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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Moderne Umweltpolitik
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Moderne Umweltpolitik

Hintergrund:
Die Grünen diskutieren im Jahr 2001 über eine Rückbesinnung auf das Thema "Umwelt". Leider fällt ihnen dazu nichts neues ein.

 

New Ecology statt grüner Tantigkeit

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Das Thema Umwelt- und Naturschutz steht wieder ganz oben auf der politischen Agenda. Gestern noch totgesagt, soll der Umweltschutz seit dem BSE-Schock wieder Vorrang haben. Das fordern laut Emnid-Blitzumfrage sechzig Prozent der Deutschen. Die Wähler der Grünen sind sogar geschlossen dieser Meinung (95 Prozent). Umweltschutz ist keine Modererscheinung sondern hat sich als großes Politikfeld neben Klassikern wie Sozial-, Bildungs- oder Außenpolitik etabliert. Es wird mal mehr oder mal weniger Konjunktur haben. Zur Zeit wieder mehr.

Die Rechnung der grünen Realpolitiker, ihr Heil in anderen Politikfeldern zu suchen und das lästige Umweltthema an den Rand zu drücken, wurde ohne den Wähler gemacht. Die Rückbesinnung auf das Umweltthema als zentrales Anliegen der Partei scheint denn auch beschlossen zu sein seit eine neue Studie der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des Grünen-Vorstandes dies nahe legt. Doch die Botschaft enthält ein gefährliches Missverständnis. Mit einer bloßen Rückbesinnung auf ökologische Themen ist es nämlich nicht getan. Erfolg kann nur eine Neubesinnung bringen. Gerade für Jungwähler ist nicht das Umweltthema unattraktiv, sondern die Art und Weise wie seine vorgeblichen Sachwalter damit umgehen. Als zukunftsträchtiges Thema lebt der Umweltschutz, als soziale Bewegung ist er in die Jahre gekommen und wird aussterben. Wenn die Grünen weiterhin glauben, vom Atomausstieg bis zum Dosenpfand lediglich ihre Widerstands-Biografie abarbeiten zu können, dann irren sie gewaltig. Die Jugend soll vor süßen Schokoriegeln aus Gen-Soja gerettet werden, das Weltklima vor vergnügungssüchtigen Mallorca-Fliegern. Was einst im Namen von Sitte und Moral bekämpft wurde, sollte heute aus Umweltschutzgründen unterbleiben . Die gute alte Anstandstante, so wird es jungen Menschen erscheinen, hat einen grünen Hut aufgesetzt.

Denkfaulheit und Phantasielosigkeit lässt Umweltpolitiker aller Parteien den einfachsten und auf kurze Sicht wohl auch erfolgreichsten Weg wählen. Populistisch bedienen sie die aktuelle Emotionen oder satteln auf Angstkampagnen, die bei Greenpeace & Co ersonnen werden. Das Leben ist ein einziger Katastrophenalarm. Jeder will ganz vorne mit dabei sein, wenn die Sirene heult. Umweltorganisationen kämpfen um Aufmerksamkeit im Mediengeschehen und Politiker reagieren darauf mit Aufführungen so genannter Handlungsfähigkeit. Bedauerlicherweise bleiben dabei häufig Vernunft und viel Geld auf der Strecke, weil Prioritäten nicht nach der Sachlage sondern nach jüngsten Medienhype gesetzt werden. Milliarden werden auf ökologischen Nebenkriegschauplätzen sinnlos vergeudet.

Es gilt immer noch als Erfolgsrezept, sich als moralische Instanz gegen die Schlechtigkeit der Welt im allgemeinen, den bösen technischen Fortschritt und das Profistreben finsterer Kapitalisten im besonderen zu profilieren. In seiner aktuellen Variante wird dieses Stück gerade im Schlagabtausch mit dem neuen Reich des Bösen in Washington aufgeführt. Hier der böse Klimaschänder George W. Bush., da die rotgrünen Lichtgestalten mit ihren Windrädern. Doch während sie "Haltet den Dieb!" rufen, haben sie bedauerlicherweise keinen blassen Schimmer davon, wie sie ihre freiwillig propagierten Klimaziele denn tatsächlich einhalten könnten. Vorsorglich (und zum Spott der Amerikaner) ließ man den Bundes-Wirtschaftsminister schon mal den Offenbarungseid ankündigen: Unter Verweis auf den Ausstieg aus der Atomenergie hält der bis 2020 angestrebte Kohlendioxid-Verminderungen "für kaum möglich". Die Lektion aus dem Atomausstieg könnte lauten: Das Gegenteil von schlecht muss nicht gut sein, es kann auch noch schlechter sein.

George W. Bush ist sicherlich nicht besonders gut beraten, wenn er sich von Lobbyisten fossiler Altindustrien einreden lässt, die Energiefrage ließe sich mit einer simplen Angebotserweiterung lösen. Auch die Amerikaner werden nicht ums intelligente Energiesparen herumkommen. Es wird sich auch bald herumsprechen, dass die Potentiale dafür in den verschwenderischen USA noch wie Gold Nuggets auf der Straße liegen. Die technische Intelligenz eines Silicon Valley ist herausgefordert und sie wird ihren Strom nicht dauerhaft aus Kohlegruben beziehen wollen.

Ein reaktionäres Rollback in umweltfeindliche Zeiten der sechziger und siebziger Jahre ist auch in den USA nicht denkbar. Der Streitfrage wird nicht lauten: Umweltschutz ja oder nein? Vielmehr wird es um den richtigen Weg im Umweltschutz gehen. Und hier hat die Auseinandersetzung zwischen den USA und Europa einen tieferen kulturellen Kern, um dessen Diskussion wir nicht herumkommen werden. Den meisten Menschen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist es zutiefst fremd, die Zukunft a priori in Schranken und Grenzen zu denken - wie es hierzulande derzeit als verbindlich gilt. Eine starke Strömung im amerikanischen Umweltschutz weist immer wieder darauf hin, dass die Realität reihenweise die "Grenzen des Wachstums" und die apokalyptischen Vorhersagen der siebziger und achtziger Jahre widerlegt hat: Weder ist der Wald gestorben noch sind die Ressourcen ausgegangen. Luft und Wasser wurden drastisch sauberer und viele Tierarten kehrten zurück. Sogar das globale Bevölkerungswachstum flachte ab und die immer wieder prophezeiten weltweiten Hungernöte blieben gottlob aus.

Die technische Entwicklung und das wachsendes Umweltbewusstsein haben die Verhältnisse in den alten Industriestaaten zum bessern gewendet. Und dieser Trend deutet sich auch in den Schwellenländern an. Sie werden sogar sehr viel schneller effizient und sauber: Je später ein Land in die Industrialisierung eintritt, desto zügiger entkoppeln sich Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch. Das statische Denken in Grenzen und Verboten wird durch die dynamischen Prozesse des richtigen Lebens widerlegt und zwar jedes mal, wenn ein Mensch auf der Welt eine gute Idee hat. Der Mensch ist eben nicht nur eine ökologische Last, sondern eben auch die "ultimative Ressource" wie es der amerikanische Ökonom Julian Simon einmal beschrieb.

Doch Selbstzweifel sind im grünen Mythenreich nicht vorgesehen. Die Devise heißt: Wir haben grundsätzlich recht, wir haben schon immer recht gehabt und wir sind die besseren Menschen. Auf diese Weise läst sich das einmal erworbene Weltbild bis ins Rentenalter konservieren. "Bestimmte Wahrnehmungen gelten als unübersehbar, bestimmte Gedankenfolgen als unbestreitbar, bestimmte Prioritätensetzungen als unabweisbar", analysiert der Soziologe Karlheinz Messelken. "Der dem Mythos verbundene ist durchdrungen davon, dass außerhalb seines Lichts weder Wahrheit der Erkenntnis noch Rat zu erfolgreicher Praxis zu finden sei."

Gerade jungen Menschen sind nicht mehr bereit, diesen geistigen Alleinvertretungsanspruch zu akzeptieren. Es wäre die große Chance der Grünen, die junge technische Intelligenz mit einer zukunftsoffenen ökologischen Grundhaltung für sich zurückzugewinnen. Doch statt die erstarrte Denkschablone zu überprüfen, wird einfach das Kampagnenthema gewechselt. Mit dem gleichen Absolutheitsanspruch, mit dem dereinst das flächendeckende Waldsterben verkündet wurde, wird jetzt eben die Klimakatastrophe beschworen. Mit der gleichen Ignoranz, mit der anfänglich die Computertechnologie bekämpft wurde, wird jetzt die grüne Gentechnologie tabuisiert.

Neue Entwicklungen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse dürfen auch zu neuen Bewertungen, neuen Zielen, neuen Strategien führen. Es gibt viele gute Gründe fürs Energiesparen und den Umweltschutz, jenseits aller Panikmache. Doch wie könnten die Grundzüge einer "New Ecology" aussehen? Politische Zukunftsfähigkeit bedeutet zunächst einmal, dass man auf die Unmöglichkeit einer völlig risikofreien Existenz hinweist. Nur so kann man dauerhaft glaubwürdig bleiben. Wer sich auf die Suche nach einer zukunftsweisenden Umweltpolitik begibt, muss weiterhin akzeptieren, dass die Natur niemals statisch ist. Man denke nur an die überraschende Artenvielfalt in Städten. Die Natur ist viel flexibler und dynamischer als viele, die sie schützen wollen. Pflanzen, Tiere und Ökosysteme kennen keine harmonischen Endzustände, nur permanenten Wandel.

Von der Vorstellung es gäbe wo etwas wie ein "ökologisches Gleichgewicht" hat sich die ökologische Wissenschaft schon längst verabschiedet. Dennoch bemühen Umweltpolitiker aller Parteien unverzagt das Märchen vom Gleichgewicht und der Gedanke der Steuerbarkeit und Planbarkeit bestimmt bis heute die gesamte Umweltdiskussion. Grüne Umweltpolitiker sollten sich dringend von ihren erfreulich liberalen Wirtschaftspolitikern beraten lassen. Diese beackern für die Grünen das falsche Thema, haben aber den richtigen methodischen Ansatz. Statt dessen versammelt sich die Umweltpolitiker, wenn es darauf ankommt, garantiert auf der Seite von Regulierern und Verbietern, von Planungsgläubigen und Bürokraten. Dabei lehrt die Geschichte, dass es ungeplante, spontane und oftmals nicht ökologisch motivierte Ereignisse waren, die am stärksten zur Erholung der Umwelt beigetragen haben.

Demokratie und Freiheit, Kapitalismus und Wohlstand haben den Umweltschutz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Idee geboren. Erfolgreiche grüne Parteien und Organisationen wie Greenpeace sind Produkte der westlichen Konsumgesellschaften, auch wenn sie das nicht gerne hören. Grüne Politik muss die Stärken dieses Systems nutzen und umweltbewusstes Verhalten ökonomisch belohnen. Verzichtsappelle und bürokratische Strafmaßnahmen mögen das Seelenheil befördern, zukunftsfähig sind sie nicht. Die Welt braucht Wachstum, denn Armut ist das bei weitem größte globale Umweltproblem. Überall dort, wo die Menschen ein bisschen Wohlstand erreicht haben, werden sie grün. Sie fangen an Luft und Wasser zu reinigen, den Müll zu beseitigen und die Natur zu schützen. Das beste was die Exportnation Deutschland für die Umwelt tun kann, ist die Entwicklung von bezahlbarer und robuste Umwelttechnik für diese Länder.

Dazu gehört auch die grüne Gentechnik im Agrarbereich. Führende Ökologen und internationale Naturschutzexperten stehen ihr mittlerweile sehr aufgeschlossen gegenüber. Denn ineffiziente Anbaumethoden in armen Entwicklungsländern führen dazu, dass Tropenwälder und Savannen in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt werden. Neue gentechnisch optimierte Sorten, die auf kargen Böden mehr Ertrag bringen, könnten das verhindern. Und sie könnten weniger Dünger und weniger Pestizide benötigen. Je schneller die Landwirtschaft in den armen Ländern effizienter wird, desto besser für die Natur. Wer die grüne Gentechnik kategorisch ablehnt, erzielt vielleicht kurzfristigen Imagegewinn, schadet aber langfristig der Umwelt.

Grüne Aktivisten lehnten die Raumfahrt ab: Sie irrten - ohne Satelliten wären globaler Umweltschutz und Umweltforschung sehr viel schwieriger. Sie lehnten die Computer ab - und irrten, denn ohne moderne Informationstechnologie wäre die Effizienzrevolution undenkbar. Sie lehnten die pharmazeutische Gentechnik ab - und irrten, denn gentechnisch erzeugte Medikamente helfen längst Millionen von Menschen. Sie lehnen die grüne Gentechnik ab - und werden auch hier irren. Das vermeintlich Künstliche kann sehr wohl die Rettung des Natürlichen sein.

Ein Feld auf dem grüne Marktwirtschaftler sich verdient machen könnten, sind darüber hinaus die doppelt und dreifach schädlichen Subventionen. Ob Lastwagenverkehr, Braunkohleabbau, Fischereiflotten oder Landwirtschaft: Vieles was der Umwelt schadet wird mit Steuergeldern tatkräftig gefördert

Es wird Zeit auch in Deutschland das Vergnügen an der Natur zu entdecken und möglich zu machen. Auch hierzulande gibt es schöne Naturlandschaften und wilde Tiere. Aber die meisten von uns müssen auf ihren Anblick verzichten, weil ein pingeliger Verbotsnaturschutz Otto Normalbürger weit gehend aus der Natur ausschließt. Dabei zeigen die Amerikaner in ihren Nationalparks wie man massenhaften Tourismus und Naturschutz unter einen Hut bringen kann. Die US-Bürger geben in ihrer Freizeit eine Menge Geld aus, um Wildtiere und Landschaften zu bewundern. Sie sind stolz auf ihre Natur.

Ökologische Landwirtschaftspolitik muss die planwirtschaftliche Struktur des Agrarsektors aushebeln. Das neue Leitbild Ökolandbau ist sicherlich ein Fortschritt. Doch ist es wirklich zukunftsfähig, den Ökolandbau wiederum mit Dauersubventionen an den staatlichen Tropf zu hängen? Wenn Bauern wieder anfangen unternehmerisch zu denken, tragen sie auch wieder Verantwortung für ihre Produkte. Dies ist der beste Verbraucherschutz.

Niemand kann heute sagen, ob Solarenergie, Fusionsenergie, inhärente Hochtemperaturreaktoren oder alle zusammen die Energiefrage lösen. Grüne Energiepolitik muß offen sein. Gesellschaftliches Leitbild für die Lösung kann nur der Erfinder sein, nicht der Verhinderer. Auch die massiven Verkehrsprobleme des Transitlandes Deutschland sind nicht mit Vergraulungs-Strategien, sondern nur mit Erfindungsreichtum und marktwirtschaftlichen Instrumenten zu bewältigen.

Strömungen wie "New Ecology" und "Free Market Ecology" beleben den Diskurs in den Vereinigten Staaten schon seit Jahren. Die deutschen Grünen können sich aussuchen, ob sie davon lernen oder in Treue zur Ökoromantik der siebziger Jahre erstarren wollen. Vorsorglich sollte sich auch die FDP über das offene Themenfeld "New Ecology" Gedanken machen. Egal wer es anpackt, Hauptsache es kommt frischer Wind in die Umweltpolitik.

 

Erschienen in Die Welt vom 14.05.01