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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Gentechnik in Ostdeutschland
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Gentechnik in Ostdeutschland

Hintergrund:
In zwei ostdeutschen Bundesländern starten Initiativen zur Förderung der Grünen Gentechnik.

 

Der progressive Osten

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Die Ostdeutschen sind larmoyant, unselbstständig und strukturkonservativ, heißt es. In Leipziger Straßenbahnen oder in Lausitzer Dorfgaststätten lässt sich tatsächlich mitunter das "unterm Erich war alles besser" Gegrummel vernehmen. Dennoch wächst allmählich ein anderer Geist heran. Wenn wir jüngere Ostdeutsche kennen lernen, treffen wir häufig auf zukunftsoffene und ideologieskeptische Menschen. Die Überdosis staatlicher Propaganda und Verbote, die ihnen in der Vergangenheit verabreicht wurde, macht sie misstrauisch gegenüber neuerlichen Zumutungen dieser Art. Es herrscht eine experimentierfreudigen Grundhaltung, die im Westen vom Aussterben bedroht ist. Ideologisch begründete Technikfeindlichkeit ruft beispielsweise verständnisloses Kopfschütteln hervor, eine gute Voraussetzung für Fortschritt. Blühende Landschaften im Osten sind deshalb gar nicht so ausgeschlossen, sie werden aber womöglich ganz anders aussehen, als man sich das im Westen vorstellt.

Jüngstes Beispiel sind bemerkenswerte Initiativen, die vor allem in Sachsen-Anhalt (schwarz-gelb) aber auch in Mecklenburg-Vorpommern (rot-rot) starten. Die beiden Länder haben sich vorgenommen, die Berliner Blockadepolitik gegen die grüne Gentechnik nicht länger mitzumachen. Die Landwirtschaft gehörte nach dem Fall von Mauer und Stacheldraht zu den wenigen Wirtschaftszweigen, die nicht nur auf Anhieb konkurrenzfähig waren, sondern sogar Strukturvorteile gegenüber dem Westen besaßen. Die Biotech-Initiativen der beiden östlichen Bundesländer sollen nun dafür sorgen, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Sie wollen den grünen Sonderweg verlassen. Landesregierungen, Forschungsanstalten und Agrarunternehmen investieren in Laborgebäude und Gewächshäuser. Bauern stehen bereit, um die weltweit bewährten Pflanzen nun auch auf deutschem Boden auszutesten.

Trotz aller Bekundungen des Kanzlers, ist die grüne Gentechnik weiterhin eine Spielwiese des kleinen Koalitionspartners. Trittin und Künast blockieren wo sie nur können. Während außerhalb Deutschlands gentechnisch veränderte Ackerpflanzen auf zirka sechzig Millionen Hektar Fläche angebaut werden und in vielen Ländern das tägliche Brot von solchen Pflanzen stammt, ist nirgends ein gesundheitlicher oder ökologischer Schaden entstanden. Statt dessen spricht sich unter den Bauern der Nutzen herum: Höhere Erträge und bessere Qualität bei geringerem Pestizid- und Düngerverbrauch überzeugen die Landwirte von Argentinien bis Südafrika, von Kanada bis China (und inzwischen auch manchen Naturschützer).

Das einzige Argument, dass den Gegnern noch bleibt, ist der Pollenflug: Der Umstand, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen (ganz wie ihre konventionell gezüchteten Verwandten) gelegentlich über den Ackerrand hinaus von selbst aussähen. Das schadet niemandem, ruft jedoch die Ökobauern auf den Plan, die mit dem Label "gentechnikfrei" werben wollen. Diese Kennzeichnung sagt zwar nichts aus über Qualität, Bekömmlichkeit oder Ökologie aus. Sie kommt aber beim besserverdienenden städtischen Milieu gut an: Ein Reinheitsgebot für den elitären Lebensstil. Renate Künast will, dass Bauern dafür haften, wenn Pollen oder Samen ihrer Pflanzen auf dem Öko-Acker des Nachbarn landen. Für eine solche Sonderregelung gibt es weltweit kein Beispiel. Sie ist nichts weiter als ein Instrument, um die grüne Gentechnik hierzulande durch die kalte Küche zu verhindern.

Den Abstand, den Frau Künast zwischen Ökoacker und Genpflanzenanbau haben will, gibt es bereits. Er liegt zwischen westlicher Romantik und östlichem Fortschrittsoptimismus. Zwischen denen, die sich vom Rest der Welt abkoppeln wollen, und denen, die genug haben von ideologisch begründeten Vorschriften und Verboten. Wir schlagen deshalb eine neue innerdeutsche Grenze vor: Im Westen können weiterhin nach reiner Lehre teure Nahrungsmittel angebaut werden, der Osten darf sich wissenschaftliche Erkenntnisse zunutze machen und so den ökonomischen und ökologischen Fortschritt befördern. Zwischen Ostacker und Westacker wird auf dem ehemaligen Todesstreifen ein anti-technologischer Schutzwall gegen Pollenflug errichtet. In zehn Jahren schauen wir dann mal: Wo wachsen die Pflanzen besser, welche Form der Landwirtschaft ist nachhaltiger, wo bleibt der Artenreichtum der Kulturlandschaft besser gewahrt?

 

Erschienen in Die Welt vom 12.11.2003