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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Goldener Reis
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Goldener Reis

Hintergrund:
Zwei europäische Genforscher entwickelten einen Reissorte, die speziell Kindern in Entwicklungsländern zugute kommt. Das öffentliche Bewusstsein wird jedoch weiterhin von der Anti-Gentech-Lobby bestimmt.

 

Grüne Gentechnik mit gutem Gewissen

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Wie wäre es, wenn der Deutsche Umweltpreis in diesem Jahr mal an Genforscher ginge? Undenkbar? Eine Provokation? Es könnte eine heilsame Provokation sein, eine Entscheidung, die zum Nachdenken anregt. Die beiden Genforscher Peter Beyer und Ingo Potrykus sind ideale Kandidaten für die mit einer Million Mark dotierte Auszeichnung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Sie haben eine neue Reissorte entwickelt, die speziell unterernährten Menschen und Kleinbauern in armen Ländern zugute kommt. Doch dieser Fortschritt gelang ihnen ausgerechnet mit Hilfe der Gentechnik - dem Schreckgespenst von Greenpeace und Co.

Dieser Fall könnte den Diskurs über Gentechnik, Moral und Verantwortungsbewusstsein beflügeln. Weltweit leiden über 100 Millionen Kinder an Vitamin-A-Mangel, ein bis zwei Millionen sterben daran, viele bekommen schwere Sehstörungen. Die neue Reissorte, wegen ihrer gelblichen Farbe "Goldener Reis" genannt, kann dieses Elend lindern, denn sie enthält besonders viel Vitamin A und Eisen.

Die beiden deutschen Wissenschaftler haben von vornherein drauf geachtet, dass der Goldene Reis denen zugute kommt, die ihn brauchen. Im internationalen Reisforschungsinstitut auf den Philippinen verschenkten sie in einem symbolischen Akt ihre Erfindung an die Kleinbauern in den Entwicklungsländer. Zuvor war es ihnen gelungen sechs Weltkonzerne, darunter Bayer und Monsanto, zur Patentfreigabe der entscheidenden biotechnischen Verfahren zu bewegen. Dies war ein in der Wissenschafts- und Industriegeschichte bisher einmaliger Coup im Dienste der Humanität.

Deutsche Politiker, die sich sonst gerne im moralischen Glanz anderer sonnen, blieben merkwürdig stumm. Von Seiten der Gentechnikgegnern empfingen die Wissenschaftler nur Häme und den Vorwurf ein "trojanisches Pferd" der Agroindustrie zu sein. Und dies obwohl Potrykus und Beyer so ziemlich das Gegenteil von kalten Profitmaximierern sind, als die Genforscher von ihren Gegnern gern hingestellt werden. "Unsere Reissorte wurde weder von der Industrie noch für sie entwickelt," betonen sie. "Ihr Nutzen liegt ganz bei den armen Bevölkerungsschichten, sie wird kostenlos und ohne Beschränkung an bäuerliche Selbstversorger abgegeben. Jede Ernte kann zur Wiederaussaat verwendet werden. Sie schafft keinerlei neue Abhängigkeiten, und sie bietet reichen Landbesitzern keine Vorteile. Ebenso wenig beeinträchtigt sie die natürliche Artenvielfalt. Und sie hat, soweit erkennbar, weder negative Auswirkungen auf die Umwelt, noch birgt sie gesundheitliche Gefahren für die Verbraucher."

Wie zynisch klingt dagegen Vandana Shiva. Die Inderin, die auf keinem Podium westlicher Anti-Gentechnik-Kampagnen fehlt, verdammt den Goldenen Reis. Sie empfiehlt ihren Landsleuten, sie sollten besser mehr Leber, Fleisch, Eigelb und Spinat essen. Wie sagte einst Marie-Antoinette? "Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch Kuchen essen."

Es wird Zeit, die Debatte um grüne Gentechnik neu zu führen. Denn bei genauerer Betrachtung ist es keinesfalls so, dass Gentechnikgegner die Moral für sich gepachtet haben. Nicht weil ohne Gentechnik die Menschheit verhungern würde, wie es aus den Propagandaabteilungen der Agrokonzerne tönt. Das trifft - jedenfalls zur Zeit - nicht zu, denn die Potenziale von Flächenerweiterung und konventionellen Züchtungsmethoden sind noch lange nicht ausgereizt.

Ein Stopp der grünen Gentechnik wäre aus anderen Gründen moralisch verantwortungslos: Er blockiert ökologische Zukunftsoptionen. Noch sind die Forschritte der Gentechniker im Agrarbereich nicht besonders spektakulär. Aber manche Projekte, an denen Wissenschaftler derzeit arbeiten, könnten drängende Umwelt- und Menscheitsprobleme lösen. Der Goldene Reis ist nur ein Beispiel dafür. Dürretolerantes oder salztolerantes Getreide, wären für trockene Regionen ein wahrer Segen. Eine wiederkehrende Reissorte, die - wie ein Beerenstrauch - jede Saison neue Früchte trägt, könnte die jährliche Bodenbearbeitung überflüssig machen und damit Erosionsprobleme eindämmen.

Ertragreichere Sorten retten Regenwälder und Savannen, denn ohne höhere Ernten auf gleich bleibender Fläche gerät die Natur immer stärker unter Druck. Auch dies ist eine moralische Verpflichtung zur weiteren gentechnischen Verbesserung der Kulturpflanzen. Führende Köpfe des internationalen Naturschutzes begrüßen deshalb die grüne Gentechnik.

Wenn die Anti-Gentech-Kämpfer erreichen, dass gentechnisch veränderte Produkte gekennzeichnet werden müssen, ist das ein lobenswerter Beitrag zu mehr Transparenz im Supermarkt. Wenn sie jedoch die gentechnische Verbesserung von Nahrungspflanzen stoppen, schaden sie der Umwelt und den Menschen in den Entwicklungsländern. Nicht Greenpeace und Vandana Shiva sondern Wissenschaftler wie Beyer und Potrykus haben die Moral auf ihrer Seite. Den Deutschen Umweltpreis verdienen sie für ihre Leistung allemal.

 

Erschienen in FOCUS Nr. 6/2002