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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Antje Vollmer
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Antje Vollmer

Hintergrund:
Bundestagsvizepräsidentin trat in Saudi-Arabien mit schwarzer Ganzkörpervehüllung auf.

 

Nackt trotz Verhüllung

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Männliche Augen schauen besonders gern auf bedrucktes Papier, wenn dort Frauen abgebildet sind. Da bilden wir keine Ausnahme. Deshalb fielen uns vergangene Woche zwei Fotos ganz besonders auf. Da waren fröhlich protestierenden Libanesinnen, die in Beirut für die Unabhängigkeit ihres Landes auf die Strasse gingen. Und dann gab es noch ein anderes Frauenfoto aus den Nahen Osten. Es zeigte Antje Vollmer, die Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, in Saudi Arabien. Dorthin begleitete sie den Bundeskanzler auf eine Akquisitionstour für Wirtschaftsaufträge. Frau Vollmer trug ein langes schwarzes Gewand, um den Kopf ein schwarzes Tuch. Das ganze heißt „Abaya“ und ist die staatlich vorgeschriebene Kleidung für Frauen.

Jedes der beiden Bilder für sich genommen sagt schon einiges aus, aber nebeneinander gelegt fügen die beiden Fotos sich zu einem aufschlussreichen Diptychon. Es erzählt eine Geschichte über Zukunft und Vergangenheit. Hier junge arabische Frauen, die mit Mut und offenen Haaren gegen das Bestehende aufbegehren. Dort eine der höchsten Repräsentantinnen einer westlichen Demokratie, die sich im vorauseilenden Gehorsam den Konventionen der ewig Gestrigen unterwirft. Das Ergebnis ist ziemlich paradox: Gerade wegen ihrer Verhüllung steht Frau Vollmer ziemlich nackt da. Die nicht vorhersehbare Duplizität der Ereignisse schärfte die Wahrnehmung.

Die deutsche Delegation erschien plötzlich auf dem falschen Trip. Während arabische junge Leute ihr Land befreien wollen, bewunderte Gerhard Schröder die Oldtimersammlung saudischer Despoten und ließ sich von jemenitischen Hofschranzen einen Krummdolch reichen. Als diese Reise vor längerer Zeit geplant wurde, konnte natürlich niemand ahnen, dass Libanesinnen im T-Shirt dem artig bedeckten deutschen Führungspersonal den Platz auf Seite eins streitig machen würden. Und doch erinnert es uns ein wenig an die späten achtziger Jahre. Als die damalige Regierung Honecker in Bonn empfing, und die damalige Opposition für gemeinsame Erklärungen mit der SED höfliche Formulierungen drechselte. Liebesdienerei dieser Art wurde fortgesetzt als die Mauer bereits wankte. Die Nicht-Wahrnehmung einer Zeitenwende ist ja durchaus nichts Neues.

Wir wissen natürlich nicht, wie sich die Dinge in den arabischen Ländern weiterentwickeln werden, aber es mehren sich doch hoffnungsfrohe Zeichen. Spätestens seit die Iraker trotz Todesdrohungen mehrheitlich zur Wahl gingen, sollte man auf Überraschungen gefasst sein. Oder sie wenigstens zur Kenntnis nehmen: Die Tatsache, dass nach dem verheerenden Bombenattentat im irakischen Hillah letzte Woche tausende von Bürgern gegen diesen Terror auf die Strasse gingen, war den meisten deutschen Medien keine Erwähnung wert.

Der Hunger nach Demokratie, Freiheit und Menschenrechten nagt an maroden Machtgefügen. In den USA wollen führende Republikaner und Demokraten deshalb gemeinsam einen „Advance Democracy Act“ einbringen, der es ermöglicht solche Bewegungen auch finanziell mehr zu unterstützen. Eine deutsche Bundestagsvizepräsidentin, die sich einem islamischen Verhüllungsdiktat unterwirft, setzt im Gegensatz dazu - gelinde gesagt - das falsche Zeichen. Vielleicht sollte Frau Vollmer mal eine afghanische Hochzeit in Deutschland besuchen. Eine Bekannte von uns, die aus beruflichen Gründen häufiger solchen Festen beiwohnt, schrieb uns folgende Zeilen: „Afghanische Frauen haben die Schnauze so was von voll vom Verschleiern und brezeln sich lieber auf bis zum Stehkragen. Das ist vielleicht ein Anblick! Glauben Sie mir (besonders als Männer), wenn Sie noch nie siebzig Afghaninnen in tief dekolletierten Kleidern gesehen haben, dann haben Sie umsonst gelebt!“ Und das wollen wir doch nicht.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 9.3.2005