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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Sexskandale
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Sexskandale

Hintergrund:
Im Sommer 2003 werden einige Prominenten dabei erwischt, wie sie sich mit Prostituierten und Kokain vergnügen.

 

Vom Aussterben der Groupies

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Als charakterfeste Ehemänner können wir in Rotlichtfragen kaum Kompetenz anmelden. Doch bei dem anhaltenden Koks-und-Huren-Rummel um diverse Prominente geht uns eine Fragen nicht aus dem Kopf: Warum genügen Ruhm, Reichtum und Boheme offenbar nicht mehr um an sexuellen Ausschweifungen interessierte junge Damen anzulocken?

Früher hatten Popstars, Fernsehgrößen und berühmten Künstler mehr vom Leben. Musste sich der Normalmann schwer bemühen, um seine jeweils Angebetete erfolgreich den Hof zu machen, so flogen den Celebrities die Frauen einfach zu. Freie Auswahl: Das Paradies der männlichen Eitelkeit. In jeder Provinzstadt gab es den Typus des Groupies. Dies waren zum exzessiven Amüsement entschlossene weibliche Wesen, die es darauf anlegten, mit möglichst vielen Leadsängern, Undergroundfilmern, Avantgardekünstlern oder sonstwie angesagten Typen im Bett gewesen zu sein. Schlagzeilen wie "Die Beatles im Bordell" oder "Fritz Teufel auf dem Autostrich" hätte vor dreißig Jahren Unverständnis ausgelöst: "Haben diiie das nötig?" Gehen wir weiter in die Geschichte zurück, treffen wir auf sexbessene Diktatoren wie Mao und Mussolini, die Hunderte ihrer weiblichen Landeskinder im Schlafzimmer empfingen. Und dies keineswegs durch Zwang: Glühende junge Verehrerinnen schrieben ihnen eindeutige Liebesbriefe. Eine Nacht mit dem großen Steuermann oder dem Duce war für sie die Nacht ihres Lebens.

Die Groupies von heute heißen "Partyluder" und sind seriell monogam: Sie pflegen feste Beziehungen zu einzelnen Männern, die oftmals mehrere Monate und sogar Jahre halten können. Und ehe man sich versieht, sind sie schwanger und "Ex-Partyluder". Obendrein hat man den Eindruck, dass sie weniger das Kamasutra beherrschen, als die Kunst möglichst vorteilhaft für "Bunte" und "Gala" zu posieren.

Heute müssen gefeierte Sportreporter, Großkünstler, Talkmaster, und sogar ein Hollywood-Beau wie Hugh Grant Bargeld hinblättern, damit junge Frauen ohne Heiratsabsichten sich mit ihnen abgeben. Was hat sich geändert, welche tektonischen Verschiebungen der Gesellschaft und er der Geschlechterverhältnisse sind hier am Werk? Lohnt es sich überhaupt noch, reich und berühmt zu werden? Wir tappen im Dunkeln, haben aber so unsere Vermutungen.

Hypothese eins: Frauen sind selbstbewusster geworden, oder wollen zumindest so erscheinen. Es ist ihnen heute peinlich, sich nur im Abglanz eines Mannes zu sonnen. Konnte eine junge Frau 1970 noch im Kreise ihrer Freundinnen mit prominenten Eroberungen prahlen und sich der Bewunderung sicher sein, so muss sie sich heute auf mitleidige Blicke und abfällige Bemerkungen einstellen: Brauchst du den Kerl für dein Ego? Hast du sonst nichts zu bieten? Und wer möchte schon auf ewig schweigen und still genießen, wenn er mit einer "Trophäe" im Bett war? Der Hauptunterschied zur Liebesnacht mit einem unbekannten Mann ist schließlich ist der anekdotische Wert solcher Affären.

Hypothese zwei: Prominenz inflationiert. Was Andy Warhol und Joseph Beuys einst als Utopie formulierten ist Wirklichkeit geworden: Jeder kann, zumindest für kurze Zeit, zu den Prominenten gehören. Nachmittägliche Bekenntnisrunden, unaufhörlichen Talentwettbewerbe und der insgesamt steigende mediale Menschenumsatz machen es möglich. In fast jeder deutschen Familie findet sich ein Mitglied, das schon mal im Fernsehen war. Und es ist der gleiche Flimmerkasten in dem auch all die Berühmtheiten zuhause sind. Superstar? Na und.

Die Realität eines Prominenten von heute sieht bitter aus. Anstatt dass sich die Groupies vor ihm aufrollen, muss er verarmte ukrainische Dorfmädchen dafür bezahlen, doch wenigstens so tun, als seien sie ganz wild auf ihn. Um noch eine erotisch interessierte Praktikantin abzukriegen, muss man bereits Präsident werden. Doch was die Erfolgreichen frustriert, ist für die Gesellschaft als ganzes eine gute Nachricht. Das Gleichheitsideal der französischen Revolution scheint nahezu erreicht. Wenn ein Mann es mal so richtig schlimm treiben will, stehen dem Reichen und dem Armen offenbar nahezu die gleichen (begrenzten) Möglichkeiten offen. Der Geldbeutel entscheidet allenfalls noch über Zahl und Preisklasse der Huren und die Menge des Kokains. Wir leben eben doch im sozialdemokratischen Zeitalter: Chancengleichheit jetzt auch bei Orgien.

 

Erschienen in Die Welt vom 27.08.03