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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Emanzipation
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024916/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2005-02-09a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Emanzipation

Hintergrund:
Heterosexuelle, weiße Männer gelten als verantwortlich für sämtliche Übel der Welt: Von der Ausbeutung der Dritten Welt bis zu der des weiblichen Geschlechts. Zaghaft beginnen Sie sich gegen die Rolle des multifunktionalen Haudraufs zu wehren.

 

Erbsünden

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Vergangene Woche formulierte der Schriftsteller Stephan Wackwitz auf diesen Seiten eine eigentlich nahe liegende Frage, die bis dahin aber niemand zu stellen wagte: Warum dürfen Männer in den besten Jahren, die mit einer deutlich jüngeren Frau zusammen sind, von ihrer Umgebung gefahrlos als sabbernde Triebtäter diskriminiert werden? Der Autor wuchs uns mit jeder Zeile mehr ans Herz, gleichwohl wir den angesprochen Kasus nur theoretisch beurteilen können. Durch die Lektüre angestiftet, kamen wir darauf, dass Wackwitz das Thema eigentlich viel zu eng fast. Nicht nur der ältere Herr in junger Begleitung ist zum Abschuss freigegeben. Das generelle Täterprofil, dem nonchalant alles Elend der Welt zugeschoben werden darf, lautet: weiß, männlich und heterosexuell. Diese drei Erbsünden sind zwingend für den Bösen im Film, den Unmenschen im schlichten Weltbild und das Scheusal im Diskurs über das Liebesleben. Daneben strahlen all díe benachteiligten und somit unberührbaren Minderheiten, die grundsätzlich für nichts zur Verantwortung gezogen werden können. Und natürlich der weibliche Teil der Menschheit, der es irgendwie geschafft hat, als Minderheit zu gelten.

Die Hautfarbe weiß signalisiert Herrenmenschentum und dumpfe Ignoranz gegenüber fremden Kulturen. Auch schließt sie automatisch die Ausbeutung der Dritten Welt mit ein. Wir sind daher dazu übergegangen, bei der morgendlichen Rasur selbstkritisch in den Spiegel zu blicken und uns erst einmal für die Niederschlagung des Herero-Aufstandes zu entschuldigen. Das Merkmal männlich wirkt weiter strafverschärfend, da ihm aggressives Machogehabe hormonell bedingt innewohnt. Männer anderer Hautfarbe sollen dieses ja durchaus auch an den Tag legen - bei ihnen ist es aber als Teil ihrer kulturellen Identität erwünscht. Warum wurden wir nicht als Rasta-Männer geboren?

Heterosexualität ist prinzipiell erlaubt, obwohl man mit Schwulen viel besser Shoppen gehen kann. Anrüchig wird die heterosexuelle Veranlagung allerdings in Verbindung mit deutlich jüngeren Frauen (siehe oben) oder Angehörigen anderer Kulturkreise (siehe Ausbeutung Dritte Welt). Wer diesem Diktum - wie wir - als berufstätiger, Steuer zahlender, verheirateter Familienvater entgeht, darf gleichwohl nicht auf gehobenes Sozialprestige hoffen. Ganz im Gegenteil: Diese Spezies gilt als debiles Auslaufmodell christlicher Familienpolitik, so verklemmt wie die Heckklappe des familiengerechten Opel-Zafira nach einem Auffahrunfall.

Tagsüber bekommt man diesen Typus relativ selten zu Gesicht, weil er arbeiten muss. Die Kinder brauchen dennoch nicht auf ihn verzichten, weil er gleichzeitig als Witzfigur durchs Werbe-Fernsehen tölpelt. Beim dort dargebotenen exquisiten Lebensstil muss er leider draußen bleiben, weil er staatlicherseits für die Bereitstellung von Steuern und familienintern von Taschengeld vorgesehen ist. Der weiße, heterosexuelle Familienvater steht im Rufe einer gewissen Gewöhnlichkeit: Langweilig, bieder und selbst im Tod kein bisschen Glamour. Oder kann sich irgendjemand Lichterketten für Herzinfarkt-Opfer vorstellen?

Kein Wunder, dass der gemeine Mann und Vater sich rar macht. Irgendwie hat er keine Lust mehr den Haudrauf für die distinguierten Milieus zu geben. Wir freuen uns auf den Tag, an dem wir unter Naturschutz gestellt werden und einen vorderen Platz auf der Roten Liste zugewiesen bekommen. Um es mit Häuptling Seattle zu sagen: Erst wenn der letzte unserer Art die Zeugung von Nachwuchs und die Entrichtung von Abgaben eingestellt hat, werdet ihr begreifen, dass eine Volkswirtschaft nicht allein von Drag Queens, Hiphoppern und Gender-Beauftragten leben kann.

 

Erschienen in Die Welt vom 9.2.2004