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„Bleibe am Ball“
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27. Dezember 2007

„Bleibe am Ball“

Justizministerin Brigitte Zypries zieht im Interview mit rik eine Homo-Halbzeit-Bilanz

Gezänke hin und her: Voll des Lobes war Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 28. November in der Generaldebatte des Bundestags über die (vor allem ökonomischen) Erfolge der Großen Koalition. Ob das bei den drei in dieser Frage so unterschiedlich denkenden Partnern auch für die Homo-Politik gilt, darüber gehen die Meinungen stark auseinander. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zog im Interview mit Torsten Bless vom Kölner Szenemagazin rik ihre persönliche Halbzeitbilanz dieser Legislaturperiode.

Bei der in die Zuständigkeit des Finanzministeriums fallenden Reform des Erbschaftssteuerrechts haben sich die Koalitionsparteien auf einen einheitlichen Freibetrag von 500.000 Euro sowohl für Hetero-Eheleute als auch für eingetragene Lebenspartner geeinigt, was für Überraschung gesorgt hat. Wie bewerten Sie das Entgegenkommen der Union in dieser Frage?

Ich habe mich gefreut, dass uns die Durchsetzung des Freibetrags gelungen ist. Ich hatte im Vorfeld mit Herrn Steinbrück, aber auch mit den anderen SPD-Ministern darüber gesprochen, weil es mir ein Anliegen war, eine Gleichbehandlung der homosexuellen Paare zu erreichen. Das haben wir jetzt im Großen und Ganzen geschafft. Wir müssen nun aber achtsam sein, dass uns die Union bei den Beratungen im Parlament die Einigung nicht wieder aufkündigt.

Sehen Sie nun Chancen, dass sich CDU und CSU auch in anderen Fragen der Homo-Politik bewegen könnten, etwa bei der Weiterentwicklung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft?

Wir haben ja im Wesentlichen schon alles erreicht. Es gibt einige wenige Bereiche, in denen noch weitere Reformen erforderlich sind. Da werde ich natürlich am Ball bleiben und mich bei jedem Gesetz für das, was an Gleichstellung noch erreicht werden muss, einsetzen.

Könnte sich in den Reihen der Unions-Abgeordneten noch etwas bewegen, gerade vor dem Hintergrund der neuen Grundsatzprogramme von CDU und CSU?

Ich habe mich gefreut, dass die CDU in ihrem neuen Grundsatzprogramm homosexuelle Lebenspartnerschaften anerkannt hat. Das ist ein Fortschritt, an den wir die Kollegen von der Union bei den nächsten Gesetzgebungsvorhaben auch erinnern werden.

Auch wenn es um ein volles Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare gehen sollte?

Ich denke nicht, dass wir da noch etwas erreichen. Ich habe das auch nicht versucht, denn nach wie vor klagt ja Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die von uns eingeführte Stiefkindadoption. Solange von einem unserer Koalitionspartner noch ein Verfahren anhängig ist, macht es nach meinem Ermessen keinen Sinn, über mehr zu reden.

Im neuen Unterhaltsrecht werden die Kinder aus nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften mit denen aus einer Ehe gleichgestellt. Können davon auch die sogenannten „Regenbogenfamilien“ profitieren?

Ja. Lebenspartnerschaften werden durch die Reform im Rang den Ehen gleichgestellt. Beim Betreuungsunterhalt reden wir von dem Unterhalt, den derjenige bekommt, der das Kind betreut.

Kaum eines der in Ihrem Haus verantworteten Gesetzesprojekte war so umstritten wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Welches persönliche Fazit ziehen Sie mehr als einem Jahr nach dem Inkrafttreten?

Ich fühle mich bestätigt. Ich habe immer gesagt, dass das angekündigte Szenario der massenweisen Klagewelle nicht eintreten wird. So ist es auch gekommen. Deutschland ist kein Land, in dem flächendeckend diskriminiert wird. Es geht vielmehr um Einzelfälle, für die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz richtig und wichtig ist, und ich bin froh, dass in der Bevölkerung das Bewusstsein für Ungleichbehandlungen durch die intensive Debatte über dieses Gesetz weiter geschärft wurde.

Union und Mittelstand haben zum „Einjährigen“ im August ein völlig anderes Fazit gezogen. Das Gesetz habe für viel mehr Bürokratie und damit auch gesteigerte Kosten gerade für kleinere und mittlere Betriebe gesorgt …

Es sind natürlich Fortbildungen erforderlich gewesen, beispielsweise für Menschen, die Personalverantwortung tragen und die neue Vorgaben bei den Auswahlentscheidungen respektieren müssen. Eine Fortbildung ist nun mal mit Bürokratie verbunden. Ich denke aber, es ist schon ein echter Mehrwert, dass Diskriminierungen in bestimmten Bereichen des zivilrechtlichen Lebens nicht mehr zulässig sind.

Sehen Sie Chancen, die bislang ausgeklammerten Kirchen noch mit ins Antidiskriminierungsboot zu nehmen?

Es gibt ja eine grundsätzliche Rechtsprechung in Deutschland, nach der in so genannten „Tendenzbetrieben“ andere Grundsätze zum Tragen kommen. Der Arbeitgeber kann hier seine eigenen Vorstellungen stärker verwirklichen. Dies gilt auch für andere Bereiche. Beispielsweise braucht ein schwul-lesbisches Beratungsbüro, das von der Kommune finanziert wird, keinen Heterosexuellen einzustellen.

Aber ist das nicht ein Unterschied? Wenn man Ihrer Analogie folgt, hieße das ja, dass Schwule und Lesben in kirchlichen Einrichtungen weniger befähigt wären, christliche Grundsätze zu vertreten …


Das ist nicht meine Vorstellung, sondern die Vorstellung der Kirche. Das muss ich akzeptieren, genauso wie ich akzeptieren würde, dass Sie in einem schwul-lesbischen Beratungsbüro keine Heteros einstellen, sondern lieber Schwule, die aus eigener Erfahrung mitreden können.

Ist es nicht wünschenswert, in ein paar Jahren noch einmal einen Versuch zu starten, das Antidiskriminierungsrecht auch auf die Kirchen auszuweiten?

Ich denke nicht, dass wir in dieser Legislaturperiode dazu noch etwas unternehmen.

Gibt es denn andere Projekte, die Sie noch für diese Wahlperiode verfolgen?

Wir werden auf alle Fälle noch Gesetze verabschieden, die weitere kleine Schritte zur Gleichberechtigung beinhalten. Als Beispiel nenne ich das Reformgesetz zur freiwilligen Gerichtsbarkeit, das die Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten auch im familiengerichtlichen Verfahren vorsieht. Hier geht es etwa um Fragen des Anspruchs auf Besuchsrechte, also das Recht, Kinder zu sehen. Wenn sich ein homosexuelles Paar mit Kindern trennt, gilt ja auch zu klären, was die Co-Mutter oder der Co-Vater darf.
Bei von anderen Ressorts verantworteten Vorhaben setze ich mich ebenfalls für die Gleichstellung ein, beispielsweise im Beamtenrecht bei der Hinterbliebenenversorgung und beim Zugang von homosexuellen Partnern zu Beihilfen. Dies gilt für das Beamtenstatusgesetz, aber auch für das Dienstrechtsneuordnungsgesetz, das gerade im Bundestag liegt. Hier habe ich eine Protokollerklärung im Kabinett abgegeben, in der ich darlege, dass die Nichtgleichstellung verfassungsrechtlich sehr problematisch ist. Bei den Angestellten gibt es ja bereits Ansprüche auf die normale Rente, aber eben nicht bei Beamten. Jetzt gilt es, im parlamentarischen Verfahren darauf zu drängen, homosexuelle mit heterosexuellen Paaren auch bei den Pensionsansprüchen gleichzustellen.

Wie beurteilen Sie die Chancen einer Realisierung Ihrer Vorstellungen?

Das hängt davon ab, wie sehr die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag den Koalitionspartner überzeugen und parlamentarische Mehrheiten organisieren kann.

Gibt es so etwas wie unerfüllte Wünsche oder Pläne, die Sie in anderen Regierungskonstellationen eher verwirklicht sehen?


Das hat mit der Regierungskoalition weniger zu tun, sondern mit den politischen Kräfteverhältnissen in Deutschland insgesamt. Wir haben unter meiner Federführung das Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz in der letzten Legislaturperiode verabschiedet und überall da angeglichen, wo es ohne die Zustimmung des Bundesrats möglich war. Selbst wenn wir eine rot-grüne Bundesregierung hätten, gäbe es bei einem unionsdominierten Bundesrat wie derzeit keine Möglichkeit, unsere Belange durchzusetzen. Wir müssen daher erst auf Landesebene dafür sorgen, dass es rote Regierungen oder rot-grüne Koalitionen gibt um weiterzukommen.

 
 

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