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Louis-Antoine de Bougainville - NATIONAL GEOGRAPHIC
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Louis-Antoine de Bougainville

Keiner versteht es wie Louis-Antoine de Bougainville, der alten, von Schuld beladenen Welt den Zauber eines in Unschuld lebenden Traumreichs im Pazifik zu übermitteln. Seine Berichte aus der Südsee machen ihn zum Star in den europäischen Salons.

Hier also lag das Paradies, unberührt wie zu den Zeiten von Adam und Eva. Bis hierher war der Engel des Herrn mit seinem Schwert nicht gekommen, und wie es aussah, würde das auch so bleiben bis zum jüngsten Gericht. Hier, wo alles Liebe war, hatte die Erbsünde, unter deren Last die europäischen Christen ihr Leben fristeten, endlich verspielt. Tahiti, die glücklichste der glücklichen Inseln, von denen man aus dem Südmeer Kunde erhielt, war ein Ort der Freiheit und Schönheit. Gott hatte an einer einzigen Stelle auf dem Erdball mit den von ihm geschaffenen Menschen ein Einsehen gehabt und ihnen diese Botschaft geschickt: Lebt einfach, bescheiden und euren natürlichen Verhältnissen gemäß, und ihr werdet das Himmelreich schon auf Erden erlangen.

Der Mann, der im Mai 1770 in London von einer Schwärmerei in die nächste verfällt, hat sein Arkadien gefunden. Seine Schiffe, die „Boudeuse“ und die „Etoile“, haben vor den Gestaden der Aphrodite gelegen. „La Nouvelle Cythère“, die neue Insel der Venus, tauft er das Eiland, das in der Sprache der Eingeborenen unter dem nicht weniger wohlklingenden Namen Otahiti firmiert. «Die Weiber», schreibt Louis-Antoine de Bougainville, «bringen ihre Tage in Muße und Ruhe zu, und ihre größte Beschäftigung ist die Sorge zu gefallen... Die Einwilligung zur Liebe mit anderen ist aber nicht schwer zu erhalten, weil man gar keine Eifersucht kennt und die Männer die Ersten sind, welche die Weiber nötigen, sich einem anderen in die Arme zu werfen.» Manche der Zuhörer in London erinnern sich an andere Botschaften. 1767, wenige Monate vor der Ankunft des Franzosen, hat ein Engländer, Samuel Wallis, auf Tahiti ein launisches, zu Streitereien, Diebstählen und trügerischen Versöhnungsfesten aufgelegtes Völkchen vorgefunden. Wallis hatte aber nicht nach Arkadien, sondern nur nach einer erstmals 1606 von dem Spanier Pedro Fernandez de Quiroz angelaufenen Insel gesucht.

Das Pariser Publikum, vor dem Bougainville seine Erlebnisse im Südmeer bezeugt, ist weit mehr entzückt. In den galanten Schäferspielen des französischen Rokoko, die ein ländliches Utopia beschwören, dauert das Glück immer nur ein paar Stunden. Auf Tahiti, erfährt man jetzt, ist es von Dauer. Alles Streben nach Vollkommenheit, alle Sehnsüchte, alle Hoffnungen haben einen greifbaren, auf dem Globus verzeichneten Ort. Außerdem kennen ein paar aus der Damenwelt ihren Comtes de Bougainville nur zu genau. Der Galan lässt auch dann, wenn er nicht in Utopia weilt, keine amouröse Gelegenheit aus. Wegen der Verwicklungen, die außerhalb von Tahiti aus solchen Affären manchmal entstehen, protokolliert die Polizei, ohne dass Bougainville es ahnt, jeden seiner Schritte. Einer, der zu viel vom Paradies weiß, muss damit rechnen, dass die Staatsgewalt ihn unter Beobachtung stellt. Es könnten sonst ja alle dem Gedanken anhängen, man müsse nur nach den Früchten des Himmels greifen, um schon im Diesseits sein Auskommen zu finden.

Weil Bougainville das Vertrauen seines Königs genießt, muss er solche Nachstellungen im Geheimen nicht wirklich fürchten. Er gibt sich als Mann von Adel, daher richtet man keine Fragen an ihn. Bougainville ist außerdem einer, der mit seinen Erzählungen vom Paradies tief in der Gesellschaft schlummernde Bedürfnisse bedient. Bougainvilles talentiert erzählte Schwärmereien machen die Nöte im von Zerwürfnissen und Kriegen geplagten Europa vergessen. Johann Reinhold Forster schreibt 1772, während sein Sohn Georg Bougainvilles Reisebericht ins Deutsche überträgt, mit lakonischer Ruhe: «Weltumsegelungen sind seit kurzem das Thema aller Gesellschaften.» Die Forsters werden sich, von Bougainvilles Wundern inspiriert, aber nicht geblendet, noch im selben Jahr mit James Cook auf die nächste Fahrt nach Tahiti begeben.

Dass der Franzose kein Lügner gewesen sein kann, steht in Georg Forsters eigenem Reisebericht: «Sobald wir ausgestiegen waren, eilten wir nach den Plantagen, und wir fanden bald, dass Bougainville nicht zu weit gegangen sei, wenn er dies Land als Paradies beschrieben hatte.» Vater und Sohn Forster hatten beim Studium der Aufzeichnungen von Bougainville freilich auch registriert, dass dessen Expedition jenseits von publikumswirksamen Schwärmereien als wissenschaftlich fundiertes und systematisch geplantes Unternehmen angelegt war. Zwei der Begleiter Bougainvilles, der Naturforscher Philibert Commerson und der Astronom Pierre-Antoine Veron, waren weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt und geachtet.

Bougainville, ein Kind der Pariser Gesellschaft mit glänzenden Aussichten für jede denkbare Karriere, ist spät unter die Seefahrer gegangen. Er hat den Beruf eines Rechtsanwalts ausgeübt und danach als Generaladjudant militärische und als Botschaftssekretär diplomatische Erfahrungen gesammelt. 1756 führt ihn sein Weg unter General Montcalm nach Kanada. Auf dieser Reise wird Bougainville mit seemännischen Praktiken bekannt und findet Gefallen an ihnen. Im Siebenjährigen Krieg befindet sich, bei den Auseinandersetzungen um Quebec, auf der Gegenseite ein fast gleichaltriger Engländer im Rang eines Oberbootsmanns: James Cook. Beider Wege werden sich danach noch häufiger kreuzen, ohne dass sie einander auch nur einmal wirklich begegnen. Der aus besten Kreisen stammende, jeder Galanterie aufgeschlossene Franzose und der spröde, aus bescheidenen Verhältnissen aufgestiegene Engländer stehen, nimmt man die Spielregeln für das gesellschaftliche Leben an Land zum Maßstab, in einem kaum überbietbaren Gegensatz zueinander. Auf See und in Übersee hätten solche Fragen, wäre es zu einem Zusammentreffen gekommen, wahrscheinlich eine weitaus geringere Rolle gespielt.

1767 befindet sich Bougainville erneut im Seegebiet der Malwinen (Falklandinseln). Sein Auftrag ist, wiewohl ziviler Natur, gegen die Bestrebungen der Engländer im Pazifik gerichtet. Mit der „Boudeuse“ und der „Etoile“ fährt er sich zunächst in der Magellanstraße fest. Bougainville benötigt für die Durchfahrt 52 Tage. Fernando Magellan hat dafür 1520 ohne jede Ortskenntnis 28 Tage gebraucht. Die Durchquerung des Pazifiks gelingt problemlos. Tahiti erweist sich als das Paradies, nach dem die Europäer gesucht haben. Das hat, wie man später erfahren wird, mehr mit ihren Wünschen und weniger mit ihrer Beobachtungsgabe zu tun.

Bougainville wird zum Charmeur im Kreis der Entdeckungsreisenden. Er ist der Aufklärer, der den Romantikern ihr Utopia schenkt. Sein Unglück, bei all seinem Glück, besteht darin, dass er auch noch über die für die Verbreitung einer solchen Botschaft unabdingbaren literarischen Talente verfügt. Von keinem, und von ihm am wenigsten bemerkt, sickert die Nachricht vom pazifischen Zauberreich ein in das Verlangen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Nur die Polizei von Paris begreift, welche Energien der Libertin Bougainville zu mobilisieren vermag.

Alles, was sich nach Tahiti ereignet, wird an Tahiti gemessen. Bougainville ist keineswegs entgangen, dass Mord und Totschlag, strikte Rassentrennung und Menschenopfer im Pazifik so verbreitet sind wie auf dem europäischen Kontinent, wo man dabei ist, dem ein Ende zu machen. Von diesem Ende her definiert er seine Mission. Seine Darstellung enthält keine Zerrbilder, es sei denn, man wäre umstandslos bereit, Bilder der Hoffnung für Zerrbilder zu halten. Ein solcher Gedanke aber wäre in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unzeitgemäß. Bougainville ist ein Kind seiner Zeit. Er glaubt mit Recht an die Segnungen der Wissenschaften, und sei es nur, weil sie ihm, über das Kap der Guten Hoffnung, Ascensión, die Kapverden und die Azoren, die Rückkehr nach Frankreich ermöglichen. Am 16. Januar 1769 ist er zurück in St.-Malo. Bougainville glaubt aber auch an das Gute im Menschen, an dessen Möglichkeiten, mit der äußeren Natur und mit der eigenen Natur in Einklang zu leben. Diese Botschaft wird von allen, denen er sie übermittelt, am besten verstanden. Als Bougainville im Jahr 1811 in Paris stirbt, ist von ihr nur noch wenig zu spüren. Tahiti, wie er es sah, hat den Europäern nicht als Maßstab, sondern nur als Mittel zu ihrer Zerstreuung gedient. Umso mehr ist das Tahiti, das Bougainville nicht sehen wollte, nach wie vor ein teil ihrer Welt.

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