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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema US-Präsidenten
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

US-Präsidenten

Hintergrund:
John Kerry, Rivale von George Bush im Kampf um das Präsidentenamt, gilt als große Hoffnung europäischer Pazifisten. Seine Haltung in Sachen Irak unterscheidet sich von der des amtierenden Präsidenten jedoch allenfalls in Nuancen.

 

Transatlantische Projektionen

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Als in Moskau noch das Politbüro herrschte, gab es in der westlichen Welt Kremlastrologen. Die konnten aus dem Wuchs von Breschnjews Augenbrauen lesen, in welchem norwegischen Fjord demnächst ein Atom-U-Boot auftaucht. Solche Orakel waren beliebt, weil es ja sonst kaum Möglichkeiten gab, die sowjetische Sphinx zu ergründen.

Die Kunst der Kremlastrologie starb mit dem Gegenstand ihrer Interpretationsbemühungen aus. Doch in jüngster Zeit feiert sie Wiederauferstehung, nur dass der magische Blick der Seher und Deuter nun in die andere Richtung schweift, nach Amerika. In seinem Buch "Feindbild Amerika" schreibt der Historiker Dan Diner, dass verbreitete Vorstellungen über Amerika, oftmals "Spiegelungen eigener Phantasien" sind, "die mehr über den Sprecher und dessen Befindlichkeit Auskunft geben, als über den Gegenstand der Erregung."

Kürzlich fühlte sich Alt-Kanzler Helmut Schmidt berufen, den Chinesen (und via "Zeit" auch uns) Amerika zu erklären. "Wir können die heutige Weltlage nur verstehen," sagte er, "wenn wir die Psychose des amerikanischen Volkes nach dem 11. September verstehen. Es handelt sich um eine echte Massenpsychose, welche die Bush-Regierung ausbeutet." Wir haben die Schmidt-Regierung noch ganz gut in Erinnerung, und die psychische Befindlichkeit des deutschen Volkes in jener Zeit. Es war damals nichts Ungewöhnliches, auf dem Nachhauseweg aus der Studentenkneipe in die Mündung einer Polizei-Maschinenpistole zu blicken. Terrorangst ging um und nahm hysterische Züge an.

28 Menschen starben durch Kugeln und Bomben der RAF. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass die Zahl der durch islamistischen Terror getöteten Amerikaner das hundertfache der RAF-Opfer erreicht, weltweit sind es sogar mehr als tausendmal so viele Tote. Und die Bedrohung geht nicht von ein paar durchgeknallten Bürgersöhnen- und -töchtern aus, sondern von einer Massenbewegung, die sich in göttlicher Mission wähnt und Massenmord für legitime Form zur Durchsetzung ihrer Ziele erklärt hat. Ist es da nicht irgendwie verständlich, dass die Amerikaner etwas nervös reagieren, und dass George Bush die Gefahr ebenso entschlossen bekämpfen will wie einst ein Helmut Schmidt? Der Schmidt von heute jedoch sieht nur einen "amerikanischen Überlegenheitskomplex" und "Imperialismus" am Werk. Das sah die RAF damals auch so.

Derweil hat eine Anti-Bush-Koalition aus deutschen Chefredaktionen bereits beschlossen, wer nächster US-Präsident wird: John Kerry, der kuchengute Mann aus Massachusetts. In der Berichterstattung gewinnt man vielfach den Eindruck, Kerry sei von der deutschen Friedensbewegung aufgestellt worden. Wenn sie sich da mal nicht täuschen. Der US-Journalist Alan W. Dowd schnipselte aus Kerry-Zitaten eine Rede zusammen, die George W. Bush alle Ehre machen würde. Kostproben: "Regimewechsel war die Politik der Clinton-Regierung und es ist die jetzige Politik. Ich unterstütze diese Politik (Kerry am 11.10. 02). "Angesichts der Bedrohung können wir unsere Sicherheit nicht anderen überlassen." (Kerry am 25.08.03). "Saddam Husseins Register skrupelloser und rücksichtsloser Brüche internationaler Werte und Verhaltensregeln … ist Grund genug für die Weltgemeinschaft ihn zur Rechenschaft zu ziehen, wenn nötig mit Gewalt." (Kerry am 09.10.02). Klingt ganz schön "bushig", was?

Um Amerika besser zu verstehen, muß man sich nicht auf deutsche Sterndeuterverlassen.. Im Gegensatz zur einstigen UdSSR sind die USA eine offen Gesellschaft. Zeitungen und politische Magazine jeglicher Couleur analysieren Stimmung und Präsidentschafts-Kandiaten ununterbrochen und oft auf deutlich höherem Niveau als hierzulande. Wer da öfter mal reinschaut, ist jedenfalls gegen intellektuellem Hochmut "made in Old Europe" gewappnet.

 

Erschienen in Die Welt vom 10.03.2004