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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Spenden
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Spenden

Hintergrund:
Die Spendenaufrufe mancher Hilfsorganisationen gehorchen immer mehr den Gesetzen der Reklame.

 

Weihnachtswohlfahrtswettbewerb

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Seit Wochen sehen sie uns vorwurfsvoll an, die Verdammten dieser Erde: Afghanische Kriegsopfer, maghrebinische Flüchtlinge, afrikanische Aids-Waisen. Noch nie hingen deutsche Innenstädte so voller Spendenaufrufe wie im Winter 2003. Der deutsche Fundraising-Verband diagnostiziert einem Verdrängungswettbewerb unter den Hilfsorganisationen. Es geht dabei um schätzungsweise zweieinhalb bis drei Milliarden Euro, die die Deutschen alljährlich für gute Zwecke spenden. Um ihre Aufmerksamkeit zu ergattern werden die schweren Geschütze der visuellen Kommunikation aufgefahren. Zum Schaden der guten Sache, denn die Allianz aus honorigen Helfern und Werbeagenturen bringt eine Bildsprache hervor, die teilweise geschmackloser ist als die konkurrierenden Dessous-Modelle von H&M.

Eine traditionsreiche Blindenhilfsorganisation wirbt in dieser Saison mit dem Gesicht eines schwarzen Mannes, dessen Augen zu Spardosenschlitzen ummontiert wurden. Man kann sich die Entstehung dieses Plakats lebhaft Vorstellen: Ein paar flinke Jungs aus der Reklamebranche zeigen ihre mit Soundwatte unterlegte Powerpointpräsentation vor einem Gremium älterer Herren, die sich ihr Leben lang mit Blindenschulen und Brailleschrift beschäftigt haben. Die Honoratioren halten die Entwürfe für obszön, doch die flotten Werber sagen, dass sei jetzt modern und alle würden das so machen und wer nicht mitmache fände keine Beachtung mehr. Da nicken die seriösen Herren und hoffen, dass so ein Plakat nicht vor ihrem Fenster aufgehängt wird.

Selbstverständlich muss der Blinde mit den Dosenschlitzen im Gesicht schwarz sein. Denn schwarz heißt arm und hilfsbedürftig in der Werbesprache, selbst wenn man ein Fotomodell ist und auch so aussieht. Überhaupt bedienen sich die Spendenwerber alle aus dem gleichen Klischeekasten: Schwarz muss sein, Kind kommt gut, und dann am besten noch eine Anspielung auf eines dieser Bilder die jeder im Kopf hat. Selbst jenes berühmte Foto, auf dem der Polizeipräsident von Saigon einem Gefangenen in die Schläfe schießt, muss als Design-Vorlage herhalten. Gern wird auch Stacheldraht im Vordergrund genommen, das ruft die Erinnerung an KZ-Gefangene wach. Man hoffe auf einen "Emotionalitätsschub", sagt der Sprecher einer großen Hilfsorganisation.

Was sollen uns diese Bilder sagen? Eigentlich nur das eine: Schlimm, dass es Armut auf der Welt gibt. Das ist jedoch allgemein bekannt. Deshalb wäre es doch interessant zu erfahren, warum es Armut gibt und wie die jeweilige Hilfsorganisation dagegen vorzugehen gedenkt. Natürlich ist das für ein Plakat etwas viel verlangt. Aber ein dezente Bildunterzeile müsste doch unterzubringen sein. Woran leidet das magere Kind mit den traurigen Augen? Dürre? Seuchen? Bürgerkrieg? Oder eine Diktatur, die Hunger als Mittel gegen unliebsame Volksgruppen einsetzt? Jede dieser Ursachen erfordert eine völlig andere Antwort.

Doch ansatzweise differenzierte Botschaften sind nicht die Sache der Spendenwerbung. Deshalb schwingt bei der plakativen Skandalisierung der Armut immer ein zweites Motiv mit: Irgendwie hat alles damit zu tun, dass es uns so gut geht. Du kaufst Sekt und die hungern. Brot statt Böller! Eine simple ökonomische Wahrheit wird dabei ausgeblendet: Konsumverzicht in Europa würde keinem einzigen Armen helfen. Im Gegenteil: Gerade bei der alljährlichen Brot statt Böller Kampagne werden die Tatsachen auf den Kopf gestellt. Denn das Silvesterfeuerwerk wird größtenteils in Entwicklungs- und Schwellenländern hergestellt.

Wenn der momentane Trend im Wohltätigkeitsgeschäft anhält und der Konkurrenzkampf um die milden Gaben das Niveau weiter senkt, dann muss man sich um die Zukunft der Hilfsbereitschaft Sorgen machen. Schon heute ist der Zynismus und die Inhaltsleere mancher Aufrufe augenfällig. Schon heute gibt es Berichte aus Afrika und anderswo, von Spendeorganisationen, die mehr an sich als an die Notleidenden denken. Die dramatisieren und manipulieren und mehr Interesse am Bestehen des Elends statt an seiner Abschaffung entwickeln.

Trotz Wirtschaftkrise wollen viele Bürger nach wie vor den Armen in den Entwicklungsländern helfen. Noch haben die professionellen Helfer Kredit. Um der guten Sache Willen, sollte man ihnen geschmacklose Werbekampagne nicht allzu übel nehmen und dennoch spenden. Noch besser wäre es, wenn mündige Spender öfter mal fragen würden, was genau mit ihrem Geld geschieht.

 

Erschienen in Die Welt vom 10.12.2003