Im Nordosten Somalias haben Piraten das Sagen. Niemand unternimmt etwas gegen sie – sie geben Arbeit, sorgen für einen Wirtschaftsboom und schmieren alle
Somalische Seeräuber bewachen Geiseln auf einer gekaperten französischen Jacht. Elitesoldaten stürmen später das Boot und töten die Piraten
© ecpad/AFP/Getty Images
Auf den staubigen Straßen zwischen Garowe und Eyl gibt es keine Asphaltdecken, keine Mittelstreifen, keine Straßenlaternen. Im Nordosten Somalias, in der halbautonomen Region Puntland, die sich rund ums Horn von Afrika erstreckt, gibt es nur formal eine Regierung. Weder sie noch ihre Institutionen noch Puntland selbst sind international anerkannt. Und was am Sitz der Regierung in Garowe getan wird, das entscheiden die wirklich mächtigen Männer im Land: Männer wie Hassan Abdi (Name geändert), einer der Hintermänner der Piraten.
Zwischen Garowe und Eyl ist er mit einem neuen, stets auf Hochglanz polierten Landcruiser unterwegs. Nicht weit von Eyl hat Abdi sich gerade eine neue Villa gebaut. "Mein erstes Schiff habe ich vor sechs Jahren gekapert", erinnert Abdi sich. "Es war ein Fischerboot, damals haben wir 50.000 US-Dollar dafür bekommen. Mein Gott, das kam uns vor wie viel Geld!" Abdi hat sich hochgearbeitet, vom Handlanger in einem der Boote, die zum Kapern hinausfahren, bis zu einem Anführer der Seeräuber. Dass der bullige Mann ein Interview gibt, umgeben von zwei Bodyguards, ist Beweis seines Selbstbewusstseins. In Garowe und Bosasso, der größten Hafenstadt Puntlands, ist Abdi als 'Businessman' geachtet. Er bestellt bei örtlichen Werften Schnellboote aus Fiberglas. Anstelle von Außenbordern bauen sie LKW-Motoren ein, die eine Schiffsschraube antreiben. So kommen die Boote richtig auf Touren.
Abdi kauft Lebensmittel für die Geiseln, die seine Gruppe festhält. Er importiert Waffen und Khat, das Rauschkraut, das seine Söldner bei der Stange hält. Und er beschäftigt Hunderte Jugendliche, die sonst keinen Job hätten. Einen Teil seiner Gewinne – einmal, sagt er, habe er bei einer einzigen Entführung eine viertel Million Dollar gemacht - investiert er in der Region. Er baut Häuser, Restaurants, Kneipen, Bordelle. Abdi ist ein Held, einer, der dafür gesorgt hat, dass in einer von 18 Jahren Bürgerkrieg gezeichneten Region eine Boomtown neben der anderen entsteht. "Der Wilde Westen ist nichts gegen uns", sagt Abdi und lacht.
Nach seinem Interview in einem Teehaus steht er auf und geht gemächlichen Schrittes zu seinem Wagen. Kurz bleibt er stehen, um zu einem Freund an einem anderen Tisch zu sprechen. Es sieht nicht so aus, als würde Abdi sich vor irgendetwas fürchten. "Einmal war ich verhaftet und saß in Garowe im Gefängnis", gibt Abdi zu. "Aber meine Familie hat sich ein paar Waffen genommen, das Gefängnis attackiert und mich und andere Piraten befreit." Solche Befreiungsaktionen gibt es immer wieder.
Piraterie am Horn von Afrika
- Somalia
In dem ostafrikanischen Land kämpfen verschiedene Stämme, Islamisten, Warlords und die Truppen der Übergangsregierung um die Macht. Somalia gilt als zerfallener Staat. Eine Marine besitzt das Land nicht – die Piraten konnten vor der somalischen Küste ungestört operieren. Deswegen hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Staatengemeinschaft um Hilfe gebeten.
Mehrere UN-Mitglieder, die EU und die Nato haben Kriegsschiffe entsandt, um die Seeräuber zu jagen. Durch das Seegebiet vor Somalia und den Golf von Aden führt eine Route zum Suez-Kanal, der den Indischen Ozean über das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbindet. Der Weg ist für den Welthandel von großer Bedeutung.
- Atalanta
Der Rat der Europäischen Union hat zur Bekämpfung der Piraterie vor Somalia die Operation Atalanta beschlossen. Der Einsatz begann am 8. Dezember 2008 und soll mindestens ein Jahr lang dauern. Der EU-Verband besteht aus drei Fregatten, einem Unterstützungsschiff und drei Seeaufklärungsflugzeugen.
Die deutsche Marine beteiligt sich mit einer Fregatte an der Mission. Das Hauptquartier der Operation liegt im englischen Northwood. Die Niederlande, Griechenland und Spanien wechseln sich vor Somalia mit dem Kommando ab.
- Marine
Am ersten Weihnachtstag des vergangenen Jahres kam die deutsche Marine erstmals einem Handelsschiff zur Hilfe, das von Piraten attackiert worden war. Der Bordhubschrauber der Fregatte Karlsruhe vertrieb die Angreifer. Die Karlsruhe kehrte mittlerweile nach Deutschland zurück und die Fregatte Rheinland-Pfalz sichert nun die Seewege vor Somalia.
Das Schiff liegt im Hafen vor Djibuti, wenn es nicht im Golf von Aden patrouilliert. An Bord der Fregatte sind zwei Hubschrauber stationiert. Bis zu 1400 Soldaten kann die Marine für die Mission Atalanta einsetzen. Das Einsatzgebiet umfasst 500 Seemeilen vor der Küste Ostafrikas.
- Recht
Auf Hoher See dürfen Kriegsschiffe Piratenschiffe oder durch Seeräuber geenterte Schiffe aufbringen, die Kriminellen festnehmen und die Beute beschlagnahmen. Das regelt Artikel 105 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982.
Der Sicherheitsrat der UN hat diese Befugnis mit seiner Resolution 1816 Ende vergangenen Jahres auf die Küstengewässer Somalias ausgedehnt. Der Bundestag hat am 19. Dezember 2008 ein Mandat für deutsche Kriegsschiffe beschlossen. Eine Fregatte soll die EU-Mission Atalanta unterstützen.
Ein Auslieferungsvertrag der EU mit Kenia ermöglicht es den Staaten, die an Atalanta teilnehmen, festgenommene Seeräuber an kenianische Behörden zu übergeben. Deutschland hat bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
- OEF
Die OEF ist die zweite internationale Mission, an der sich Deutschland am Horn von Afrika beteiligt. Der Auftrag dieser Operation bleibt die Bekämpfung von Terroristen und die Überwachung der Handelswege zur arabischen Halbinsel. Die Bundesregierung beteiligt sich an der Mission mit Seeaufklärern vom Typ P-3C Orion und mit Kriegschiffen. Die Rahmenbedingungen der Operation Enduring Freedom sehen keinen Einsatz gegen Piraten vor.
Schiffe, die im Rahmen der OEF auf See sind, dürfen nur Nothilfe leisten und Frachter aus unmittelbarer Gefahr retten - beispielsweise, wenn Seeräuber versuchen, an Bord zu gelangen. Momentan unterstützt die Fregatte Rheinland-Pfalz den Anti-Terror-Einsatz, sie löste die Mecklenburg-Vorpommern ab. Bis Ende April übernimmt Deutschland die Führung der OEF-Einsatzkräfte vor Ort.
- Hilfe
Eine weitere wichtige Aufgabe der internationalen Kriegsschiffe vor Ort ist der Schutz der Transportschiffe, die im Auftrag des Welternährungsprogramms Lebensmittel nach Somalia bringen. Piraten haben in der Vergangenheit mehrfach deren Schiffe überfallen und die Ladung sowie die Besatzung als Geiseln genommen.
Erst nach Lösegeldzahlungen ließen sie die Schiffe wieder frei. Viele der 3,2 Millionen Einwohner Somalias sind im täglichen Überlebenskampf auf Hilfslieferungen angewiesen. Der seit Jahren andauernde Bürgerkrieg hat die meisten Anbauflächen und Lager zerstört. Rund 90 Prozent der Hilfslieferungen erreichen Somalia über den Seeweg. Auch die Bundeswehr hat den Auftrag, die Schiffe des Welternährungsprogramms zu beschützen.
Die Regierung von Abdirahman Mohamud Farole, gewählt mit dem Versprechen, der Korruption im Land ein Ende zu machen, hat bislang keinen Versuch gemacht, gegen die Piraten vorzugehen. Angeblich soll Farole wie sein Vorgänger Adde Musa Kontakte zur CIA unterhalten, die in Bosasso extremistische Islamisten überwacht. Mit Piraten beschäftigen sich die amerikanischen Agenten nicht. "Die puntländische Regierung profitiert von der Piraterie, direkt und indirekt", weiß ein Journalist, der für den puntländischen Sender Radio Garowe arbeitet. Seinen Namen will er nicht nennen, in Puntland kennt jeder jeden. "Die Piraten zahlen eine Art Steuer an die Behörden, damit sie gar nicht erst versuchen, lästig zu werden", sagt er. Im Ernstfall, das wissen alle, hätten die wenigen Sicherheitskräfte, die vor allem den Präsidentenpalast in Garowe bewachen, gegen die hochgerüsteten Piraten sowieso keine Chance.
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In Puntland ist die Piraterie zum mit Abstand wichtigsten Wirtschaftssektor avanciert. 30 Millionen Dollar Lösegeld sollen Piraten in diesem Teil Somalias im vergangenen Jahr gemacht haben, der puntländische Haushalt beträgt etwa 20 Millionen. In Piratennestern wie Eyl, vor wenigen Jahren noch eine Ansammlung von kläglichen Fischerhütten, hat sich rund um das Kerngeschäft eine rege Dienstleistungsindustrie entwickelt. Sobald die Seeräuber - selten mehr als zehn Mann - ein neues Schiff gekapert haben, läuft eine wohl geölte Maschinerie an, berichtet ein somalischer Journalist, der nur Abdullahi genannt werden möchte. "Männer ziehen Anzüge und schicke Schuhe an, werfen Laptops in ihre Landcruiser und fahren zum Hafen, um auf die ankommende Besatzung zu warten." Die einen erklären sich flugs zu Verhandlungsführern, andere zu Finanzverwaltern. Im Dorf warten unterdessen Köche darauf, das lukrative Catering für die Geiseln zu übernehmen. "Wer schießen kann, übernimmt Wache: gut 50 auf dem Schiff, noch mal 50 davor." Jede helfende Hand wird entlohnt, sobald das Lösegeld fließt. Von den Millionensummen, die inzwischen bezahlt werden, bekommen manche Helfer gerade mal einen 20-Dollar-Schein ab. In Puntland ist das immer noch viel Geld.
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