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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Motivation
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Motivation

Hintergrund:
Eine Werbekampagne soll die Deutschen zu mehr wirtschaftlicher Aktivität animieren.

 

Wir sind nicht Deutschland

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Bis Januar wird sie uns noch begleiten, die Kampagne "Du bist Deutschland". Sie will "zu einer neuen Aufbruchstimmung in Deutschland beitragen", "Menschen bewegen" und "aufrütteln", so die Initiative "Partner für Innovation". Dafür blicken Prominente und Unbekannte von Plakaten und aus Fernsehschirmen und sprechen uns Mut zu: Wir könnten auch wie Max Schmeling sein, wie Goethe, oder Beate Uhse. So dynamische Erfolgstypen, die sich durchboxen, geistvoll dichten oder geile Ideen haben. Nun, geile Ideen haben wir manchmal, aber es reicht nicht, um eine Ladenkette darauf aufzubauen. Macht nichts, jeden Morgen geben wir uns einen Ruck und schreiten zuversichtlich in den trüben November um die Stimmung ein wenig aufzuhellen. Ja, wir sind Goethe, oder sogar Karl May. Aber irgendwie schlafft die Zuversicht dann wieder ab, wenn die Heizkostenabrechnung kommt, der Sohn eine Snowboardausrüstung begehrt und die Tochter einen Computer. Da hilft es uns überhaupt nichts, dass wir Deutschland sind.

Dann merken wir: Unser Patriotismus ist blutarm und lasch. Wir bleiben unverbesserliche Materialisten, die ihren kleinkarierten Lebensunterhalt wichtiger finden als das große Ganze. Hat das mit den marxistischen Einflüsterungen in unserer Jugend zu tun? Basis und Überbau? Das Sein, das das Bewusstsein macht? Wir werden wohl nie gute Idealisten, die zuerst an ihr Land denken und dann an sich.

"Du bist Deutschland" ist gut gemeint und kostet die Steuerzahler nichts. Die Werbeagenturen und die Prominenten machen das gratis, die Medienhäuser spendieren Sendezeit und Anzeigenraum. Und obwohl schon vor längerer Zeit konzipiert passt sie perfekt zum Geist der neuen großen Koalition, die uns nun regiert: Motivation durch gutes Zureden. Zwei Steuererhöhungsparteien möchten durch ihre weise Führung die Wirtschaft in Gang bringen und die Arbeitslosen von der Straße holen. Der Ansatz erinnert uns, an eine gescheiterte Initiativen-Idee des vergangenen Jahres, bei der Unternehmer das Arbeitslosenproblem lösen sollten, indem nur jeder von ihnen einen einzigen neuen Mitarbeiter einstellt. Man muss es nur wollen. Die "Du bist Deutschland"-Macher bemühen das Bild eines Autostaus. Wenn wir alle gemeinsam Gas geben, schreiben sie, löse sich der Stau auf. Pardon: Habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Dieser Vorschlag würde den Stau in eine Massenklarambolage verwandeln.

Womöglich sind wir nicht die einzigen schnöden Materialisten. Vielleicht wäre es besser, wenn mehr Menschen in Deutschland nicht an Deutschland sondern an sich denken. Zum Beispiel daran, wie sie mehr Geld verdienen könnten. Es wäre ihrer Aufbruchstimmung sicherlich dienlich, wenn sie dieses Geld dann auch zu einem Großteil behalten könnten, um es - noch mehr Zuversicht - zu investieren oder - da kommt der Aufschwung - für Dinge und Dienstleistungen auszugeben, mit denen andere mehr Geld verdienen, die auch an sich denken. Um ein berühmtes Zitat von Adam Smith abzuwandeln: Nicht vom Patriotismus des Metzgers, Bauern oder Bäckers erwarten wir, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eignen Interessen wahrnehmen. Der historische Erfolg des Kapitalismus wurde nicht durch Manifeste und Appelle hervorgebracht, sondern durch das Streben nach Eigennutz. Das mag moralisch misslich sein, hat jedoch - überall wo der Staat dieses Streben zuließ - zu Wohlstand und Wachstum geführt. Hätten all die Werbetexter, Grafiker, Fotografen und Webdesigner in der Zeit, die sie auf die Kampagne "Du bist Deutschland" verwendet haben, einen zusätzlichen bezahlten Auftrag akquiriert, wären vielleicht tatsächlich ein paar Jobs neu entstanden. Würden die Regierenden die große Umverteilungsmaschine etwas abbremsen und den Bürgern mehr ökonomische Freiheit zugestehen, könnten sie sich das Motivationsgesäusel sparen.

Die Krise existiert nicht, weil zu wenige Menschen an Deutschland denken. Sondern weil zu viele Menschen den Versuch aufgegeben haben, ihre eigene wirtschaftliche Lage aktiv zu verbessern und drauf bauen, dass Deutschland sich um sie kümmert. Und die, die es dennoch versuchen, kriegen beim ersten Erfolg ihren persönlichen "Du bist Deutschland"-Befehl vom Finanzamt zugestellt. "Jetzt wird aber in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt", hieß ein Schlager der achtziger Jahre, der sich über die patriotischen Appelle von damals lustig machte. Sie hatten gleich viel Wirkung wir die heutigen.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 25.11.2005