Kategorie des politischen Wettbewerbs mehr. Rechts ist bestenfalls dumm, aber eigentlich kriminell. Der Feind steht rechts. Und Feinde sind überall. Rechts sind Skinheads und Neonazis ("Die Polizei stoppte den Aufmarsch der Rechten"). Rechts sind aber auch alle, die regierungsfreundlichen Redakteuren und Moderatoren nicht in den Kram passen und ihren Gewissheiten widersprechen: Konservative Abtreibungsgegner, liberale Ökonomen, Wissenschaftler, die es wagen an der Klimakatastrophe oder dem drohenden ökologischen Weltuntergang zu zweifeln.

Wer die Befreiung des Irak richtig findet, gilt heute als rechts, ebenso wie einer der Verständnis dafür hat, dass Israelis sich bedroht fühlen. Auch in einem Großteil der Medien gelten Gedanken, die außerhalb des linken Kreises gedacht werden, automatisch als rechts. Als beispielsweise der junge Chefredakteur des bis dahin behäbigen schweizer Wochenmagazins "Die Weltwoche" einen frechen und aufgeweckten liberalen Kurs einschlug, missfiel dies den Politkommissaren der Konkurrenz. " Rechts! Schwenk! Marsch!" (Der Tagesspiegel) tönte es aus schweizer und deutschen Feuilletons. Tatütata, die Feuerwehr ist da.

Rechts ist irgendwie ganz arg finster und echt gemein. Und - das ist der zweite Hauptsatz der neuen Definitionsmacht - die Rechten sind alle gleich. Es ist völlig egal, ob jemand Ausländerhasser oder Atomkraftbefürworter, Marktwirtschaftler oder Nazi ist. Es gibt kein rechtextrem, rechtsradikal, rechtskonservativ, rechtsliberal mehr. Es gibt nur noch rechts. Das Allensbacher Institut für Demoskopie hat kürzlich ermittelt, wie erfolgreich der Begriff "rechts" inzwischen diskreditiert wurde. Wenn Bundesbürger das Wort "rechts" hören, dann denken sie vor allem an "radikal" (71 Prozent"), "gewalttätig" (67 Prozent) "Bedrohung" (63 Prozent) und "Dummheit" (50 Prozent).

Die Selbstgerechten vom "Aufstand der Anständigen" oder vom "Rock gegen rechts" haben so gründliche Arbeit geleistet, dass selbst Politiker der Unionsparteien das Etikett "rechts" unauffällig an der Garderobe abgeben. Nun könnte man darauf hinweisen, das "links" im historischen Zusammenhang den Wert der Gleichheit in den Vordergrund stellt, während man "rechts" individuelle, soziale und kulturelle Eigentümlichkeiten bewahrt sehen möchte. Es geht also nicht um gut und böse, sondern um konkurrierende Weltsichten. Doch differenzierte Betrachtungsweisen gefährden die moralische Lufthoheit. Man hat es lieber einfach: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Und wer gegen uns ist, ist rechts.

Dies führt zu einem Déjà-vu-Erlebnis, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Wer in den sechziger und siebziger Jahren jung und links war, bekam stets den dummen Spruch zu hören: "Geh' doch nach drüben!" Er konterte zumeist mit einem kleinen Vortrag über den Unterschied zwischen realen und wahren Sozialismus, führte geduldig aus, dass Stalin tausende aufrechter Linker ermordet hatte, Ulbricht jeden Ansatz von demokratischem Sozialismus unterdrückte. Links zu sein, so wurde der Gegner aufgeklärt, hieß keinesfalls totalitäre Regime zu rechtfertigen. Doch Differenzierung half nichts. Links war im Osten hinter der Mauer. Abmarsch, basta!

Manche von denen, die damals ihr Linkssein wortreich verteidigten, beherrschen heute Ministerien, Redaktionen und Bildungseinrichtungen. Sie besitzen die Definitionsmacht und haben bestens gelernt damit umzugehen. Jetzt können sie bestimmen, wo links und rechts, gut und böse ist. Sie sind die "Geh' doch nach drüben"-Schwätzer von heute.

 

Erschienen in Die Welt vom 26.11.2003