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Patentjurisprudenz auf Schlitterkurs -- der Preis für die Demontage des Technikbegriffs
Tag der Bananen-Union

Bisher gehören Computerprogramme ebenso wie andere Organisations- und Rechenregeln in Europa nicht zu den patentfähigen Erfindungen, was nicht ausschließt, dass ein patentierbares Herstellungsverfahren durch Software gesteuert werden kann. Das Europäische Patentamt und einige nationale Gerichte haben diese zunächst klare Regel jedoch immer weiter aufgeweicht. Dadurch droht das ganze Patentwesen in einem Morast der Beliebigkeit, Rechtsunsicherheit und Funktionsuntauglichkeit zu versinken. Dieser Artikel gibt eine Einführung in die Thematik und einen Überblick über die rechtswissenschaftliche Fachliteratur.
Wenn Sie ganz eigenständig etwas entwickeln, können Sie niemals anderer Leute Urheberrecht verletzen. Sie können sich jedoch sehr wohl an Patenten stoßen. Patente sind mitunter weit reichende Ausschlussrechte (Monopole), die im Gegenzug für Offenbarungen von technischem Wissen erteilt werden. Es besteht jedoch wenig Anlass zu der Annahme, dass Monopole auf neue Ideen aller Art dem Gemeinwohl dienen. Wenn der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 GG) überhaupt zu rechtfertigen ist, dann nur unter allerlei einschränkenden Bedingungen. Die europäische Patentjurisprudenz hat zur Eingrenzung der patentfähigen Erfindungen folgende Unterscheidungen entwickelt:

[----- TECHNIK VS GEIST, KERN VS UMSETZUNG _____]Welt der Dinge (blau) vs Welt des Geistes (rot): physische Kausalität vs logische Funktionalität: konkret vs abstrakt: leichte Nachahmung aufwendiger Innovation vs aufwendige Nachahmung leichter Innovation
Kern vs Umsetzung: Jede neue Lehre, egal wie abstrakt und immateriell, wird letztlich mit bekannten Verfahren in etwas physisches umgesetzt. Es genügt nicht, dass das Ergebnis als ganzes neu und physisch ist. Der Kern muss die Prüfungen bestehen.

Der Kongress ist befugt . . . den Fortschritt der Wissenschaften und der nützlichen Künste zu fördern, indem er Urhebern und Erfindern Ausschlussrechte an ihren Schriften beziehungsweise Entdeckungen sichert.

Verfassung der USA --- Artikel I, Abschnitt 8

If our objective is to maximize economic growth, are we striking the right balance in our protection of intellectual property rights? Are the protections sufficiently broad to encourage innovation but not so broad as to shut down follow-on innovation? Are such protections so vague that they produce uncertainties that raise risk premiums and the cost of capital? How appropriate is our current system --- developed for a world in which physical assets predominated --- for an economy in which value increasingly is embodied in ideas rather than tangible capital?

Alan Greenspan 2003/04/04: Market Economies and Rule of Law

Netzwerkbasiertes Verkaufssystem mit
  • wenigstens einem Käufercomputer, zu bedienen durch einen Benutzer, der ein Produkt zu kaufen wünscht,
  • wenigstens einem Händlercomputer und
  • wenigstens einem Zahlungscomputer,
  • wobei der Käufercomputer, der Händlercomputer und der Zahlungscomputer durch ein Computernetzwerk verbunden sind,
  • der Käufercomputer programmiert ist, eine Benutzeranforderung für den Kauf eines Produktes zu empfangen und das Versenden einer Zahlungsnachricht, die eine Produktkennung zur Identifizierung des Produkts enthält, an den Zahlungscomputer zu veranlassen,
  • der Zahlungscomputer programmiert ist, die Zahlungsnachricht zu empfangen und die Erzeugung einer Zugangsnachricht, die die Produktkennung und eine Zugriffsnachricht-Authentifizierung auf der Grundlage eines kyptographischen Schlüssels enthält, und das Versenden der Zugangsnachricht an den Händler-computer zu veranlassen, und
  • der Händlercomputer programmiert ist, die Zugangsnachricht zu empfangen, die Zugangsnachricht-Authentifizierung zu verifizieren, um sicherzustellen, daß die Zugangsnachricht-Authentifizierung mit Hilfe des kyptographischen Schlüssels erzeugt wurde, und das Versenden des Produkts an den Käufer zu veranlassen, der das Produkt zu kaufen wünscht.

EP803105: Verkaufssystem für ein Netzwerk, Anspruch 1 wie vom Europäischen Patentamt im Jahre 2002 erteilt.

Viele im Zusammenhang mit Softwarepatenten diskutierten Probleme entspringen dem Widerspruch zwischen den wesentlichen Eigenschaften der Software, nämlich Abstraktheit, Allgemeinheit und logische Natur, und den Anforderungen an Patentansprüche, nämlich Konkretheit, Besonderheit und physische Substanz.

TAMAI Tetsuo: Abstraction orientated property of software and its relation to patentability

Soweit die Gesetze der Mathematik sich auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher. Soweit die Gesetze der Mathematik sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.

Albert Einstein

Was gesteuert werden kann, ist nie vollkommen wirklich. Was wirklich ist, kann nie vollkommen gesteuert werden.

Ilya Prigogine, angelehnt an Vladimir Nabukov

Gegenstand der reinen Physik ist die Entfaltung der Gesetze der verstehbaren Welt; Gegenstand der reinen Mathematik ist die Entfaltung der Gesetze des menschlichen Verstandes.

J. J. SYLVESTER

Informatik (computer science) hat nicht mehr mit Rechenmaschinen zu tun als Astronomie mit Teleskopen.

Edsger Dijkstra

Die menschliche Verstandestätigkeit gehört jedenfalls nach den Anschauungen unserer Zeit nicht zu den beherrschbaren Naturkräften. ... Wenn der Bundesgerichtshof das menschliche Denken nicht dem Begriff der Technik zuordnen will, weil dieser damit seiner "spezifischen und unterscheidenden Bedeutung" beraubt würde, so ist das keine willkürliche inhaltliche Begrenzung dieses Begriffs für den Bereich des Patentrechts, sondern eine konsequente Übernahme der Anschauungen, die sich in Naturwissenschaften und Technik selbst entwickelt haben.

Gert Kolle 1977: Technik, Datenverarbeitung und Patentrecht -- Bermerkungen zur Dispositionsprogramm - Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Stets ist aber die planmäßige Benutzung beherrschbarer Naturkräfte als unabdingbare Voraussetzung für die Bejahung des technischen Charakters einer Erfindung bezeichnet worden. Wie dargelegt, würde die Einbeziehung menschlicher Verstandeskräfte als solcher in den Kreis der Naturkräfte, deren Benutzung zur Schaffung einer Neuerung den technischen Charakter derselben begründen, zur Folge haben, dass schlechthin allen Ergebnissen menschlicher Gedankentätigkeit, sofern sie nur eine Anweisung zum planmäßigen Handeln darstellen und kausal übersehbar sind, technische Bedeutung zugesprochen werden müsste. Damit würde aber der Begriff des Technischen praktisch aufgegeben, würde Leistungen der menschlichen Verstandestätigkeit der Schutz des Patentrechts eröffnet, deren Wesen und Begrenzung nicht zu erkennen und übersehen ist.

...

Es verbietet sich demnach, den Schutz von geistigen Leistungen auf dem Weg über eine Erweiterung der Grenzen des Technischen -- die auf deren Aufgabe hinauslaufen würde -- zu erlangen. Es muss vielmehr dabei verbleiben, dass eine reine Organisations- und Rechenregel, deren einzige Beziehung zum Reich der Technik in ihrer Benutzbarkeit für den bestimmungsgemäßen Betrieb einer bekannten Datenverarbeitungsanlage besteht, keinen Patentschutz verdient. Ob ihr auf andere Weise, etwa mit Hilfe des Urheber- oder des Wettbewerbsrechts, Schutz zuteil werden kann, ist hier nicht zu erörtern.

Bundesgerichtshof 1976: Dispositionsprogramm-Beschluss

Programme für Datenverarbeitungsanlagen können verschiedene Formen haben, beispielsweise Algorithmen, Flussdiagramme oder Serien codierter Befehle, die auf einem Band oder anderen maschinenlesbaren Aufzeichnungsträgern gespeichert werden können; sie können als Sonderfall entweder für eine mathematische Methode oder eine Wiedergabe von Informationen betrachtet werden. Wenn der Beitrag zum bisherigen Stand der Technik lediglich in einem Programm für Datenverarbeitungsanlagen besteht, ist der Gegenstand nicht patentierbar, unabhängig davon, in welcher Form er in den Ansprüchen dargelegt ist. So wäre z.B. ein Patentanspruch für eine Datenverarbeitungsanlage, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das besondere Programm in ihr gespeichert ist, oder für ein Verfahren zum Betrieb einer durch dieses Programm gesteuerten Datenverarbeitungsanlage in Steuerabhängigkeit von diesem Programm ebenso zu beanstanden wie ein Patentanspruch für das Programm als solches oder für das auf Magnettonband aufgenommene Programm.

...

Bei der Prüfung der Frage, ob eine Erfindung vorliegt, muss der Prüfer ... die Form oder die Art des Patentanspruchs außer acht lassen und sich auf den Inhalt konzentrieren, um festzustellen, welchen neuen Beitrag die beanspruchte angebliche

"Erfindung"
zum Stand der Technik leistet. Stellt dieser Beitrag keine Erfindung dar, so liegt kein patentierbarer Gegenstand vor. Dieser Sachverhalt ist durch [obige] Beispiele anhand verschiedener Wege zur Beanspruchung eines Programms für eine Datenverarbeitungsanlage erläutert.

EPA 1978: Pr|fungsrichtlinien

Ist Software nun schließlich patentierbar?

Zweifellos noch nicht.

In Wirklichkeit sind die Gesetzesregeln des Übereinkommens und der nationalen Gesetze klar: Sie fordern unmissverständlich die Nicht-Patentierbarkeit von Software. Das Spiel, das heute gespielt wird, besteht darin, in einer oder der anderen Weise diese Regeln zu verdrehen, z.B. indem man sich, wie oben beschrieben, die Gesamtheit aus Hardware und Software als eine virtuelle Maschine denkt, die (künftig ...) patentierbar sein könnte. Unter dieser Voraussetzung kann man dann patentrechtlich argumentieren. Die auf diese Weise auf dem einen oder anderen Wege erhältlichen Patente haben allerdings nur denjenigen Wert, den man ihnen beimisst --- oder der sich durch einen Konsens ergibt, dieser Frage nicht genauer nachgehen zu wollen. Tatsächlich kann die Verdrehung der Gesetzesregeln nur insoweit Wirkung entfalten, wie sich ein Konsens darüber herstellen lässt, ob man dieses Spiel gegen die bestehenden Gesetzesregeln spielen soll oder nicht. Hierbei handelt es sich nicht mehr um eine juristische Frage im strengen Sinne.

Prof. Michel Vivant, Lamy Droit Informatique 1998
Ein bloßer Blick auf die Ergebnisse der Softwarepatentierung in Europa und die wirtschaftswissenschaftlichen Studien ihrer Wirkungen auf Innovation und Wettbewerb genügt, um die meisten Leute davon zu überzeugen, dass hier irgend etwas schwer in Unordnung ist. Einige versprechen, all dies sei nur eine Übergangserscheinung, die durch bessere Methoden der Patentrecherche überwunden werden könne. Andere weisen darauf hin, dass selbst wenn dieses Jahrzehnte alte Dauerproblem der Neuheitsprüfung morgen gelöst werden könnte, uns damit kaum geholfen wäre: es gab noch nie wirklich brauchbare Erfindungshöhe-Standards und, selbst wenn man sie morgen etablieren könnte, hätten sie einen schweren Stand gegen die Neigung der Patentämter, "unseren Kunden einen guten Gegenwert für ihr Geld zu liefern", wie ein hoher europäischer Patentfunktionär es kürzlich ausdrückte.

Aber auch hier liegt nicht der Kern des Problems. Selbst wenn hohe Standards der Neuheit und Erfindungshöhe zum Funktionieren gebracht werden könnten, bliebe uns die Frage nicht erspart, wofür Patente erteilt werden sollen und wie dieser Bereich abzugrenzen ist. Patente sind recht grobe Monopolrechte, die wir nicht unbedingt für alle pfiffigen Neuerungen erteilt sehen wollen. Oder soll es Patente für politische Methoden geben? Geschäftsverfahren? Argumentationsketten? Alles irgendwie geschäftlich verwertbare? Alles, wofür Patentämter Prüfer einzustellen bereit sind? Diese Frage wurde bislang mit dem Begriff der "technischen Erfindung" beanwortet, d.h. mit der Forderung, dass eine patentfähige Erfindung uns nicht einfach eine neue Idee lehren soll sondern eine neue Art, Ideen in Naturkräfte umzusetzen, also eine physische und nicht eine logische Problemlösung.

Vielfältige Gründe sprechen für diese traditionelle Grenzziehung zwischen logischer Idee und physischer Umsetzung.

Es gibt auf der einen Seite Fragen, die wir an die Welt der Dinge, oder, etwas enger, die Welt der beherrschbaren Naturkräfte, richten. Jede neue Antwort auf eine solche Frage wird relativ schwierig zu finden sein und die Verwendung materieller Gegenstände sowohl beim Suchen nach der Lösung als auch bei ihrem Einsatz erfordern. Sowohl die Erforschung als auch die Umsetzung solcher "technischer Problemlösungen" erfordert i.d.R. eine aufwendig regulierte industrielle Organisation. Es entstehen materielle Erzeugnisse, deren minimaler Stückpreis (Grenzkosten) über Null liegt. Diesem Stückpreis lassen sich Lizenzgebühren hinzufügen. Die zusätzliche Reglementierung des Marktgeschehens durch Patente kann zwar zu Überteuerungen und anderen schmerzhaften Marktstörungen führen, aber zwischen dem industriellen Grundaufwand und dem patentbedingten Zusatzaufwand bleibt zumindest eine gewisse Verhältnismäßigkeit gewahrt.

Auf der anderen Seite gibt es Fragen, die wir an die Welt des Geistes, d.h. die menschlichen Verstandeskräfte und die von ihnen aufgebauten axiomatischen Systeme richten. Die Antwort auf eine solche Frage liegt in einer neuen Organisations- und Rechenregel, die mit rein geistigen Mitteln auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist. Oft gelingt dabei ein 100% zuverlässiger mathematischer "Beweis", wie es ihn in der Welt der Dinge nicht gibt.

Die Trennung dieser beiden Welten bereitete vor 50 Jahren noch in den meisten Fällen keine auffälligen Probleme. Dennoch gab es schon immer schwierige Fälle, und hochentwickelte Methoden zur Trennung des Geistigen vom Dinglichen wurden von Patentrechtsgelehrten bereits im 19ten Jahrhundert veröffentlicht und diskutiert.

Allmählich griffen die beiden Welten immer weiter ineinander. Die "Maschinenlogik" (software) wurde gegenüber der "Maschinenphysik" (hardware) immer eigenständiger und gewann spektakulär an wirtschaftlicher Bedeutung -- ohne dass deshalb der Fortschritt im Bereich des Physischen unbedeutend geworden wäre. Dank der Mittlung durch den Neumannschen Universalrechner wurde die Trennung zwischen Logikalien und Physikalien jedoch klarer, und immer mehr Probleme konnten auf Logik reduziert werden.

Schon früh wurden deshalb einige Patentanwälte unruhig und meinten: Wenn maschinelle Vorgänge patentierbar sind, warum soll es dann für die Patentierbarkeit etwas ausmachen, ob sie auf analogen oder auf digitalen Geräten ablaufen? Soll das Patentwesen etwa in der digitalen Zukunft an den Rand gedrängt werden?

Dem hielten andere entgegen: wenn Organisations- und Rechenregeln keine technischen Erfindungen sind, warum soll es dann etwas ausmachen, ob ich sie in meinem Kopf, mit Bleistift und Papier, mit dem Abakus oder mit dem üblichen Werkzeug der digitalen Zivilisation, dem Universalrechner ausführe? Soll in der digitalen Zukunft etwa die Freiheit des Geistes an den Rand gedrängt werden?

Bei genauerer Betrachtung muss man dem zweiten Argument recht geben. Denn die ökonomische Begründung für die Begrenzung des Patentwesens greift auch hier: abstrakte Ideen (Algorithmen) werden, egal ob sie auf technische Vorgänge abbildbar sind, ohne Experimentierkosten geschaffen, können auf eine unbegrenzte Menge von Problemen angewandt werden und lassen sich dank der Informatik noch schneller und billiger verbreiten als menschliche Gedanken: die Grenzkosten des Informationsproduktes liegen bei Null, und das Verhältnis zwischen Patentgebühren und den Grundkosten, auf die sie draufzuschlagen wären, stellt eine Division durch Null dar. Ferner wird der im Patent implizierte Vertrag "Monopol auf die Umsetzung gegen Offenbarung der Idee" ad absurdum geführt: da zwischen der Information und ihrer Umsetzung keine Erfindung liegt, droht jede sachgerechte Offenbarung der Idee in turing-kompletter Syntax zu einer Verletzungshandlung zu werden.

Diese Probleme wurden in den 60er und 70er Jahren unter Patentrechtsgelehrten, insbesondere in Deutschland, intensiv diskutiert. Es wurde in Patentrechtslehrbüchern erläutert und von führenden deutschen Gerichten in der Anwendung verfeinert. Selbst mögliche künftige Irrwege und deren Konsequenzen wurden von Rechtsprechung und Schrifttum prophetisch warnend aufgezeigt. Der einzige ersichtliche Grund dafür, dass diese Irrwege dann dennoch vom EPA und BGH beschritten wurden, liegt wohl in der Schwäche (Unwissenheit und Gier) des Adam. Patentjuristen sind im Schnitt, was diese Probleme anbetrifft, ziemlich unbedarft. Sie glauben gerne an populäre Irrtümer und kolportieren solche Irrtümer dankbar in Fachzeitschriften. Echtes Wissen über den Technikbegriff und ähnliche interdisziplinäre Randbereiche bringt kein Geld in die Kasse, weder die der Patentanwaltskanzlei noch die des Europäischen Patentamtes, welches sich durch Patentgebühren finanziert.

Nach geltendem europäischem Recht sind Programme für Datenverarbeitungsanlagen keine Erfindungen im Sinne des Patentrechts, was nicht ausschließt, dass eine patentfähiges technisches Verfahren auch programmgesteuert ablaufen kann. Dieses Verfahren muss jedoch mehr beinhalten als eine Rechenanweisung für herkömmliche Universalrechner. Die Erfindung muss außerhalb des Rechners, an seiner Peripherie, etwa beim ABS-Verfahren im Einwirken von Bremsrkäften auf Autoreifen, liegen. Die Erfindung "steht und fällt mit dem Einsatz beherrschbarer Naturkräfte". Die Naturkräfte müssen ein Teil der erfinderischen Leistung sein, die mit dem Monopol belohnt wird. Es muss eine Lehre über Wirkungszusammenhänge von Naturkräften vorliegen. Auf bloßer Logik beruhende Problemlösungen gelten nicht als technische Erfindungen sondern als "Organisations- und Rechenregeln". Ob solche Rechenregeln letztlich auch mithilfe eines Energie verbrennenden Prozessors ausgeführt werden, ist dabei unerheblich: "die Lösung des Problems ist bereits vollendet, bevor im Zuge seiner Umsetzung auf einer herkömmlichen Datenverarbeitungsanlage das Feld der Technik betreten wird". In seinem wegweisenden Urteil Dispositionsprogramm von 1976 stellt der Bundesgerichtshof fest, dass eine Ausdehnung des Patentwesens in den Bereich der Funktionslogik grundlegende Freiheitsrechte bedrohen würde und gleichzeitig dem Fortschritt der davon betroffenen Disziplinen nicht unbedingt förderlich wäre. Alte und neue Erkenntnisse bestärken diese weise und klare Grenzziehung des Gesetzgebers und ihre systematische Auslegung durch die höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen seit 1976, die letztlich in den heute noch gültigen Prüfungsrichtlinien und Gesetzeskommentaren und Entscheidungen der meisten Gerichtbeschlüsse bis heute ihren Niederschlag findet. Dabei wird regelmäßig der Dispositionsprogramm-Beschluss zitiert, sei es als Vorbild oder als Zeichen eines schlechten Gewissens.

Gleichzeitig gibt es seit den 60er Jahren eine zunehmend einflussreiche Gruppe von Patentjuristen, die eine grundsätzliche Beschränkung des Patentwesens auf die "Welt der Dinge" mit dem Hinweis ablehnen, dadurch müsse das Patentwesen den Anschluss an zunehmend bedeutende Bereiche des Wirtschaftslebens verlieren. Unter dem Einfluss dieser Denkweise verfielen die Patentierbarkeitsstandards Stück um Stück. Zunächst wurde in den frühen 80er Jahren industrielle Steuerungslogik patentiert, und die ehemals verpönten Funktionsansprüche (d.h. Beanspruchung abstrakter Funktionalitäten unabhängig von einer naturkräftegebundenen Implementationsweise) wurden akzeptabel. Allmählich schien die vom Gesetz geforderte "Diskriminierung gegen Computerprogramme" nicht mehr zeitgemäß zu sein. Patentabteilungen von Großfirmen wie Siemens und IBM investierten viel Geld und Zeit, um die zunächst "gegenüber den Neuen Technologien unaufgeschlossene" Denkweise der Patentämter durch Grundsatzurteile des EPA/BGH in Bewegung zu bringen. Mit der Funktionslogik wurden zunehmend alle wirtschaftlich interessanten Vorgänge unseres Lebens patentierbar. Bereits in den frühen 90er Jahren war am EPA die gesamte Liste der Patentierbarkeitsausschlüsse in Art 52 EPÜ, von der Mathematik bis zu den "Verfahren für geschäftliche Tätigkeit" und der "Wiedergabe von Information", praktisch zur Makulatur geworden. Für die Rechtsprechungspraxis des Europäischen Patentamtes war es seitdem belanglos, ob ein begehrter Patentierungsgegenstand auf dieser Liste steht oder nicht. Es kann allerdings passieren, dass Anspruch auf ein "Pensionsberechnungssystem" o.ä. vor dem EPA scheitert, weil der Antragsteller vergessen hat, rechtzeitig zum Prioritätsdatum genügend "technische Effekte" zu offenbaren. Was patentierbar ist, ist im wesentlichen eine Frage der Sorgfalt bei der Vorbereitung einer Patentschrift, wie nicht nur ein bekannter Patentanwalt richtig bemerkte.

Bis Mitte der 90er Jahre scheute man allerdings noch vor der letzten Konsequenz zurück. Organisations- und Rechenregeln wurden nur indirekt patentiert, sprachlich eingekleidet als "technische" Prozesse. Wer ein Programm auf den Markt brachte, konnte damit immer noch keinen Patentanspruch verletzen. Nach intensivem jahrelangen Trommelfeuer durch patentjuristische Fachzeitschriften schien 1998 der Zeitpunkt gekommen, die letzte Hemmschwelle zu überwinden. Durch eine Entscheidung einer (in Rechtsfragen nicht zuständigen) technischen Beschwerdekammer und Folgeentscheidungen ließ das Amt verlautbaren, dass künftig wörtliche Ansprüche auf Informationsgegenstände ("Computerprogrammprodukt", Computerprogramm, Datenstruktur etc) direkt beansprucht werden können. Per "Anmerkung des Herausgebers" stellte die Amtsleitung klar, dass sie beabsichtige "künftig die Praxis des Amtes an dieser Entscheidung auszurichten" und die Prüfungsrichtlinien entsprechend umzuschreiben.

Meanwhile, the caselaw of the EPO has indeed been pushing the boundaries of what is technical ever wider. According to its Examination Guidelines of 2002 "A further technical effect which lends technical character to a computer program may be found e.g. in the control of an industrial process or in processing data which represent physical entities or in the internal functioning of the computer itself or its interfaces under the influence of the program and could, for example, affect the efficiency or security of a process, the management of computer resources required or the rate of data transfer in a communication link."

According to rulings on EP 0689133, even the "economical use of the resource area on the screen" is "technical".

And if that doesn't cover the program, then "processing which is based on considerations of how a computer works is technical". Thus in the Sohei case a patent the EPO Board of Appeal upheld a patent for using the same input form to update two databases, namely an inventory database and a billing database, because it implied (but didn't actually limit itself by specifying how to do it) the handling of files containing different types of information, which is technical.

Allerdings sind die auf dieser Grundlage gewährten Patente von ungewissem Wert. Gesetzestreue Gerichte (wie z.B. der Schwedische Oberste Gerichtshof und der 17. Senat des Bundespatentgerichtes) finden regelmäßig Widersprüche in der Argumentation des EPA und des BGH und weisen Ansprüche auf logische Funktionalitäten und informationelle Gegenstände zurück. Auch bei den nationalen Gerichten in anderen Ländern gibt es solche Reibungen oder Unabwägbarkeiten. Daher ist der Patentbewegung sehr daran gelegen, das Europäische Patentübereinkommen zu ändern oder mithilfe neuer Gesetzgebung endgültig unwirksam zu machen. Ein entsprechendes Vorhaben galt seit ca 1997 als beschlossene Sache, scheiterte aber vorerst im November 2000 am öffentlichen Widerstand. Dennoch hält das EPA an seiner 1998 voreilig beschlossenen Rechtsänderung fest und setzt damit die Regierungen und die Europäische Kommission unter Druck. Derzeit steht eine Europäische "Richtlinie über die Patentierbarkeit von computer-implementierbaren Erfindungen" an, bei der es offenbar darum geht, die gegenwärtige Praxis des EPA, Patente auf computer-implementierte Organisations- und Rechenregeln und informationelle Gegenstände zu erteilen, zu legalisieren. Unter dem Namen der "Harmonisierung" und "Beseitigung von Rechtsunsicherheiten" soll die wackelige Grundlage, auf der sich die Rechtsprechung des EPA derzeit bewegt, stabilisiert werden. Bisherige Entwürfe der EU-Patentjuristen zeigen jedoch, dass dadurch bestenfalls die Widersprüche zwischen Rechtsprechung und Gesetz, nicht jedoch die inneren Widersprüche der EPA-Judikatur aufgehoben würden. Wenn die Patentbewegung von "Klärung der verworrenen Rechtslage" spricht, meint sie damit Ersetzung der klaren Gesetzesregeln des EPÜ durch die verworrene Praxis des EPA, m.a.W. grenzenlose Patentierbarkeit amerikanischen Stils. Da das EPA seine Praxis jedoch aus politischen Gründen weiterhin mit einem rechtsdogmatischen Schleier verhüllen muss, werden wohl auch in den kommenden Jahren vor allem unbeeindruckte amerikanische und japanische Unternehmen den Großteil derjenigen Patente erhalten, die das EPA theoretisch nicht erteilt.

Gegen Ende der 90er Jahre war der Begriffsapparat der "Technischen Erfindung" beim EPA noch in Gebrauch. Er diente jedoch nur noch selten dazu, Erfindungen von nicht-patentfähigen Neuerungen zu unterscheiden. Meistens diente es dazu, die Öffentlichkeit zu täuschen. Es musste der Eindruck erweckt werden, dass das EPA das tat, was das Gesetz und die Politiker von ihm forderten, während genau das Gegenteil statt fand. Es entwickelte sich eine komplexe doppelbödige Sprache um Begriffe wie "technisches Problem", "technischer Effekt", "technische Überlegungen", "computer-implementierte Erfindungen" etc. Zum Verständnis dieses Doppelsprechs erfordert eine soziolinguistische Analyse, die den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.

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deutsche Version 2005/01/02 von Hartmut PILCH