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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Müll
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Müll

Hintergrund:
Die Stadt München entfernt öffentliche Müllkörbe, und will die Bürger so dazu erziehen, weniger Abfall zu erzeugen.

 

Sauberkeitserziehung

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Von München aus macht Reisen besonders viel Vergnügen. Denn wer in München wohnt und eine andere Stadt besucht, erlebt in der Regel zwei angenehme Überraschungen: Erstens ist alles billiger, und zweitens muss man woanders nicht mit Bananenschalen, zusammengeknüllten Papiertaschentüchern oder Schokoriegelverpackungen in der Hand herumlaufen. Denn in anderen deutschen und ausländischen Städten gibt es dafür öffentliche Papierkörbe. Nicht so in München. Dort möchte die rot-grüne Obrigkeit ihre Bürger zur Sauberkeit erziehen. Aus diesem Grund ließ sie schon vor längerer Zeit etwa 500 kommunale Müllgefäße abmontieren. Erinnern sie sich noch an den berühmten Loriot-Kurzfilm, in dem ein Herr versucht seine Bananenschale in einem klinisch reinen Flughafengebäude los zu werden? Kommen sie nach München, dort wird dieses Stück mehrmals täglich von kreativen Laiendarstellern live aufgeführt.

Leider gehen die kreativen Problemlösungen der ratlosen Resterumschlepper oftmals auf Kosten ihrer Mitbürger. In der Regel landet der Müll auf der Straße, zur Freude von Tauben, Krähen und Ratten. Viele entsorgen ihn mangels Papierkörben in andere Behälter. Besonders beliebt sind Fahrradkörbe. Und so ist es für manche Schwabinger zum morgendlichen Ritual geworden mit einer Plastiktüte aus dem Haus zu gehen, um vor dem Weg zur Arbeit erst mal die Frühstückreste der Passanten aus dem Fahrradkorb zu fischen: Kakaotüten, Apfelreste und von Leberkäse durchgefettete Papierservietten. Danach erstmal zurück in die Wohnung, denn öffentliche Papierkörbe sind schwer zu finden.

Wie kommt eine Stadtverwaltung auf solche Ideen, wollten wir wissen und fragten nach. Schon der fünfte Versuch war von Erfolg gekrönt. Wir wurden zu einem netten Herrn verbunden, der uns über das Erfolgskonzept Papierkorbverminderung aufklärte. Erstens: Senkt Kosten und Personalaufwand (man muss schließlich sparen, um den verarmten lokalen Fußballverein beim Stadionbau zu unterstützen). Zweitens: Prävention gegen Vandalismus - nicht vorhandene Körbe können nicht beschädigt werden. Drittens: Von öffentlichen Müllgefäßen geht eine gefährliche Sogwirkung aus. Die Bürger schmeißen ihren Hausmüll rein und manchmal sogar Sperrmüll.

Wir konnten nicht umhin, dem Mann Recht zu geben. Denn wer schon einmal in das Labyrinth der Erziehungsmaßnahmen Münchner Kommunalpolitik geraten ist, der weiß, es stimmt: Nachts mutieren brave Bürger zu Müllguerillas und entsorgen ihren Abfall in fremde oder - wo noch vorhanden - in öffentliche Müllbehälter. So wie jene Nachbarin, die nach mehren Anrufen in Erfahrung brachte, dass sie sich für legale (gebührenpflichtige) Entsorgung eines kaputten Wäscheständers einen halben Tag Zeit nehmen müsste (sie schlich sich nachts zu der allseits beneideten King-Size-Mülltonne wohlhabender Nachbarn). Ein anderer Anwohner hat sich ein Stampfgerät gebastelt, mit dem er den Müll in die Tonne presst, weil er sich als Rentner eine zweite nicht leisten kann. In Kellern und auf Speichern stapeln sich alte Haushaltsgeräte, die ohne Neukauf keinem Händler aufs Auge gedrückt werden können. Legal sind solche Teufelsmaschinen nicht unter zwei Urlaubstagen plus Spesen zu entsorgen, weshalb sich die Not andere Wege sucht. Wer anlässlich einer Wohnungsrenovierung einen Schuttcontainer vor dem Haus abstellt, sollte mindestens zwei Wachleute mit Schießbefehl daneben postieren.

"Wir tarieren aus, was den Bürgern zuzumuten ist," beschrieb uns der nette städtische Bedienstete die Verknappungsstrategie, die ja auch auf anderen Gebieten immer beliebter wird. Es geht dabei weniger darum ein Problem zu lösen, als darum es aus seinem Gesichtskreis zu entfernen. Das Problem selbst hat danach schlicht und einfach jemand anderes. Sonst würde die Abschaffung von Toiletten ja dazu führen, dass der Mensch kein Bedürfnis mehr hat. Aber von solch schlichten Einsichten lassen sich aufrechte Volkserzieher nicht beeindrucken.

 

Erschienen in Die Welt vom 16.06.2004