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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Quotenregelung für Musik
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Quotenregelung für Musik

Hintergrund:
Der Ruf nach einer Radio-Quote für deutsches Schlagergut wird lauter. Das widerspenstige Publikum soll mal wieder erzogen werden.

 

Holleradihodüdeljö

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Eine der Hymnen unserer Kindheit hatte folgenden Wortlaut: "A wop bop a loo ba a wop bam boom. Tutti frutti, oh Rudy." Hat es unseren zarten Gehirnen geschadet? Nun, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Jedenfalls hat uns die frühe Prägung auf triebhafte, amerikanische Unterhaltungsmusik nicht davon abgehalten, später gelegentlich ein deutsches Buch zu lesen oder ein deutsches Theaterstück anzusehen. Andererseits kennen wir Leute, die haben stets einheimisches Liedgut vorgezogen und noch nie ein Buch gelesen. Wer "Holleradihodüdeljö" schöner findet als "Tutti frutti" wird dadurch also nicht unbedingt zum höheren germanischen Kulturwesen.

Wolfgang Thierse scheint das aber zu glauben. Sonst hätte er dieser Tage nicht schon wieder nach Quotierung für deutsche Schlager im Radio gerufen. Diese Idee wird seit Jahren von einigen Sängern und Produzenten propagiert. Es missfällt ihnen, dass die Menschen den Sender wechseln, sobald ihre vertonten Grundsatzerklärungen gespielt werden. Zu den unermüdlichen Quoten-Lobbyisten zählt beispielsweise der Musikmanager Dieter Dehm (früher SPD und nebenbei Stasi, heute bei der PDS). Seine Utopie wurde in Frankreich verwirklicht, wo Radiosender vom Staat dazu verdonnert sind, vierzig Prozent einheimische Titel abzuspielen. Auch Thierse findet das prima.

Der verdiente Bürgerrechtler Thierse scheint vergessen zu haben, dass die Kulturpolitik des Regimes, gegen das er einst rebellierte, genau diese Art Bevormundung vollstreckte. Willi Stoph nannte Rock'n'Roll einen "modernen Veitstanz" und Walter Ulbrichts sprach: "Ich bin der Meinung Genossen, mit der Monotonie des yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen." Sein Nachfolger erlaubten dann ein wenig "Jugendtanzmusik", auf Deutsch versteht sich. Doch die Erinnerung an sozialistische Geschmacksverbesserer scheint Thierse weniger zu plagen als der Horror vor amerikanischer Unterhaltungskultur. Er findet Quoten gut, "damit deutsche und europäische Kultur sich gegen die Allmacht des amerikanischen Kulturimperialismus durchsetzen kann." Da stimmt die andere Seite der Parteienlandschaft lauthals ein. Die CSU-Granden Erwin Huber und Hans Zehetmair fordern Vorrang für heimische Klänge. Ein CDU-Bundestagsabgeordneter verlangte sogar "Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Rock- und Popmusik in Deutschland."

Popmusik als neues Betätigungsfeld für Behörden. Das hat uns gerade noch gefehlt. Niemand ruiniert die deutsche Sprache so gründlich wie staatliche Institutionen. Einerseits scheuen Sie auch die dümmsten Anglizismen nicht ("Brain up - Deutschland sucht seine Superunis") andererseits schließen sie mit ihrem verquasten Amtsdeutsch fast die gesamte Bevölkerung vom Verstehen so fundamentaler Dinge wie den Steuervorschriften aus. Genau jene lebensfremden Sprachwarte, die uns die Rechtschreibreform eingebrockt haben, wollen jetzt Unterhaltungsmusik fürsorglich regeln.

Und Teile der Musikbranche applaudieren dazu. Darin spiegelt sich der Geisteszustand einiger in die Jahre gekommener Deutsch-Rocker, die viel Gesinnung und wenig Groove hervorbringen. Ihr Generationenprojekt bestand darin, das geile, hedonistische, asoziale, freiheitssüchtige Schmuddelkind Rock'n'Roll umzuerziehen, zu einem braven Chorknaben im sozialdemokratischen Gesangsverein. Es kränkt sie, wenn die Radiohörer und CD-Käufer sich ihrem doch so gut gemeintem Programm widersetzen.

Der Verdacht liegt nahe, dass Quotierung mangelnden Publikumserfolg, durch staatliche Hörvorgaben ausgleichen soll. Es gibt jedoch reichlich Belege dafür, dass populär und künstlerisch wertvoll sich nicht ausschließen müssen. International erfolgreiche deutsche Bands wie "Kraftwerk" oder "Ramstein" haben keine Zwangsquoten nötig. Aber wenn sich Bürokraten in etwas verbissen haben, lassen sie so schnell nicht wieder los. Wer weiß, vielleicht nimmt der Bundestagspräsident demnächst die Hitparade ab. Der letzte macht das Radio aus.

 

Erschienen in Die Welt vom 07.04.2004