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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Schwarzgrün
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Schwarzgrün

Hintergrund:
Angesichts mehrerer bevorstehender Landtagswahlen sprechen sich Edmund Stoiber und andere Politiker von CDU/CSU und Grünen für schwarz-grüne Koalitionen aus.

 

Bündnis für Stillstand

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Kaum haben sich Bundestag und Bundesrat nach Jahren der Realitätsverweigerung zu zaghaften Reformen durchgerungen, wird manchen mulmig. Von Panik erfasst greifen Sozialdemokraten nach der Reformbremse. Im konservativen Lager erblüht unterdessen die Sehnsucht nach einer schwarz-grünen Kuschelrepublik. Manchem Verunsicherten erscheint sie als eine anheimelnde Alternative: Ein Prosit der Gemütlichkeit bei Biokäse im Bierzelt.

Edmund Stoiber macht von München übers Land blickend einen "Vorrat an Gemeinsamkeiten" aus. Krista Sager antwortet aus Hamburg "es gebe keine ideologische Mauer". In der nordrhein-westfälischen Mitte treffen sich Jürgen Rüttgers und Bärbel Höhn zum winterlichen Spaziergang. Man hat gemeinsam schließlich einiges erreicht: Der deutsche CDU-Umweltminister Klaus Töpfer schuf einst die Verpackungsverordnung. Sein grüner Nachfolger Jürgen Trittin setzt sie wortgetreu um. Das Ergebnis erleben die Bundesbürger derzeit in Form des Dosenpfandes. Der bayrischen Staatskanzlei dient es als protektionistischer Schutzwall für Kleinbrauereien vor dem europäischen Markt. Im Berliner Umweltministerium als weiterer Schritt hin zu einer pseudonaturalistischen Kreislaufwirtschaft. Schwarz-grüne Gemeinsamkeit liegen hierbei im Glauben an die Wohltaten staatlichen Regulierens.

Das Projekt ist durchaus ausbaufähig, da haben Stoiber und Sager völlig recht. Allerdings sollte klar sein, wo die Übereinstimmungen liegen und wo nicht. Wer von einer solchen Koalition erfrischende, undogmatische Politik erwartet, dürfte wahrscheinlich enttäuscht werden. Ihre gemeinsamer Nenner liegt er im Bewahren und Begrenzen. Dies wird die konservativen Kräfte in beiden Lagern nach oben spülen.

Union und Grüne werden zwar von unterschiedlichen Motiven getrieben, kommen aber oftmals zu den gleichen Schlüssen. Beim Thema Bioethik beklagen die einen, dass Stammzellenforscher in Gottvaters Schöpfungsplan pfuschen. Die anderen betrachten es als Frevel, Mutter Natur herauszufordern. Technischer Fortschritt, Deregulierung und wachsende Mobilität sind beiden ein Graus. Wenn Peter Gauweiler vor der "Entzauberung der Welt" und dem Schlussverkauf der Menschheit" warnt, dann darf er sich grüner Sympathien sicher sein.

Schwarz-grüne Gedankenspiele beflügeln nicht die Reformkräfte der Union um Merkel und Merz, sondern viel mehr die Nostalgiker kohl-blümscher Konsensseligkeit. Sie wünschen sich ein Bündnis für Stillstand, dass Deutschland vor dem Wind des Wandels schützen soll. Nur keine Experimente! Keine der möglichen Konstellation aus den zwei großen und zwei kleine Parteien würde so viele Tabus auftürmen, wie ein schwarz-grünes Bündnis. Man kann sich die Kompromisslinien lebhaft vorstellen: starre Zuwanderungspolitik plus unverrückbarer Atomausstieg, Fortschreibung der Agrarsubventionen plus Gentechnikverbot. Deutschland vorn mit Windkraft und Ökolandbau. Außenpolitisch könnte eine pazifistisch-provinzialistische Allianz die Atlantiker in der CDU an den Rand drängen.

Was einst als rebellische Protestbewegung daherkam, war und ist nichts anderes als konservatives Gedankengut in zeitgeistigen Verpackung. Die Wesenverwandtschaft zwischen Ökologismus und dem Kulturpessimismus alter Provenienz wurde damals lediglich durch Äußerlichkeiten verdeckt. In Gestalt schwarz-grüner Versöhnung finden beide Milieus endlich zueinander. Diese "Ökomene" hat etwas von einer Heimholung. Der Abgeordnete Herbert Gruhl verließ 1978 frustriert die CDU und wurde zu einem der Gründerväter der grünen Partei. Keine seiner düsteren Prognosen traf ein. Doch sie haben das Lebensgefühl vieler Menschen bis heute geprägt. Die messbaren Fortschritte im praktischem Umwelt- und Naturschutz änderten daran nichts.

Vielleicht sind die schwarz-grünen Gedankenspiele ein Zeichen dafür, dass sich die Gesellschaft auf lange Sicht neu sortiert. Fast alle großen Zukunftsfragen drehen sich um den Umgang mit Freiheit und Fortschritt. Quer durch alle Parteien existieren bereits zwei informelle Koalitionen. Die einen nehmen eine neugierige Haltung ein und vertrauen auf die Selbstverantwortung und den Erfindungsreichtum der Menschen. Die anderen suchen nach immer mehr Vorschriften, die eine risikofreie Zukunft festschreiben zu können. Für letztere ist schwarz-grün das passende Projekt.

 

Erschienen in Die Welt vom 11.02.2004