Was macht Ikea mit dem Menschen? Ein Gespräch mit einem Wohnpsychologen über das Glück, im richtigen Strom zu schwimmen.
Uwe Linke, Jahrgang 1965, absolvierte in England eine Ausbildung in Verkauf, Persönlichkeitsentwicklung und Management. Der ausgebildete Therapeut und Wohnberater besitzt selbst ein Einrichtungshaus in Passau. Derzeit widmet er sich vorrangig dem Thema Wohnpsychologie.
"Billy", das Volksmöbelstück. (© Foto: Ikea)
sueddeutsche.de: Zurzeit läuft in der Neuen Sammlung in der Münchner Pinakothek der Moderne eine Ausstellung zum Phänomen Ikea, Titel: "democratic design". Was fällt Ihnen zu diesem Begriff ein? Uwe Linke: Ein gelungenes "democratic design" ist gefällig und zweckorientiert, es trifft den Geschmack und die Anforderungen der meisten Menschen in den unterschiedlichsten Kulturen.
sueddeutsche.de: Was ist an der Philosophie eines Massenherstellers, der Billigmöbel verkauft, demokratisch? Linke: Viele Produkte werden dadurch, dass sie nicht individualisierbar angeboten werden, preisgünstiger und dadurch für wesentlich mehr Menschen erschwinglich. Ikea hat durchaus gutes Design anzubieten, und ist so zum Bauhaus des kleinen Mannes geworden.
sueddeutsche.de: Welche Nebenwirkungen können Möbel, die es weltweit in millionenfacher Ausführung gibt, auf Menschen haben? Linke: Es kann durchaus verbindend sein, zu wissen, dass auch ein Mensch in Frankreich oder New York die gleiche Couch oder Leuchte hat wie ich. Ich kann mich darüber freuen, dass jemand ein Produkt so gut gestaltet hat, dass Millionen daran Gefallen finden. Ein Individualist könnte jedoch auch gewisse Qualen dabei empfinden, dass er nichts Einmaliges besitzt.
sueddeutsche.de: Immer mehr Kunden besuchen Ikea einfach so, um sich zwischen Köttbullar und Kinderbetreuung zu beschäftigen. Was suchen und finden Menschen dort? Linke: Ikea vermittelt eine heimelige und familiäre Atmosphäre mit niedriger Schwellenangst: Jedes Produkt hat einen eigenen Namen. Das Personal, selbst der Filialleiter läuft mit T-Shirt herum, jeder duzt sich. Alles darf angefasst werden, für die Kinder wird gesorgt. Das Einkaufen erscheint dadurch irgendwie andersartig, selbst das Essen wirkt attraktiv, obwohl es das nicht ist.
sueddeutsche.de: Klingt nach Alice im Wunderland. Linke: Natürlich manipuliert Ikea die Kunden, indem ein vermeintlicher Bedarf geschaffen wird, aber es macht eben mehr Spaß als in einem herkömmlichen Einrichtungshaus. Überall erhält man den Eindruck, dass das Leben ein einziges buntes, leichtes und spannendes Sichtreibenlassen ist. Das macht an und bringt auf andere Gedanken.
sueddeutsche.de: Welches Gefühl nimmt der Kunde mit nach Hause, wenn er zugreift? Linke: Ein zufriedenes. Durch die zahlreichen Angebote und Aktionen stellt Ikea eine klebrige Falle für Schnäppchenjäger und fängt mit Erfolg gerade auch den deutschen Kunden. Mit diesen Produkten kann man "nichts falsch machen". Der Kunde kann sich jede Ausgabe rational erklären, selbst wenn er rein emotional gehandelt hat.
sueddeutsche.de: Haben Ikea-Möbel also positiven Einfluss auf unseren Gemütszustand? Linke: Nicht nur. Ein Möbel, das ich nicht zusammenbauen kann, weil es nicht perfekt gemacht ist, kann durchaus frustrieren, aber sicher keinen Amoklauf provozieren. Der Frust bleibt überschaubar. Gut für die Seele wirken sich alle Dinge aus, über die ich mich freue, egal woher, egal wie teuer. Es hat mit meiner Einstellung zu tun.
sueddeutsche.de: A propos Zusammenbauen - hat das Ritual des Schraubens nicht auch etwas Meditatives, Kreatives? Oder ist es einfach nur nervtötend? Linke: Die Erfahrung, beim Zusammenbauen etwas selbst fertiggebracht zu haben, stärkt das Selbstwertgefühl und erfreut auch durch die Erkenntnis, dass die Möbel dadurch besonders preiswert sind. Die Deutschen basteln gerne und regen sich nicht zu Unrecht über hohe Handwerkerlöhne auf.
sueddeutsche.de: Aber viele Kunden schimpfen eher über das Selberschrauben. Warum nehmen sie es dennoch immer wieder bereitwillig in Kauf? Linke: Das liegt an der Käuferschicht: Menschen über 45 pfeifen darauf, etwas selbst zu machen und schlagen sich auf die Brust, wenn sie etwas "machen lassen". Der typische Ikea-Kunde hingegen ist der Ersteinrichter, der noch Spaß am Tüfteln hat.
sueddeutsche.de: Was würden Sie von einem Menschen halten, der - als finanzkräftiger "Zweit- oder Letzteinrichter" - seine Wohnung großteils mit Ikea gestaltet? Linke: Das wäre so, als würde Herr Ude in einem Golf vorfahren - er wäre ein gutes Vorbild für Sparsamkeit, strahlt aber Unglaubwürdigkeit für einen Großstadt-OB aus. Und man würde denken, dass sich dieser Mensch nichts traut und immer mit dem Strom schwimmt, damit er keine eigene Position beziehen muss.
sueddeutsche.de: Worin liegt für Sie das Geheimnis der Ikea-Philosphie? Linke: Ikea war nie so provokativ wie beispielsweise Benetton. Die Schweden vollführten in jedem Land eine langsame, aber konstante Entwicklung, die den jeweiligen landestypischen Bedürfnissen angepasst war. Und sie machten es auf leisen Sohlen und sehr geschickt.
sueddeutsche.de: Ewiges Ärgernis: Man schafft es einfach nicht, bei Ikea "nur mal zu gucken" oder sich auf das ursprünglich Benötigte zu beschränken. Was bringt die Kunden dazu, immer wieder zuzugreifen, obwohl sie nichts wollen?
Linke: Viele der Produkte verführen durch zahlreiche Aktionen, vermeintliche Schnäppchen und psychologisch geschickte Aufmachung. Ikea ist vom Wesen her eine Frau, die lockt, verführt und die Fahne des leichten und lockeren Lebens auf ihren sexy Kurven schwingt. Das Hauptgeschäft macht der Konzern auch längst mit Accessoires, die eine noch niedrigere Einstiegsschwelle als Möbel haben.
sueddeutsche.de: Wie jetzt: verführerische Frau, sexy Kurven? Ich dachte, Ikea sei das "Bauhaus des kleinen Mannes"? Linke: Sicher, damit meinte ich die Möbel als Investitionsgüter. Aber was die Accessoires betrifft, verführt Ikea - da gibt es keinen Zweifel.
(sueddeutsche.de/bgr/mmk)
Zitat:sueddeutsche.de: Was würden Sie von einem Menschen halten, der - als finanzkräftiger "Zweit- oder Letzteinrichter" - seine Wohnung großteils mit Ikea gestaltet?
Linke: Das wäre so, als würde Herr Ude in einem Golf vorfahren - er wäre ein gutes Vorbild für Sparsamkeit, strahlt aber Unglaubwürdigkeit für einen Großstadt-OB aus. Und man würde denken, dass sich dieser Mensch nichts traut und immer mit dem Strom schwimmt, damit er keine eigene Position beziehen muss.
Wieso liegt in der Sparsamkeit Unglaubwürdigkeit? Mit Verlaub, hier leisten sie sich einen völligen Aussetzer. Von einem Großstadt-OB würde ich die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erwarten, ein Golf geht noch, die Luxuskarosse oder Strechlimousine dagegen ist völlig inakzeptabel.
Leider wirds in ihrem zweiten Satz nicht besser: "...mit dem Strom schwimmen, damit er keine eigene Position beziehen muß." Ist Ihnen vielleicht mal der Gedanke gekommen, dass auch eine Wohnung mit schwedischen Möbeln eine Position beziehen kann? Oder hängt Ihre Wertung über das Position beziehen an der Höhe der Ausgaben und nicht am Design und Arrangement einer Einrichtung? Wesentlich mehr Character und "Position" drückt die Gestaltung und Anordnung der Wohnung aus, als das Preisetikett der einzelnen Stücke.
Vielleicht sollte die SZ das nächste Mal jemanden fragen, der sein Geschäftskonzept nicht an der Individualität und dem Neidempfinden der finanzkräftigen Klientel ausrichtet, sondern sich eher mit Design und Ausdruck beschäftigt.
Bauhaus wurde ja eigentlich entwickelt, damit sich die breite Masse Design leisten kann. Insofern ist Ikea eher eine Fortführung des Bauhaus-Gedankens.
Ich kaufe bei Ikea nur Accessoires, weil ich festgestellt habe, dass Qualität einfach ihren Preis hat. Und ein Ikea-Regal ist nicht die Art Qualität, die mir vorschwebt. LIeber einmal einen Batzen Geld ausgeben z. B. für ein Regal aus massiver Buche, als immer nur Schrott kaufen. Ist auf die Dauer billiger und umweltverträglicher ist es auch.
Ikea= Bauhaus des kleinen Mannes, das ist für mich eine zu simple und zudem auch nicht zutreffende Erklärung. "Der kleine Mann" kauft nämlich immer noch in herkömlichen Möbelhäusern ein, in denen entweder die übliche deutsche Spießigkeit oder ein schamlos geklautes und gleichzeitig auf Gefälligkeit verändertes Design miefige Urstände feiert.
Ikea ist m.E. deshalb so erfolgreich, weil es den herkömmlichen Geschmack eben nicht widerspiegelt, sondern eine Alternative zum sonstigen erschwinglichen Angebot darstellt.
"Bauhaus" ist dem Durchschnittsverdiener - und zu dem gehört keineswegs nur"der kleine Mann" - mehrere Nummern zu teuer und deshalb kauft er bei Ikea.
Es gibt noch eine Zwischenstufe und das sind gewisse Einrichtungshäuser, die besonders flippige Sachen in ausgezeichnetem Design anbieten. Nachdem ich aber seinerzeit in einem solchen ein Sofa kaufte, das nach wenigen Monaten in sich zusammenbrach - war auch kein Orginal, sondern ein haargenau abgekupfertes eines berühmten italiensichen Designer - hab ich mir eines von Ikea gekauft und das hält und hält und hält.
Liebe SZ,
dies ist eigentlich mein liebstes Nachrichtenportal und ich weiß ja auch, dass wir eine Anzeigenkrise haben. Aber die Werbung auf Ihrer Seite wird immer penetranter. Ich möchte keine Werbung mit Narben neben und unter und in jedem Artikel sehen. Ich empfinde das als ekelhaft und geschmacklos. Wenn der Nerv-Faktor Ihrer Seite den Informationsfaktor übersteigt, dann...
"Linke: Es kann durchaus verbindend sein, zu wissen, dass auch ein Mensch in Frankreich oder New York die gleiche Couch oder Leuchte hat wie ich. Ich kann mich darüber freuen, dass jemand ein Produkt so gut gestaltet hat, dass Millionen daran Gefallen finden. Ein Individualist könnte jedoch auch gewisse Qualen dabei empfinden, dass er nichts Einmaliges besitzt."
Ich finde es leider sehr traurig, wie im letzten Satz erwähnt die Individualisierung durch diese billige Massenware aufzugeben. Sicher ist Varianz bei IKEA möglich aber ein wirkliches Novum wird bei Umzügen oder Housewarmingparties fasst schon nicht mehr erwartet.