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Cabeza de Vaca - NATIONAL GEOGRAPHIC
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Cabeza de Vaca

Nach einer gescheiterten Florida-Expedition lebt ein gestrandeter Konquistador sechs Jahre lang unter Indianern. Erst halten sie Cabeza de Vaca als Sklaven. Dann bewundern sie ihn als Heiler – und hoffen, dass er sie vor den Spaniern beschützt.

Es ist das Schlimmste, was passieren konnte. Alle fünf Schiffe sind weg, wohl gekentert im Sturm. Alvar Nuñez Cabeza de Vaca war von Anfang an dagegen, einfach so ins Land zu marschieren und die ganze Flotte ohne genaues Ziel an der Küste weiterfahren zu lassen. Nun stehen 300 spanische Konquistadoren bleich, abgemagert und hungrig in Florida an einer Lagune.

Sie sind im Juni 1527 vom spanischen Hafen Sanlúcar de Barrameda aufgebrochen, um das Land an der Küste des Golfs von Mexiko zu erkunden. Pedro de Narváez ist der Kommandant, Cabeza de Vaca der Schatzmeister. Drei Monate haben sie in Florida nach Reichtümern gesucht, von denen ihnen Indianer erzählt hatten. Stattdessen haben sie nur Sümpfe und Schilfhütten, Wälder und ab und zu ein paar Maisfelder gefunden.

Jetzt, im August 1528, geht es nicht mehr um Gold, sondern um das nackte Leben. Mit ihren 40 Pferden, das wissen sie, werden sie hier nicht weit kommen. So nehmen sie ihre Steigbügel, Sporen und Armbrüste, um daraus Nägel, Sägen und Beile zu fabrizieren. Mit diesen Werkzeugen bauen sie fünf neue Barken, jede gut sieben Meter lang. Einer von ihnen gewinnt aus Kiefern Pech zum Abdichten, Schwanz- und Mähnenhaare der Pferde werden zu Tauen und Takelwerk, Hemden zu Segeln, Rotzedern zu Rudern. Zehn Spanier werden bei Indianerüberfällen getötet, 40 weitere sterben an Krankheiten und Hunger. Der Rest pfercht sich im September in die neuen Boote.

Sie fahren sieben Tage durch Lagunen, dann einen Monat Richtung Westen über das offene Meer. Gebeutelt von Stürmen, treiben sie an der Mündung des Mississippi vorbei. Sie beginnen, sich aus den Augen zu verlieren. Narváez sagt, jeder solle nun selber sehen, wie er sich retten könne, und macht sich mit seiner Barke davon. Ein Boot sinkt. Eine mächtige Woge wirft das Schiff mit Cabeza de Vaca und das mit den Hauptleuten Andrés Dorantes und Alonso del Castillo auf eine Insel. Sie liegt vor der Südküste des späteren US-Staats Louisiana.

Hier beginnt eine Odyssee, die sechs Jahre dauern wird. Cabeza de Vaca wird sie später detailliert beschreiben. Eine Hand voll versprengter Spanier lebt in der Welt von Indianern, die sie bislang nur als Beutegut gekannt haben. Sie werden selber wie Sklaven behandelt, bekommen kaum etwas zu essen, sterben wie die Fliegen, einige essen aus Verzweiflung das Fleisch der Toten. Nach kurzer Zeit sind von den 80 Gestrandeten nur noch 15 am Leben.

Nach etwa einem Jahr gelingt es Cabeza de Vaca, sich allein mit einem Boot auf das Festland abzusetzen. Er lebt von Wurzeln in den Wäldern und beginnt ein Dasein als Händler. «Es gab mir die Freiheit hinzugehen, wo ich wollte», schreibt er später. «Ich war nicht mehr zur Arbeit gezwungen und nicht länger ein Sklave.» Der Spanier tauscht Muschelschalen, die er an der Küste sammelt, gegen Tierfelle und roten Ocker, mit dem die Ureinwohner sich Gesicht und Haare färben. Er verkauft Feuerstein für Pfeilspitzen, Klebstoff von Pflanzen und Quasten aus Tierhaar.

Cabeza de Vaca wird Zeuge indianischer Sitten, die noch völlig unberührt vom Einfluss der Weißen sind. Die Ureinwohner rechnen weder in Tagen und Jahren noch nach Sonne und Mond, sondern nach der Konstellation von Sternen und den Zeiten, in denen die Kaktusfrüchte – das wichtigste Nahrungsmittel – reifen. Die Frauen, so beobachtet Cabeza de Vaca, müssen hart und ohne Unterlass arbeiten. Am Tag graben sie nach Wurzeln, suchen Feuerholz und schleppen Trinkwasser nach Hause. In der Nacht trocknen sie die Wurzeln über offenen Feuern.

Neugeborene Mädchen, das sieht Cabeza de Vaca schockiert, werden oft ausgesetzt und von Hunden gefressen. Die Eltern sagen ihm, das sei besser, als sie mit einem Feind zu verheiraten, denn mit allen Stämmen der Umgebung lägen sie im Krieg. «So töten sie lieber die Mädchen, als mit anzusehen, wie sie neue Feinde gebären.» Eine Heirat innerhalb des eigenen Klans, erfährt Cabeza de Vaca, ist bei ihnen nicht üblich. Wenn ein Mann heiraten will, kauft er sich eine Frau von den Feinden, der Preis ist ein Bogen mit zwei Pfeilen.

Dorantes, del Castillo und der Schwarze Estebanico haben sich ebenfalls in diese Gegend geflüchtet. Nach einiger Zeit treffen sie mit Cabeza de Vaca zusammen. Die Spanier machen sich bei den Indianern einen Namen als Medizinmänner. Gebannt verfolgen die Ureinwohner, wie die Christen über Kranken das Kreuzzeichen in der Luft ziehen und Fürbitten murmeln. Stets sagen die Patienten tags darauf, die Schmerzen seien verschwunden. Der Ruhm der weißen Heiler wird so groß, dass Indianer in Scharen selbst von weit entfernten Orten kommen, um sich von ihnen behandeln zu lassen. Fast alle bringen sie als Gegenleistung Wild mit. «Wir wussten gar nicht mehr, wo wir das alles lagern sollten.»

Im Jahr 1535 wagen die Spanier, nach langer Vorbereitung, den Aufbruch zurück in ihre Welt. Sie streifen durch Texas, queren zweimal den Rio Grande, wenden sich erst nach Norden, dann wieder nach Süden, Richtung Mexiko. Die Angaben in Cabeza de Vacas Reisebericht sind so ungenau, dass die Route sich später nur schwer rekonstruieren lässt. Ihr Ruf als Heiler, der ihnen vorauseilt, beschert ihnen nicht nur viele Patienten, sondern auch ein wachsendes Gefolge. Cabeza de Vaca schneidet mit seinem Messer einem Mann eine Pfeilspitze aus der Brust – der Operierte ist so dankbar, dass er das entfernte Stück als Souvenir mit nach Hause nimmt.

Cabeza de Vaca sieht die Folgen der conquista, die sich in Mexiko nach der Zerstörung des Aztekenreichs durch Hernán Cortés gen Norden ausbreitet. Ganze Dörfer sind verlassen, die Einwohner in die Berge und Wälder geflüchtet. Angst vor den Schusswaffen verbreitet sich im Land, Angst vor der Sklaverei. Die Indianer beginnen, de Vaca und seine Begleiter als ihre Beschützer zu betrachten. So haben diese keinen Mangel an Führern, immer mehr Einheimische schließen sich ihnen an. Wenn sie in neue Dörfer kommen, laufen die Menschen zusammen, um sie zu berühren, und die ganze folgende Nacht wird gefeiert und getanzt. «Oft waren drei- bis viertausend Leute um uns herum», schreibt der Chronist später.

Im Hochland der Sierra Madre treffen die Spanier 1536 auf einen Indianer, an dessen Hals die Schnalle eines Schwertgürtels hängt. Er habe sie von bärtigen Männern erhalten, sagt er. Sie seien vom Himmel her mit Pferden, Lanzen und Schwertern gekommen und dann über das Wasser wieder entschwunden, «wir sahen sie auf den Wellen, wie sie in die Richtung der untergehenden Sonne schwammen». Für Cabeza de Vaca und seine Begleiter ist es seit Jahren die erste Spur von anderen Spaniern. Bald darauf stehen sie vier Reitern gegenüber, die sie fassungslos anstarren. Die Geschichte, die sie erzählen, klingt so unglaublich, dass ihren Landsleuten lange die Worte fehlen. Sie werden nach San Miguel Culiacán zum zuständigen Statthalter Melchior Díaz gebracht. Die Indianer, die ihnen gefolgt sind, müssen deprimiert zur Kenntnis nehmen, dass sie ihre Beschützer verloren haben. Im Auftrag von Díaz sagt ihnen Cabeza de Vaca, sie sollten wieder in ihre Dörfer zurückkehren, ihre Felder bestellen und gute Christen werden – dann werde ihnen nichts passieren. Sie sagen, dass sie darauf vertrauen. Was sollen sie auch sonst tun?

Cabeza de Vaca kehrt 1537 nach Spanien zurück. 1540 wird er als Gouverneur der neuen Provinz La Plata nach Südamerika geschickt. Von 1543 bis 1544 unternimmt er eine neue – wenig erfolgreiche – Expedition in Richtung der Silberminen, die in den Anden gefunden wurden. Cabeza de Vaca regiert eine Zeit lang in Asunción. Dann wird er von politischen Gegnern abgesetzt, nach Spanien geschafft, verurteilt und wieder freigesprochen – ein Lebenslauf, den Cabeza de Vaca zu jener Zeit mit vielen Eroberern teilt.

In einem Punkt aber hat Cabeza de Vaca eine Erfahrung wie kaum ein anderer Konquistador gemacht. Er hat von der anderen Seite her gesehen, was seine Landsleute in den Kolonien anrichten. Die ersten vier Weißen, die er in Mexiko nach sechs Jahren Nomadentum traf, waren wütend darüber, dass er mit „seinen“ Indianern Freundschaft geschlossen hat. Sie erklärten den Ureinwohnern, de Vaca und seine Begleiter seien nichts als Herumtreiber, die keine Macht in diesem Land hätten. Die Indianer glaubten ihnen kein Wort. «Die Christen lügen», hörte er sie in ihrer Sprache zueinander sagen. «Diese Männer kamen von da, wo die Sonne aufgeht – die anderen von da, wo die Sonne untergeht. Sie heilten die Kranken – die anderen töten die Gesunden. Sie gingen nackt und ohne Schuhe – die anderen haben Kleider, Pferde und Lanzen. Sie haben nichts gefordert und immer gegeben – andere geben nie, sondern stehlen nur immerzu.» Es gibt nicht viele Konquistadoren, über die Indianer so geredet haben.

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