(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Gentechnik und Moral
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607023909/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2000-05b.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Gentechnik und Moral

Hintergrund:
Im Mai 2000 schürt die Anti-Gentechnik-Lobby Ängste in der Bevölkerung, weil versehentlich eine geringe Menge gentechnisch veränderter Raps als Saatgut nach Deutschland gelangte und dort ausgesät wurde.

 

Die seltsame Moral der Gentechnik-Gegner

von Michael Miersch

Wer rettete mehr Leben als jeder andere Mensch in der Geschichte? Wer machte es möglich, dass in Ländern wie Indien und China seit Jahrzehnten keine Hungersnot mehr ausgebrochen ist? Wer bekam 1970 den Friedensnobelpreis? Norman Borlaug.

Borlaug? Nie gehört. Kaum ein Mensch kennt den heute 86jährigen Agrarwissenschaftler aus Iowa. Borlaug ist der geistige Vater der "Grünen Revolution", jener gewaltigen Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität durch bessere Getreidesorten, die seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die globalen Ernteerträge vervielfachte.

Höchst prominent und allseits beliebt sind dagegen Organisationen wie das Worldwatch Institut oder der Club of Rome. Diese haben in den siebziger Jahren — als Borlaug gerade die Welt rettete — gewaltige Hungersnöte vorhergesagt, die Millionen Menschenleben kosten würden. In der Tradition von Malthus waren sie der festen Überzeugung, dass die Bevölkerung stets schneller wächst, als die Ernten gesteigert werden können. Borlaug hat sie alle widerlegt.

Dank der "Grünen Revolution" gibt es heute so reichlich Nahrungsmittel auf der Welt wie nie zuvor in der Geschichte. Seit 1970 hat sich die Menge pro Kopf global um über ein Viertel erhöht. Und dies trotz einer Verdopplung der Weltbevölkerung. Die Weltmarktpreise für die drei wichtigsten Nahrungspflanzen — Weizen, Reis und Mais — fielen auf einen historischen Tiefstand. Allein zwischen 1980 und 1997 stieg die globale Nahrungsmittelproduktion um 60 Prozent. Mangel an Nahrung, so die FAO, ist nicht mehr die Ursache von Hungersnöten. Regionale Hungerkatastrophen werden heute ausgelöst durch Kriege (wie derzeit in Äthiopien und Eritrea) oder die Mißwirtschaft totalitärer Regime (wie derzeit in Nordkorea).

Trotz dieses historischen Erfolges gilt die Aufmerksamkeit des Publikums in Nordamerika und Europa bis heute den Propheten des Untergangs, die seit dreißig Jahren mit ihren absurden Fehlprognosen im Licht der Öffentlichkeit stehen. Jetzt mobilisieren Lester Brown, Jeremy Rifkin, Greenpeace und Co. gegen die bevorstehende zweite "Grüne Revolution", die landwirtschaftliche Produktivitätssteigerung durch gentechnische Methoden.

Das Thema ist geschickt gewählt, weil es archaische Vergiftungsängste weckt. Zwar ist die Gentechnik in der Medizin weitgehend akzeptiert, weil fast jeder einen Bekannten hat, der die lebensrettenden Genmedikamente braucht. Dennoch grausen sich viele Menschen vor Gensoja und Genmais. Die internationale Protestindustrie weiß im Zusammenspiel mit vielen Medien diese Ängste geschickt zu schüren und setzt damit Millionen von Spendengeldern um.

Wenn sie damit erreicht, dass Menschen in Nordamerika und Europa gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen, ist dies ihr gutes Recht. Wenn sie erreicht, dass gentechnisch veränderte Produkte gekennzeichnet werden müssen, ist das ein begrüßenswerter Beitrag zu mehr Transparenz im Supermarkt. Wenn Aldi auf politischen Druck, Gentechniknahrung aus den Regalen nimmt, ist auch dies nicht weiter schlimm. Wenn Greenpeace und Co. jedoch — und das ist ihr Ziel — erreichen, dass Forschungsinstitute aus der grünen Gentechnik aussteigen, schadet das den Menschen und der Umwelt.

Nicht weil ohne Gentechnik die Menschheit verhungert, wie die Propaganda der Gentech-Konzerne tönt. Das ist Unsinn. Zumindest mittelfristig ließe sich mit konventionellen Methoden und Flächenerweiterung die Produktivität weiter steigern, und Hunger — siehe oben — hat schon lange nichts mehr mit Nahrungsknappheit zu tun. Nein, ein Stop der grünen Gentechnik wäre unverantwortlich, weil er wichtige Zukunftsoptionen zerstören würde.

Noch sind die Resultate der Gentechniker im Agrarbereich recht dürftig. Aber die Projekte an denen sie arbeiten, könnten — wenn sie zum Ziel führen — drängende Menscheitsprobleme lösen. Drei Beispiele:

  • Dürretolerantes Getreide, dass für Regionen wie den Sahel ein wahrer Segen wäre.
  • Salztolerantes Getreide. Viele bewässerte Anbauflächen, besonders in Indien, sind stark mit Salz belastet. Mit salztolerantem Getreide könnten sie weiterhin genutzt und sogar saniert werden.
  • Eine immer wiederkehrende Reissorte, die — wie ein Obstbaum — jedes Jahr neue Früchte trägt. Das Erosionsproblem, das durch jährliches Pflügen hervorgerufen wird, könnte damit gelöst werden.

Nicht allein die Ernährung der Menschheit, auch der Erhalt der wilden Natur stellen eine moralische Verpflichtung dar, weiter an der gentechnischen Verbesserung der Nutzpflanzen zu arbeiten. Denn ohne höhere Erträge auf den vorhandenen Äckern müssen immer neue Flächen unter den Pflug genommen werden, Flächen, die bisher Wildtieren und Wildpflanzen zu Verfügung stehen. Die erste "Grüne Revolution" hat nicht nur den Hunger besiegt, sondern in vielen Regionen der Erde auch Wälder und andere Naturgebiete gerettet. Denn seit dreißig Jahren ist die landwirtschaftliche Anbaufläche der Welt kaum gewachsen. Das heißt, viele Millionen von Hektar blieben in ihrem natürlichen Zustand erhalten.

Wie zynisch klingen angesichts dessen die Tiraden der Gentechnik-Gegner. Die Inderin Vandana Shiva, einen international populäre Lichtgestalt im Kreuzzug gegen Gentechnik, verdammt sogar eine neue Reissorte, die mit Vitamin A angereichert wurde. Dieser verbesserte Reis könnte für viele Arme in Asien die Gefahr bannen, durch Vitamin-A-Mangel zu erblinden. Doch Vandana Shiva empfiehlt in ihrer Schmähschrift gegen Genreis, die Leute sollten besser mehr Leber, Fleisch, Eigelb und Spinat essen. Wie sagte einst Marie-Antoinette? "Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch Kuchen essen".

 

Erschienen in Die Welt vom 20.05.00