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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Terror-Deutung
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607025110/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2005-07-13a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Terror-Deutung

Hintergrund:
Die gängigen Erklärungen für den islamischen Terrorismus werden reflexhaft wiederholt und kaum noch in Frage gestellt.

 

Der Erklärungsbaukasten

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Von Anschlag zu Anschlag steigt die Gewöhnung an den Terror. Der Einsturz der Zwillingstürme hallte monatelang nach, die Bomben von Madrid etwas mehr als eine Woche. Die Londoner Attentate und ihre Folgen waren schon nach zwei Tagen auf den Titelseiten nach unten und in Nachrichtensendungen nach hinten gerutscht. Verglichen etwa mit den medialen Aufwallungen um das Ableben des Papstes war das Echo eher dezent.

Unverändert und unerschütterlich bleibt jedoch die vorherrschende Interpretation. Deren Strickmuster hat sich in vier Jahren kaum verändert. Nach einer höflichen Beteuerung des Entsetzens kommt dies: "Man muss dem Terrorismus den Boden entziehen, und der ist die Armut der Menschen in der Dritten Welt." "Den Teufel in Gestalt des Islam an die Wand zu malen, wäre eine falsche Reaktion." "Ist es vielleicht so, dass der Westen einem ungeheuren Maß an Selbstüberschätzung zum Opfer gefallen ist?" "Demokratische Politik darf Krieg nicht mit Krieg, sondern muss ihn mit der Suche nach Frieden beantworten." "Die Fackel, die immer wieder das Feuer des Terrorismus entfacht, liegt zweifelsohne im israelisch-palästinensischen Konflikt." Mit diesen fünf Satzbausteinen kann jeder Anfänger mühelos eine Talkrunde meistern. Sie stammen übrigens alle aus Kommentaren und Leserbriefen vom September 2001. Ein sechster Baustein wurde seither nachgereicht: Die Terroranschläge seien die Antwort auf das militärische Eingreifen in Afghanistans und Irak.

Der Baukasten blieb unverändert, obwohl heute jeder, der es möchte, sich sehr viel besser über Al-Qaida und Co. informieren kann, als vor dem September 2001. In etlichen Büchern wurde seither - auch auf Deutsch - die Geschichte, Weltanschauung und Ziele der islamistischen Bewegung beschrieben und analysieren. Die Texte der Anführer, Prediger und Theoretiker des Terrors sind frei erhältlich. Etwa die Werke des ägyptischen Moslembruders Said Qutb, der als Nestor des heutigen Islamismus gilt. Das Internetportal memri.de sorgt dankenswerterweise dafür, dass Artikel, Pamphlete und Predigten aus dem arabisch-islamischen Kulturkreis übersetzt und weltweit zugänglich gemacht werden.

Islamischer Totalitarismus verbirgt sich nicht hinter humanen Idealen und mitfühlender Prosa, wie es die Kommunisten taten. Seine Anhänger reden Klartext wie die Nazis. Es möchten nur viele nicht hinhören. Der Nationalsozialismus machte nie einen Hehl aus seinen unmenschlichen Zielen und brutalen Methoden. Dennoch wurde "Mein Kampf" von vielen damaligen Zeitgenossen eher metaphorisch interpretiert. Sie dachten, dass Hitler und Goebbels sich gern an drastischen Worten berauschen, und alles nicht so schlimm kommen werde. Paul Bermann hat in seinem Buch "Terror und Liberalismus" eine luzide Parallele zwischen damals und heute gezogen. Ein Teil der pazifistischen Linken Frankreichs suchte in den dreißiger Jahren unentwegt nach Begründungen, das Verhalten der Nazis verständlich zu machen. Am Ende landeten sie als Kollaborateure.

Die Islamisten verachten die Terror-Versteher Europas eher noch mehr als George W. Bush und Tony Blair. Mit der Sorry-Gesellschaft können sie schon deshalb nichts anfangen, weil es die Kategorie Pardon in ihrem Weltbild nicht gibt. Sie stehen dazu, dass es gottgefällig ist, Ungläubige zu töten, zu quälen oder zu versklaven. Sie stehen dazu, dass jedes Mittel erlaubt ist, um die Herrschaft des Islam herbeizuführen. Dass ein Teil der ungläubigen Untermenschen Gegengewalt ablehnt, und auf ein friedliches Nebeneinander mit ihnen hofft, hat in der Weltanschauung der Islamisten keinerlei Relevanz. In der U-Bahn sind alle gleich.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 13.07.2005