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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Jubiläum
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024630/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2004-06-30a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Jubiläum

Hintergrund:
Seit einem Jahr erscheint Unsere Kolumne jeden Mittwoch in Die Welt.

 

Wie wir wurden, was wir sind

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Auf vielfachen Wunsch erzählen wir zum einjährigen Jubiläum unserer Kolumne etwas aus unserer dunklen Vergangenheit. Immer wieder fragen uns Leser, warum wir so gern auf die Grünen und das gesamte grün-pazifistisch-feministisch-esoterisch-antiliberale Spießertum einteufeln. Viele vermuten, dass wir Renegaten sind (daher die Leidenschaft!). Nun gut, es stimmt: Wir waren nicht nur Mitläufer, sondern haben tüchtig mitgeholfen, dass Deutschland zum Land der Windräder, Getrenntmülltonnen und Öko-Karotten wurde. Wir kennen die Brokdorfer Marsch, den Wald von Gorleben, die Bonner Rheinwiesen und so manche sagenumwobene Seitenstraße im Frankfurter Westend. Wir erlebten hautnah den Aufstieg der Grünen in Hessen (und konnten dabei die Charaktere des heutigen politischen Establishments studieren). In jener Zeit entschlossen sich manche, Politiker zu werden. Wir wurden dann doch lieber Journalisten. Gemeinsam kämpften wir bei der Zeitschrift "natur" (damals das größte Umweltblatt Europas) für Urwaldbäume und Mehrwegflaschen. Der Tod war unser ständiger Begleiter: Robbensterben, Waldsterben, sogar ein Spermiensterben dräute.

Doch es kam zunächst schleichend, dann immer heftiger zur Kollision zwischen journalistischem Anspruch und grüner Überzeugung. Die Recherche stand der erwünschten Untergangsstimmung immer öfter Weg. Sie brachte zu Tage, dass Müllverbrennungsanlagen keine Dioxinschleudern mehr sind und nicht alle Walarten vom Aussterben bedroht. Was tun? Konnte man solche guten Nachrichten unseren Lesern zumuten? Wir versuchten es. Unsere frohen Botschaften über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfolge im Umweltschutz führten zu einer Welle von Abbestellungen. Unsere Abonnenten machten uns unmissverständlich klar, was sie wollten. Bitte keine Fakten! Gebt uns düstere, hoffnungslose, unlösbare Desaster! Und verschont uns mit Lösungen!

Wir hatten verstanden, kündigten bei "natur", stürzten uns ins freiberufliche Dasein und schrieben Bücher. Das erste hieß "Öko-Optimismus" und führte sogleich zu einem Aufschrei aller Gutmeinenden. Der Vorsitzende eines großen Naturschutzverbandes (der jetzt im Umweltministerium sitzt) verkündete entrüstet, er werde das Wort "Öko-Optimismus" nicht einmal in den Mund nehmen. Günther Nenning schrieb in der "taz" vom "Dolchstoß ins grüne Auge" und rief uns auf einem Podium entgegen: "Ihr müsst widerrufen!"

So wurden wir also, was wir heute sind. Zum Glück haben wir noch rechtzeitig bemerkt, wie schnell frischer Wind zum Ämtermief werden kann. Sonst würden wir heute womöglich in einem Ministerium verkümmern oder wären Ethik-Beauftragte eines Konzerns. Wir würden prachtvoll Hof halten und bei jeder Gelegenheit unsere Brille gaaanz langsam abnehmen, die Stirn runzeln und Sachen sagen wie: "Wir brauchen wieder echte Werte, gerade in dieser Zeit." Stattdessen sind wir in unserem Herzen grün geblieben. Der Gesang einer Feldlerche oder der Anblick eines gluckernd mäandernden Bächleins bedeuten uns viel. Wir glauben allerdings nicht mehr, dass man Feldlerchen und Bachtälern mit grüner Ideologie, Fortschrittspessimismus und Wissenschaftsfeindlichkeit helfen könnte. Und es geht und mächtig gegen sen Strich, dass diejenigen, die den Begriff "grün" für ihre politische Karriere gekapert haben, die Freiheit des Individuums gern als Gefahr für den Planeten darstellen (und sie ständig im Interesse der guten Sache einschränken wollen). Es ist vielleicht kein Zufall, dass wir unter jenen grünen Bürgerrechtlern, die die Mauer zu Fall brachten, neue und mitunter enge Freunde fanden. Wir können das Renegatentum also nur wärmsten empfehlen: Man lernt nette Leute kennen und bleibt geistig frei und munter. Fröhlich schreiben wir für einen Verlag, den wir einst für eine reaktionäre Betonfestung hielten. Doch die Reaktionäre sitzen im progressiven Gewand längst woanders, nur hat's noch keiner richtig gemerkt. Kommt aber noch.

 

Erschienen in Die Welt vom 30.06.2004