Mülheim an der Ruhr zählt wohl zu den unerwartesten Großstädten. Aber im dichten Reigen der Ruhrgebietsstädte scheint wirklich auch noch die letzte Häuseransammlung zur Großstadt erklärt zu werden. Da rührt sich der Verdacht, ob sich die Ruhrpötter nicht die ein oder andere Großstadt durch Hin- und Her-Bewegungen erschwindelt haben.

Nach zumeist wenigen Schritten stolpert man von Oberhausen nach Duisburg, von Bochum nach Essen, von Gelsenkirchen nach Bottrop - und irgendwo dazwischen liegt immer mal Mülheim. Als Transitzone.

Da passiert es natürlich schnell, dass dem einwohnerzählenden Bundesbeamten der ein oder andere Duisburger oder Essener dazwischen gerät, wenn er die Einwohnerzahl Mülheims erfassen möchte. Auch ohne böse Absicht. Folglich passiert es auch mal schnell, dass man Mülheim zur Großstadt bestimmt. Soviel zum Hintergrund.

Vordergründig reizt es mich allemal mehr, wenn eine Stadt einen "Berliner Platz" statt eine "Berliner Straße" aufbietet, weil so ein Platz eben Platz bietet. Für eine Bärenskulptur oder anderweitige Manifestationen der Berlin-Referenz. Mülheim hat einen "Berliner Platz" unweit der stadtnamen-ergänzenden Ruhr. Nur: Was will man von Mülheim an der Ruhr erwarten?

Die Stadt bietet ja - wie immer mal hervorposaunt wird - einer nicht unbeträchtlichen Horde von Millionären Herberge, die jedoch allesamt so unglamourös sind, dass Helge Schneider auf Dauer der berühmteste Sohn der Stadt bleibt. Sollten diese in Mülheim ansässigen Millionäre allerdings bevorzugt ihr Geld bei der Sparkasse Mülheim horten, so könnte man wohl den dortigen "Berliner Platz" zum höchstfrequentierten Millionärsboulevard erklären, da ebenjener Platz sich der Hauptfiliale der Sparkasse Mülheim als Einflugschneise andient. Allzu wahrscheinlich sind solche Stadtsparkassen-Millionärs-Verbindungen natürlich nicht.

Wer aber nicht die Hauptfiliale der Sparkasse Mülheim besuchen möchte, der kann mit dem "Berliner Platz" vermutlich ebenso wenig anfangen wie der werte Verfasser dieser Zeilen.

Was willst du auch von Mülheim erwarten?! flüstern mir die Transit-Essener und vagabundierenden Oberhausener zu. Ja. Hm... Was uns die Oberfläche nicht anbieten will, könnte vielleicht durch einen Gang in die Kellergeschosse erzwungen werden.

Der Mülheimer "Berliner Platz" ist nämlich so etwas wie der Deckel eines Parkhauses, in dem z.B. Sparkassenkunden ihren kreditfinanzierten Kleinwagen oder Bankräuber ihr Fluchtauto abstellen können.

Derart Spektakuläres lässt sich aber nicht von mir aufspüren beim Gang durch zwei Parkebenen. Es ist einfach ein pupsnormales Parkhaus.

Was willst du auch von einen Parkhaus erwarten?! lassen mir bereits über das Stadtgebiet hinaus geschossene Fahrradkuriere ausrichten. Doch mein Durst nach Entdeckungen treibt mich voran: Ich schaue mich noch einmal oben in der Sparkasse um.

Dort hängt eine fliegende Schweine-Plastik unter der Decke. Am Privatkundenschalter. Viel Metaphorik - aber im Grunde trotzdem eine ganz normale Sparkassenfiliale.

Was willst du auch von einer Sparkasse erwarten?" raunt es aus den Gräbern frisch abgeknüpfter Fondsberater hervor.

Man macht sich im Übrigen spürbar verdächtig, wenn man mit einer Reisetasche in der Hand eine Sparkassen-Filiale betritt, dort einige Fotos macht und dann ohne einen Schalter oder den Automaten zu konsultieren wieder das Gebäude verlässt. Der Kripo Mülheim möge dieser Blog-Artikel zur Entwarnung gereichen.

Nun bleibt mir nur noch die Skulptur in der Mitte des "Berliner Platzes" zu Mülheim, die ich mir wie eine auf einen faden Vanillepudding thronende Erdbeere bis zum krönenden Abschluss aufbewahrt habe.

Doch recht bald wird klar: Diese Skulptur steht nur zufällig auf dem "Berliner Platz" und enthält sich jedes Bären-, Mauer- oder Hauptstadtbezugs. Irgendein kryptischer Materialmischmasch aus Baumstämmen, Stein und Metall.

Stört nicht, weil nichtssagend. Es ist auch an der Skulptur selbst nicht viel an Informationen über Schöpfer oder Intention zu erfahren, außer "Gestiftet von der Sparkasse Mülheim".

Was willst du auch von einer Sparkasse er... - ach, den hatten wir ja schon!

Reicht dann auch, denke ich.

* * * Soundtrag zum Eintrack: Kettcar - Wir werden nie enttäuscht werden

Eine frische Unter-Rubrik als neues Kapitel meiner Schilder-Sammlungen, die ich in diesem Beitrag mit zwei frischen Fundstücken aus Graz und Nagold füllen und gleichsam beschließen möchte.

Titel der Unter-Rubrik: "Piktogramme, die eventuell eher zum Gegenteil des Intendierten verleiten."

Sollte ich bei meinen weiteren Lese-Reisen noch andere Exemplare dieser Art aufspüren, wird diese Unter-Rubrik natürlich kurzerhand weitergeführt. Das wollen wir mal nicht so genau nehmen.

Und eigentlich ist nicht unbedingt damit rechnen, nicht schon recht bald auf weitere Exemplare zu stoßen. Auf eventuell mich zur Aufgabe dieser Aufgabe animierende Schilder kann daher nicht reagiert werden.

* * * Soundtrag zum Eintrack: Bloc Party - Signs

Das 48. Berlin-Gedicht! Aufgrund einer Beschwerde, der Ostteil der Stadt sei bislang viel umfassender von meinen Gedichten abgedeckt worden, diesmal ganz tief im Westen festgemacht.
In Wort und Ton gibt es weitere 47 Berlin-Gedichte z.B. zur Philharmonie, Neptun-Brunnen, Reichstagskuppel, Siegessäule, Oberbaumbrücke und und. Und. Hier in der Übersicht!


Der Pfaueninselfährmeisterblues
(mit einer Zusatzfunktion zur Memorierung des Fahrplanwechsels April/Mai)
(Anhören/MP3-Download)

So spät trauen sich nur Einfaltspinsel
eine Fahrt zur Pfaueninsel
Solch' schlichtem Geistes Söhne steh'n
gern kurz vor Schloss an schönen Seen

Ach, soll'n'se machen! Ick sach'Se nur:
Letzte Rückfahrt: 18 Uhr

(Hier ist nun der Blues vorbei
so zu singen noch bis Mai
Anschließend wird erst um 8
auf dem Fährschiff Schicht gemacht)

* * * Soundtrag zum Eintrack: eels - Checkout Blues

Da haben wir den Salat! Man sollte sich nie, nie vorab fade Witze überlegen, mit denen man einen noch zu schreibenden Artikel ausschmücken zu können gedenkt.

Und man sollte natürlich nie, nie fade Wortwitze mit Städtenamen machen, weil die Lokaljournalisten in ihrer Not sicherlich schon jede Wendung und Schändung durchgekaut haben und man in diesem Kneipp-Bad nie schließender Wunden nicht mit umherwaten sollte.

Wer diese Rubrik kennt, weiß, dass ich mir mit letzterem Vorsatz schwer tue.

Und tatsächlich wisperte es auf dem Weg zur "Berlinstraße" von Fürth bereits in meinem Kopf: "Fürth doch zu nix!", "Fürther Scheinprüfung", "Fürther Unser"....

Das macht man einfach nicht. Die Quittung hierfür folgte auf dem Fuße: Man hat mich hinters Licht gefürth!

Die Bitterkeit des Vorwurfs richtet sich wie so häufig nicht gegen die Fälscher, sondern gegen die eigene Dummheit.

Dabei ist man auf dem Gebiet der Fälschungen nicht einmal ohne Erfahrung: Wie einen kleinen Schatz hüte ich meinen Keyneck vom 1. FC Bacelona; ein guter Freund trägt nicht ohne Stolz ein Trikot von Borussia Dortmunt. Durch ein kleines Missgeschick wird da die Fälschung schöner als das Original je hätte sein können und man gönnt sich, diese mit ironischer Lässigkeit vor sich her zu tragen. Aber bei Straßennamen scheine ich nach wie vor mit der Naivität eines Neugeborenen durch die Welt zu tapsen.

"Berlinstraße" - das klang exotisch, mal keine der üblichen "Berliner Straßen", sondern verknappt und kurz und bündig. Aber natürlich eine Fälschung.

Zur Mitte der Straße hat die Polizei ein Warnschild unter dem Straßennamen angebracht. Darauf liest man dann, wenn man schon mit Begeisterung die ersten Straßenschilder und -biegungen fotografiert hat:



Die "Berlinstraße" hat gar nix mit Berlin zu tun und die Hauptstadt nie im Sinn gehabt. Hm. Und wir haben hier demnach auch gar nix zu tun.

Andererseits: Ist diese Welt nicht auch groß genug für einen Ort namens Dortmunt, in dem eine beschauliche Fanzahl mit ihrer Borussia fiebert? Und sich freut wie Hulle, wenn Dortmunt fürth?

* * * Soundtrag zum Eintrack: Weezer - Thought i knew

Ob des Raubtier-Daseins beraubte Buddy-Bunti-Bären, ob Knuddel- oder Kufen-Eisbären, die Allgegenwart des Wappentiers im Berliner Stadtbild ist keine leicht zu Übersehende.
In dieser neuen Rubrik soll es um die Bestandsaufnahme jener Bären-Schar geben, die sich im Unterschied zu Vorgenannten durch eine gewisse Real'n'Roughness auszeichnet, allein durch das Material ihrer Beschaffenheit: Stein und Metall.
Die Bärenstatuen und -skulpturen unserer Stadt sollen hier fortan katalogisiert und vermessen werden, um dem dringenden Desiderat eines Berliner Bärenquartetts eine fruchtbare Grundlage zu liefern.
Dies soll dem treuen Leser dieses Blogs aber in keinem Fall als ureigene Idee verkauft werden, sondern geschieht mit Respekt vor der durchaus wahrgenommenen Arbeit des Vereins Berliner Bärenfreunde, der bereits 550 Bären im Stadtbild gesichtet und abgelichtet hat. Wir werden demgegenüber nur ein wenig über die bärige Oberfläche Berlins schliddern. Teil fünf dieser Serie präsentiert Ihnen die:

Friedrichswerdersche Brunnenbären

Kategorie: Neunbäriges Familienensemble
Furchtfaktor: 4 (von 5)
Statur: vollschlank
Realo/Fundi-Koeffizient: 2 (von 5)
Prominenz: 4,5 (von 5)
Haltung: sitzend & tollend
Sockel: Doppelstöckiges Porphyr-Oktagon
Größe: 3 (von 5)
Künstler: Hugo Lederer, "Bärenbrunnen" (1928)

Was für ein Wurf, Herr Lederer! Sie hören vermutlich den ironischen Unterton, den mir mein Grizmek'sches Restwissen gewährt, denn die über acht rings um sie balgenden Jungen wachende Bärin hat sich gebährenderweise doch in den Dunstkreis der bildhauerischen Fiktion verortet. Acht Bärenjunge, das sieht auch Brehm nicht vor, sondern schreibt von 1-4 Nachwuchsbären pro Wurf.

Und so bietet dieses als Brunnen nutzbare Bären-Arrangement trotz detailreich präziser Bewegungs-Studien kindlichen Tobens nur einen Realo-Faktor auf, der mittels der von mir frisch entworfenen Faustregel der Skulpturenbeschreibung "Was der Symmetrie gefällt, ist oft nicht von dieser Welt!" auf magere 2 hinuntergefahren werden muss.

Doch weil ein doppelter Punktabzug aus gleichem Grunde sich ausschließt, sollte der Gefahrenfaktor einer um acht Jungen besorgten Bärin entsprechend erhöht werden dürfen, zumal mit dem äußerst mürrisch dreinblickenden Muttertier nicht gut Kirschen essen scheint und im Falle eines Angriffs auch die schiere Anzahl der Gegner einige Sorglosigkeitsoptionen auslöscht.

Auch bei der Popularität gehen wir diesmal in die Vollen: Neben dem Eingangsportal zur Friedrichswerderschen Kirche zu stehen, ist schon Zentrallage - auch wenn ca. 70 Zentimeter von den üblichsten Touristenpfaden entfernt. Allein der freie Eintritt des dortigen Museums lockt manch informierten Billigheimer auf die hier entlang führende äußere Umlaufbahn des Sightseeing-Rundlaufs. Weniger Informierte passieren den Platz oft beim Transit zum Gendarmenmarkt und flöten ein "Guck ma: auch schön!" Richtung Bären und Kirche.

Zuletzt noch ein Wort zu der Unhöflichkeit, einer Bärendame ein "vollschlank" zu attestieren: Die Sitzposition spielt ihr hier einfach schlechte Karten zu!

Die gebückte Haltung lässt Röllchen hervortreten, die bei Befolgung der Tipps vom Brigitte-Dossier: Bikinifigur - so sitzen Sie richtig am Strand! nicht sichtbar würden.

Da mag manch' achtfach alleinerziehende Mutter fauchen: Da hab' ich weiß Gott andere Probleme! Eben. Deshalb gar nicht groß drüber nachdenken und aufgepasst auf die Kleenen!

* * * Soundtag zum Eintrack: Marilyn's Army - Mother

Das 47. Berlin-Gedicht! Diesmal ein Brückenschlag von Haarproblemen zur Philharmonie nebst Kammermusiksaal.
In Wort und Ton gibt es weitere 46 Berlin-Gedichte z.B. zur Spree-Park Ruine, Neptun-Brunnen, Reichstagskuppel, Siegessäule, Oberbaumbrücke und und. Und. Hier in der Übersicht!


Wenn die Kammermusik vor die Kamera muss
(Anhören/MP3-Download)

Viel Haar, mon amie, ist mir nicht mehr gegeben
Um wie viel harmonischer schien die Welt mir noch eben
Doch trotz vieler Moneten, viel'n Hormone durchkneten
und viel homöopathischen Pharma-Geräten
fiel's Haar von mir wo nie wieder Neues entspringt
Wie man so die verbleibenden Tage verbringt?

Da gab mir ein Meister 'ne goldene Krone
Vor Kameras muss'ik seither nicht mehr ohne
Statt Glatzenqual und nackig Graus
fällt mein Stil fortan zackig aus

Stil, ja, mon amie - klar, gefiel'ma no' nie
doch lernt man ja so viel von der Philharmonie
Tja, ja - in Sachen Haaren war'n
die Herr'n Scharoun und Karajan
wohl auch nicht gänzlich unerfahr'n

* * * Soundtrag zum Eintrack: Get well soon - If this hat is missing i've gone hunting

Es mutet mäßig vielversprechend an, wenn eine Straße mit einem Portal aus Sonnenstudio und Matratzenlager beginnt. Insbesondere in einer Stadt, von der ein mäßig origineller Spruch behauptet, dass es sie gar nicht gebe (die sogenannte Bielefeld-Verschwörung, die es laut Wikipedia tatsächlich geben soll).

Ein paar Nachfragen unter durchaus existenten Bielefeldern ergab, dass diese nicht zu sagen vermochten, wer eigentlich der Urheber jenes sie über ihre Stadt in Fragen stellenden Spruches sei. Mag sein, dass es diesen Urheber im Unterschied zu Bielefeld gar nicht gibt und der Mann sich deshalb über diesem Weg an der Stadt zu rächen sucht.

Halt, wir trudeln ins Metaphysische! Das passiert wohl schnell in einer Stadt, der die Existenz abgesprochen wird. Das passiert sicherlich schnell in einer Straße, die so gar nichts zu bieten hat außer die Erzeugnisse der Baugruppe "Pragmatik": Wohnträume hin und her, aber lasst uns realistisch bleiben!

Schwer umkämpfte Privatparkplätze und jede Menge Hooligan-Aufkleber, die mich im Zusammenspiel mit dem Hotel "Am Stadion" und dem Autohaus "Am Stadion" zweifeln lassen, ob ich die Lage der Bielefeler Alm falsch eingeschätzt hatte (dem Begriff "SchücoArena" werde ich mich hier und fortan im Übrigen verweigern).

Ich will ja nicht schon wieder mit dem Gibt's nicht-Kram anfangen, aber: Hier gibt es doch gar kein Stadion?!

Ein Blick auf den Stadtplan am Hauptbahnhof offenbart später dann, dass das "Brackweder Stadion" in etwa in weiterer Nähe zum Hotel "Am Stadion" liegt. Brackwede, alte Glasbläserhütte, dich gibt's also auch noch! Aber das soll das also wirklich alles gewesen sein mit der Berlin-Referenz Bielefelds?

Gibt's doch nicht!

Da entdecke ich auf ebenjenen Stadtplan einen "Willy Brandt-Platz" in Nähe des Hauptbahnhofs. Die Nummer kenne ich ja bereits aus Ulm und Oberhausen. Und tatsächlich: Auch in Bielefeld wurde ein "Berliner Platz" in "Willy Brandt-Platz" umgetauft.

Und was für einer! Ein Kilometerstein-Bär angemessener Größe vor einem Rondell gehisster Flaggen, zwischen denen auch eine Berliner Fahne mitweht, deren sonstiger Zusammenstellungs-Zusammenhang für mich aber im Abstrakten verborgen bleibt.

Es finden sich weitere Zeugnisse der früheren Benennung: Benachbarte Ladengeschäfte beherbergen die Kneipe "Zum Bären", das "Internetcaffee" sowie Kiosk und Call Shop "Berlin", das "Wäschehaus Schmitz am Berliner Platz" sowie das Restaurant "Berliner Platz".

Von dem Wäschehausangebot ist allerdings nur die Wandbeschriftung übrig geblieben und im "Berliner Platz" serviert man mittlerweile unter dem Namen "Bei Taki".

Trotzdem muss mich diese Fülle der Berliner Spuren unter falschem Namen begeistern.

In wie wenigen anderen Städten könnte man eine ähnlich tolle Ausstattung beobachten?!

Toll, Bielefeld, toll!

Und deshalb, liebe Mitmenschen, möchte ich darum bitten, ab sofort auf den Spruch der Bielefeld-Verschwörung folgendermaßen zu antworten:

"Bielefeld gibt's doch gar nicht!"
"Doch, doch. Es wurde nur umbenannt."

Sollte dann jemand nachfragen wollen, von wem diese zweite Aussage stamme, möchte ich im Verbund mit meinem alten Bescheidenheitsgelübde darum bitten zu sagen:

"Willy Brandt"



* * * Soundtrag zum Eintrack: Buzzcocks - I don't exist

Manchmal ergeben sich bei meinen Reisen durch die Randbezirke Berlins zwingende Cross-Marketingoptionen bezüglich meiner Blog-Rubriken. Denn natürlich gehört der neben der "Berliner Brücke" zu Gelsenkirchen gesichtete Kiosk zu den der Erheiterung der Welt verpflichteten Beschilderungen. 

Auch der Vorgriff auf meine in Kürze hier erscheinende Berliner Randbezirk-Reise durchs Bergische Land (mit den Stationen Solingen, Remscheid und Wuppertal) scheint in dieser Rubrik besser aufgehoben. Eigentlich ein uralter Witz aus Grundschulzeiten, in Remscheid aber noch Realität. Und ebenfalls der Unterrubrik "Schicksalsbestimmende Familiennamen" zuzuordnen.

* * * Soundtrag zum Eintrack: Eminem - My name is

Die Zeit ist gekommen für alle Outdoor-Pioniere ihre Gipfelkreuze in die eigentlich noch zu kühlen Böden zu rammen: Zum ersten Mal im Park grillen, das erste Bad im See und mal wieder im Außenbereich bis nach Zapfenstreich Getränke in sich füllen. Wer das nicht im April hinter sich bringt, bringt's nicht zum Hauptstädter und taugt nicht als Berlin-Staffage, wenn die zum Osterbesuch anreisende Rest-Republik ihr vorab gefertigtes Fazit auf Handy-Kameras festhalten möchte, dass sich in Berlin so viel Leben vor den Haustüren abspiele. Nun, wenn man ahnt, wie's dahinter ausschaut, hat das ja auch seine Gründe. Die einen treibt der von Retromöbeln eingeschleppte Trödel-Muff, die anderen der Abrieb von in Fliesenfugen verkrusteten Urinsteinbrüchen. Die Richtung heißt in beiden Fällen: Nach draußen. Endlich.

Als neuer Höhepunkt einer hippen Berlin-Reise böte sich zurzeit eine dörty Gammel-Gastro-Tour an - ein kulinarischer Pub-Crawl durch die Negativliste der Pankower Lebensmittelüberwachung. Nicht zuletzt wird der unbedarfte Oster-Tourist in die heiße Phase eines wahrhaft exotischen Wahlkampfes tapern, der im Schulfächer-Showdown "Ethik vs. Reli" kulminiert. Berlin sucht das Superfach.
Wenn ihr also an einem Sonntag im April einen spontanen Jubel-Korso über den Ku'damm brettern seht, bitte folgenden Fragenkatalog abarbeiten: Feiert hier eventuell das Lehrpersonal von "Katholische Religion zur Zeit der Spanischen Inquisition" die Nachnominierung zum Volksentscheid? Ist Hertha voreilig ihrer Konkurrenz enteilt? Freut sich wer über die auskurierte Blasenentzündung vom ersten Grillwochenende? Konnte die Negativliste ihren Rattenbefall an Bernhard Blaszkiewitz verschachern? Oder muss nur der Tank leer gefahren werden, bevor die Inflation ein nochmaliges Volltanken verwehrt?

Zugegeben, liebe Gäste, wir könnten das auf Anhieb auch nicht immer gleich sagen,

gewogen,
Frank Klötgen


* * * Soundtrag zum Eintrack: Element of Crime - An einem Sonntag im April

Die "Berliner Brücke" zu Gelsenkirchen ist ein Streckenabschnitt der Kurt Schumacher-Straße, sozusagen eine brüsk respektlose Unterbrechung des alten Polit-Recken mit dahin geschnoddertem "ja, ja, halt mal für'n Moment die Luft an, bitte!". Aber bereits ein paar Meter weiter holt sich der SPDler und Zweimarkstück-Schmücker das Rederecht der Straßenführung wieder zurück.

Ein paar Meter. Das mag nach nicht minder respektlos wenig Redezeit für Berlin klingen; weniger, als noch der maßvollste Hauptstädter als Mindestlänge erbitten würde. Aber Gelsenkirchen hat diese wenigen Meter Berliner Straßenführung auf seinem Territorium durchaus liebevoll mit Bedeutung geschmückt.

Manch' einer mag da unken: "Mit eben aller Bedeutung, über die Gelsenkirchen überhaupt verfügt!"

Gleichwie. Wer über die mit Christo-Verhüllungen bespickte "Berliner Brücke" schreitet, landet in Blau-Weiß.

Ab hier ist Schalke! schreien einem die blau-weißen Häuserfassaden entgegen. Ab hier ist Schalke! bestätigen besonnen nickend die historischen Hinweistafeln der "Schalker Spuren". Da mag die Kurt Schumacher-Straße wieder Kurt Schumacher-Straße heißen, ab hier reden vor allem die Fans.

Hier ist jede Häuserecke bedeutungsvoll in die Vereinsgeschichte eingewoben als "Zigarrenladen von Ernst Kuzorra und Stan Libuda" oder "Gaststätte des Schalker Fanclub-Verbandes".

Hier muss man Fan sein oder mit dem Gefühl leben, völlig sinn- und orientierungsfrei durchs Leben zu irren.

Für derartige Abweichler dient sich die "Berliner Brücke" an - als einziger Fluchtweg aus von Eisenbahnsträngen abgeschirmten Blau Weiß-Land. Rübermachen - hat man das früher genannt.

In den Fenstern steht: "Vorstände, Spieler und Trainer gehen - nur Fans sind immer da!" und "Blau und Weiß ein Leben lang". Aber es gibt eben doch einen Weg hinaus und fort von "immer" und "ein Leben lang".

Die "Berliner Brücke" zu Gelsenkirchen erfüllt diese wichtige Funktion, ist Zuflucht und Rettungsweg für müde gewordene Fans. Und manch einer mag es schon geschafft haben, obwohl kurz vorm Erreichen der Berliner Brücke ein hinterhältiges Straßenschild alle Ausreisewilligen vom rechten Weg bringen möchte. Jetzt heißt es: Nicht beirren lassen, Augen zu und geradeaus durchziehen! Dann hat man Schalke hinter und ein neues Leben vor sich.

Nur den Kurt Schumacher, den wird man auch auf der anderen Seite erst mal nicht los.

Zum Abschluss noch ein Suchbild von der Gelsenkirchener Berliner Brücke: Finden sie die Unterschiede!



* * * Soundtrag zum Eintrack: Blackmail - Swinging exit pleasure

Ob des Raubtier-Daseins beraubte Buddy-Bunti-Bären, ob Knuddel- oder Kufen-Eisbären, die Allgegenwart des Wappentiers im Berliner Stadtbild ist keine leicht zu Übersehende.
In dieser neuen Rubrik soll es um die Bestandsaufnahme jener Bären-Schar geben, die sich im Unterschied zu Vorgenannten durch eine gewisse Real'n'Roughness auszeichnet, allein durch das Material ihrer Beschaffenheit: Stein und Metall.
Die Bärenstatuen und -skulpturen unserer Stadt sollen hier fortan katalogisiert und vermessen werden, um dem dringenden Desiderat eines Berliner Bärenquartetts eine fruchtbare Grundlage zu liefern.
Dies soll dem treuen Leser dieses Blogs aber in keinem Fall als ureigene Idee verkauft werden, sondern geschieht mit Respekt vor der durchaus wahrgenommenen Arbeit des Vereins Berliner Bärenfreunde, der bereits 550 Bären im Stadtbild gesichtet und abgelichtet hat. Wir werden demgegenüber nur ein wenig über die bärige Oberfläche Berlins schliddern. Teil vier dieser Serie präsentiert Ihnen die:

Charlottenburger Rangelbären

Kategorie: Doppelpetz
Furchtfaktor: 1,5 (von 5)
Statur: volschlank, pummelig
Realo/Fundi-Koeffizient: 1 (von 5)
Prominenz: 2 (von 5)
Haltung: liegend & halb aufrecht
Sockel: (zu) flacher Stein-Doppelquader
Größe: 1,5 (von 5)
Künstler: Hans Bautz, "Bärengruppe" (1954)

Irgendwo im hinteren Teil des Charlottenburger Schlossgartens gibt es einen Bärenspielplatz, der mittlerweile auch Teil eines Integrationsprogramms für Problemkinder zu sein scheint. Das hier ermöglichte Miteinander von Petz und Kids bekommt Ersterem leidlich gut.

Bis zur Unkenntlichkeit abgegrabbelt wirken Krallen, Ohren und Schnauzen des im unschuldig pubertärem Balgen ineinander verkeilten Bärenpaars. Wie viele Kinderhintern hier die geschundenen Bärenbuckel entlang gerutscht sind, vermag man nur zu erahnen.

Ebenfalls nur zu erahnen sind deswegen die Bären selbst. Eine Skulptur, die sich bereits wieder auf dem Rückweg zum ungeschliffenen Stein befindet.

Allein dieser Verwitterung wegen und dem Anklang der Verwesung halber sehen wir uns imstande, der Rest-Skulptur einen Furchtfaktor von 1,5 zuzuteilen.

Ach, wäre doch der flache Sockel 1954 in verletzungsträchtigerer Höhe angesetzt worden - wie viel Pein wäre unserem Bärenpaar erspart geblieben!

Dabei muss man sich wohl noch glücklich schätzen, im beschaulichen Charlottenburg nur dem als gemindert zu erachtenden Rowdytum von Akademikerbälgern ausgesetzt zu sein. Andernorts wäre man eventuell schon ganz im Sande versunken. Oder zu selbigen zermahlen worden.

Verantwortungsbewusste Eltern sollten ihren Nachwuchs stets auf die verarmende Hipness von knutigen Knuddel-Bedürfnissen hinweisen und die benachbarte Hängebrücke als neues It-Toy anpreisen. Vielleicht hilft das ja...

* * * Soundtag zum Eintrack: eels - Things the grandchildren should know

Ist es nicht seltsam, dass es neben Ingolstadt keine weitere deutsche Großstadt gibt, die ein "-stadt" zur Bekräftigung im Namen mit sich führt? Also gut: Da wären noch Darmstadt und Karl Marx-Stadt, aber ein "Darm" allein wäre wohl auch dem Lokalpatriotismus zu abträglich und im zweiten Fall wurde ja bereits zu Chemnitz zurückgerudert. Mag sein, dass man sich damals in Ingolstadt die Hände gerieben hat und ahnt, als "am schnellsten wachsende deutsche Großstadt" bald Darmstadt hinter sich zu lassen und fortan Deutschlands größte "-stadt" zu sein. Vielleicht ist dies aber auch noch nie jemanden in Ingolstadt aufgefallen.

Mir geht es dagegen so, dass mir Ingolstadt noch nie aufgefallen ist. Trotz aller Konzerte und Auftritte in meinem Sing- und Lese-Leben habe ich nie dort Halt machen müssen und auch noch von niemandem gehört, dass er gerade von einem Klasse-Auftritt in Ingolstadt zurück käme. Ich kenne auch niemanden, der in Ingolstadt geboren wäre. Vielleicht ist Ingolstadt nur eine Erfindung von Audi.

Das zu überprüfen bietet sich heute an, denn es gibt einen ICE-Halt auf der Strecke nach München, wo ich momentan unentwegt aufzutreten scheine und die dortige "Berliner Straße" natürlich längst mit einer Dokumentation bedacht habe. Steigen wir also einen Halt früher aus und gehen in Ingolstadt auf "Berliner Straßen"-Besichtigung.

Ohne etwas Innenstadt-Ähnliches durchquert zu haben, ist der Bus in einem geräumig besetzten Wohngebiet an der "Berliner Straße" zu Ingolstadt gelandet. Hoffen wir für die Ingolstädter, dass es einfach nur zur falschen Seite des Bahnhofs rausging, sonst verlaufen die dortigen Shopping-Trips angesichts eines Matratzen-Lagers auf recht beschränktem Auslauf-Terrain. Überhaupt: Wenig Leute unterwegs hier. Könnte sein, dass ich mal als "Der einzige Zeuge" in den Zeugenstand berufen werde, sollte irgendwann ein Verfahren zur Aberkennung des "-stadt" im Namen von "Ingolstadt" eröffnet werden.

Die Ingolstädter "Berliner Straße" breitet sich vor mir aus als eine der typischen verheißungsvollen "hier wird heute noch irgend etwas geschehen!"-Straßen. Einfach, weil das einer Straße zustehende Freigepäck an Geschehen scheinbar noch nicht angerührt wurde. Ein bunter Reigen von Hinweisschildern deutet zudem an, dass alle Orte von Interesse fort von der "Berliner Straße" führen, wobei der "Spielpark" und das "Bauerngerätemuseum" bei mir nur verhaltene Neugier erwecken. Der Wegweiser zum "Schönacher Geflügel" verleitet dagegen schon verlockender zum Abzweig. Da ist Disziplin gefragt.

Zunächst will die "Berliner Straße" abgeschritten werden und sie präsentiert sich nach wenigen Metern auch interessanter als dies ihr Anfang vermuten ließ.

Kurz vorm Edeka-Markt wird eine wird eine brachliegende Wiese für ein Waren-Angebot der besonderen Art genutzt:

"Zu verkaufen: Flugzeugtanks (Phantom). Ideal für den Bau eines Floßes oder einer Badeinsel"

Sicherlich kein schlechter Hinweis, wenn in der "Berliner Straße" die ein oder andere über den Bau eines Floßes bzw. Badeinsel-nachdenkende Person wandeln sollte. Ausgeschlossen ist das nicht. Fährt doch einer der nahen Anwohner auch ein Räumfahrzeug namens "Predator", mit dem er anscheinend dem hiesigen Schneebefall, so er sich zu zeigen wagen sollte, zu Leibe rückt.

Andererseits hat so ein "Predator"-Driver eventuell selbst bereits diverse ungenutzte Flugzeugtanks im Keller rumliegen. Und allzu viele Badeinseln und Flöße braucht so ein Haushalt dann ja nun auch wieder nicht.

Die um die feilgebotenen Flugzeugtanks platzierten Ruinen tischlerischen Schaffens erfüllen vermutlich eine werberische Funktion a la: Verschwenden Sie nicht Ihre Zeit mit  minderwertigen Materialien - zum Bau eines Floßes gehören immer noch Zwei: Flugzeugtanks!

Interessiert mich auf jeden Fall, wie lange die Flugzeugtanks auf der Ingolstädter Wiese auf einen Liebhaber warten müssen und wie zufrieden den endgültige Nutzer mit seiner Bade-Insel wurde. Schreiben Sie mir!

Nun aber zum Bären. Ja, es gibt eine Bärenskulptur in der "Berliner Straße" von Ingolstadt. Sie ist rotbraun und schaut etwas verweichlicht bis kindisch aus. Wie aus rotem Fimo gebacken. Und sie ist auch nicht sonderlich groß.

Nichtsdestotrotz dient sich eine ganze Armada an edlen Spendern an: "Errichtet mit der Unterstützung des Senats von Berlin, der Stadt Ingolstadt, des Bundes der Berliner und vieler Gönner"

Der Senat? Ob der wirklich etwas davon ahnt? Und was hat er wohl gespendet? 'N Fünfer? Ich mein': So 'ne Fimo-Figur kann ja nicht die Welt kosten und für die "vielen Gönner" muss ja auch noch was übrig bleiben. Oder wurden 500.000 gespendet und es hat nur noch nie jemand nachgeschaut, was mit dem Geld angestellt wurde? Ich mein': Wer war je in Ingolstadt?! Der laut Google am stärksten wachsenden wohlhabenden Großstadt?

Wir wollen keine falschen Verdächtigungen aussprechen - aber da muss doch mal jemand mögliche Zusammenhänge überprüfen. Vielleicht wurden hier Bärenskulptur-Millionen versenkt und sich damit in Ingolstadt ein lauer Lenz mit Privat-Flugzeugen und Predator-Schneepflügen gegönnt. In solchem Umfeld denkt man natürlich schnell darüber nach, ob nicht eine Badeinsel der nächste Schritt zur Vervollkommnung des eigenen Haushalts ist.

Ach, ja: Der Abzweig zum "Schönacher Geflügel" führte keinesfalls zu einem freundlichen Kleintierpark, sondern zu einem Schlachthof. Samt Verköstigung. Da kann man seinem Essen vorher noch persönlich ein "Adieu!" zuwinken.

Hat man in der Form auch noch nie vermisst.

* * * Soundtrag zum Eintrack: Morissey - That's how people grow up

Das hat es in der Zeit meiner B-Proben der von den Musik-Gazetten zum "Album des Monats" bestimmten Werke noch nicht gegeben: MusikExpress, Visions und Spex sind sich einig, dass Uns Morrissey mit "Years of refusal" das Album der Tage abgeliefert hat. (Mit dem choralen Schöheitsfehler, dass die Spex sich zwar keine andere Meinung, wohl aber einen anderen Zeitpunkt gönnte und das im Februar erschienene Album bereits in ihrer ersten Ausgabe des Jahres als Album des Monats vorfeierte. Durch irgendein Detail muss man ja auch eine Meinungsführerschaft manifestieren...).

Nun, was will uns das sagen? Der ja bereits in der Endphase der seligen Smiths oftmals mit Häme bedachte Morrissey wird mit seiner seither keinesfalls gebremsten Fühligkeit des Wehmuts doch noch einmal ein Everbody's Darling im Reigen der kritischen Journaille?

Will mal so sagen: Die Smiths-Alben rücken in der letzten Zeit auch bei im apartesten Kleinklein ihre Musikkennerschaft zeigenden Bekannten immer häufiger aus den lichtscheuen Ecken der eigenen Plattensammlung hervor. Gar bis in die Player/auf den Plattenteller - was vor fünf Jahren so nicht denkbar gewesen wäre oder zumindest einige Erklärungen verlangt hätte. Irgendwie ist die Phase des Wiederhörens gekommen. Da kann man auch angesichts der Fülle großartiger Songs rein gar nichts gegen haben.

Deshalb wird auch von mir mit einem O.K. in den einhelligen Chor der Musikkritik eingestimmt und  

Morrissey - Years of resusal

zu meinem persönlichen Album des Monats gewählt, auch wenn mir die neue "Trail of dead"-Platte naturgemäß näher liegt und auch die neue Mando Diao recht gut an meine naiv-simplen Grundbedürfnisse nach stumpf-guten Hooks andockt.

Ein Grundtenor der Kritik war ja der sensationelle Wandel vom eklektischen Dandy zum rüden Gitarren-Wüter. Sicherlich wird auf "Years of resusal" eine Spur kompakter und kraftvoller musiziert als auf früheren Solo-Alben, aber Kraft (hören wir im Coda von "Something is squeezing my skull" gar eine Double-Bass?) wird eher unauffällig mitgereicht als Nebengang zum gewohnt megapräsenten und unnachgiebig überbeschäftigten Gesang sowie beschwingter Melodiösität, welche allerdings auch auf "Years of refusal" nicht mehr die Goldgräber-Euphorie der früheren Smiths-Jahre erlangt.

Nun, dass Lieder wie "That's how people grow up" und "When i spoke to Carol" so hervorstechen, liegt nicht allein an deren Großartigkeit, sondern eben auch an dem auf beachtlicher, aber nicht durchgehend grandioser Höhe angeschlagenen Grundton, auf den sich Songs wie "All you need is me" oder "Mama lay softly on the riverbed" eher gesichtslos einigen.

Wer sich aber von "I'm throwing my arms around Paris" nicht physisch umarmt fühlt, spürt vermutlich gar nichts mehr und alles drängt auf diesem Album in den Strom der Erkenntnis, dass der meinethalben härter gewordene Morrissey besser in der Jetzt-Zeit aufgehoben scheint als in den Jahren zuvor. Und das liegt vor allem daran, dass sich unser Zeitalter immer stärker aufmacht, in einen Trend zur Aufrichtigkeit einzubiegen. Und wer hätte auf diesem Gebiet mehr aufzubieten als der immer auch mal über die Peinlichkeit hinaus ehrliche Morrissey?

Tatsächlich ist das Phänomen der Peinlichkeit ausgestanden in dem Moment, da auch der x-te im Privatfernsehen abgefeierte Comedian meint, sich im Jenseits der Scheingrenzen der Moral austoben zu müssen. Oliver Pocher würde momentan wohl niemanden auf deutschen Bildschirmen ätzender finden als sich selbst und wird damit zum Sinnbild des Dilemmas: Das ja durchaus berechtigt gegen die Biederkeit und esoterische Unterwanderung der Artigkeits-Heinzelmännchen gestartete Nest-Beschmutzen der Zyniker hat sich einfach überlebt.

Das Lustigmachen über ohnehin alle Waffen streckende Aufrechte wird eine zu dreckige Angelegenheit, sobald diese von minderbemittelten Comedians übernommen wird. Glauben wir doch lieber hieran: Die Rückkehr der Aufrichtigen als Sprachrohre der Weltzustandsberichte. Und daran, dass die Welt mit einem Morrissey-Album an der Spitze der Jahrescharts eine bessere zu sein scheint, gleichwie gut oder nur O.K. das Album geraten sein mag. Nun, dazu wird's dann doch wohl nicht reichen, aber für einen Moment wirkte es doch so...

* * * Soundtrag zum Eintrack: The Smiths - Stop me if you've heard this one before

Schnee. Alles voll Schnee. Habe gedacht, das wäre ein wunderbar angemessener Ort, meinen gerade handschriftlich vollendeten Roman einzutippen: 2137 Meter über Normal Null, weitab von allem und als einzig mögliche Zerstreuung ein paar Runden auf Ski-Brettern.

Ich tippe. Es schneit. Die versprochene majestätische Aussicht auf das Walliser Alpenpanorama inclusive Weiß- und Matterhorn verschluckt sich nach 50 Metern. In guten Stunden. Oftmals reduziert sich die Sichtweite auf fünf Meter. Es schneit und kein Matterhorn im Umkreis von fünf Metern. Überhaupt nichts im Umkreis von fünf Metern außer Schnee, Schnee, Schnee.

Da mag wer aus dem Lager der neunmalklug Geborenen anmerken, dass man sich ja nun nicht zu wundern brauche, wenn man sich im März auf 2137 Meter Höhe begibt. Da schneit's nun mal.

Aber es schneit hier nicht. Es schneit und schneit und schneit. Ununterbrochen, unaufhörlich, morgens, mittags, abends, immer. Mein Roman beginnt eine unbeabsichtigte klaustrophobische Note zu entwickeln. Die Protagonisten leiden mit mir.

Meine kindliche Freude, die ich zunächst beim Durchstapfen von luftig-leichtem Pulverschnee empfunden habe, verflüchtigt sich zusehends. Es schneit und schneit und schneit. Beginne, die während eines Tages gefallenen Zentimeter Neuschnee zu addieren. Komme zu dem Ergebnis: Wir werden alle sterben. Die Lawine kommt diesmal von ganz oben.

Alle Schweizer sagen: Morgen wird es schon besser und übermorgen haben wir dann Sonne. Das war vorgestern. Gestern ist es nicht besser geworden. Heute schneit es. Und schneit und schneit und... Nur, weil die Sprache so niedlich klingt, sollte man hier nicht jedem Satz vertrauen.

Auch die Schweizer haben ihr Wetter nicht im Griff. Sie sagen jeden Tag: Morgen wird es schon besser und übermorgen haben wir dann Sonne. Aber ich will mich nicht beschweren. Plötzlich scheint die Sonne tatsächlich und man ist sich einig, dass das Wetter bereits am Vortag besser geworden war. Hatte ich so nicht bemerkt.

Jetzt bleibt es erst einmal schön! jubiliert man mir zu.

Dann schneit es wieder. Irgendwer merkt an: Ist aber schon weniger geworden!

Glückliche Schweiz.

* * * Soundtrag zum Eintrack: Black Sabbath - Snowblind

Wo die Worte fehlen, muss der Dichter versen. Oder so. Ja, nun habe ich Dutzende "Berliner Straßen" in den Weiten des Landes gesehen und mir noch für die Gesichtsloseste eine Story aus den Fingern gesogen, der treue Leser sei mein Zeuge.

In Duisburg aber schien mir auch das letzte Fingerglied geleert, was vielleicht nur auf eine Ermüdungserscheinung des werten Schreibers zurückzuführen ist. Aber die dortige Berliner Straße machte auf jeden Fall auch keinerlei Anstalten, es mir etwas leichter zu bereiten, ihre Vorzüge und Eigenheiten hervorzuheben.

Um nicht unverrichteter Dinge von diesem doch fernab vom Fernzug-Anschluss gelegenen Ort zurückzukehren, bemühte ich die textliche Krücke, kurzerhand den Jargon zu ändern.

In Versen können doch auch knappest zu vermittelnde Inhalte ein wenig im Volumen gepimpt werden. Nicht durch Geschwätzigkeit, sondern durch den inflationären Gebrauch der Zeilenwechsel.

Außerdem scheint es mir die mildere Form des Umgangs. Und so können die vielleicht mit der Grundaussage nicht hundertprozentig übereinstimmenden Bewohner der "Berliner Straße" in Duisburg Meiderich zumindest für sich verbuchen, Teil eines meiner Gedichte geworden zu sein, welches folgendermaßen ausschaut:

Meiderich
meide ich
jedenfalls seit heute
Denke auch
macht ja nichts
Woh'n genügend Leute

Die Berliner Straße dort
Ja, was soll ich sagen...?
Wer nichts Böses hören will
sollte nicht nach fragen

Andere mögen (macht ja Sinn!)
ganz anders empfin-
den, denn es ist ja offenbar
auch genügend Kundschaft da

Bevor sich jemand nun beschwert:
Duisburg ist 'ne Reise wert!
Hafen, Ruhrort, Landschaftspark
Viel Metall und Dampf, echt stark!

Die Berliner Straße dagegen...
Da hockt der Mercator und fragt sich: Weswegen
grade hier?

War das unfair? Sagt es mir.


* * * Soundtrag zum Eintrack: Morissey - I'm Throwing My Arms Around Paris