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Wilhelm von Rubruk - NATIONAL GEOGRAPHIC
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Wilhelm von Rubruk

Ein Franziskaner aus Flandern soll christlichen Missionaren das Mongolenreich öffnen. Wilhelm von Rubruk scheitert am Desinteresse des Herrschers Mangu. Doch sein Reisebericht wird zu einer spannenden Lektüre über eine unbekannte Welt.

Wenigstens eine gute Nachricht ist aus dem Osten gekommen. Der Dominikanermönch Andreas von Longjumeau hat sie von seiner Reise ins Mongolenreich mit nach Hause gebracht. Frankreichs König Ludwig IX., der sich auf einem Kreuzzug im Orient befindet, setzt all seine Hoffnungen auf diese sensationelle Neuigkeit. Prinz Sartak, berichtet Bruder Andreas, sei Christ geworden! Der Sohn von Fürst Batu, dem Herrscher über das Reich der „Goldenen Horde“, im Schoß der katholischen Kirche? Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Heißt das etwa, dass der Einbruch des einzig wahren Glaubens ins Reich der Reitervölker doch gelungen ist?

König Ludwig, Beiname „der Heilige“, kann gute Nachrichten brauchen. Der sechste Kreuzzug gegen die Muslime, den er anführt, brachte 1250 in Ägypten ein Desaster. Bei Mansura im Nildelta wurde das christliche Heer besiegt, Ludwig sogar selber gefangen genommen. Er kam nur gegen ein hohes Lösegeld und die Übergabe der Stadt Damiette frei. Und die diplomatische Mission von Bruder Andreas, die 1249 begonnen hatte, war insgesamt gesehen ebenfalls ein Fehlschlag. Sie brachte das Ende der Illusion, die mächtigen Mongolen für ein Bündnis gegen den Islam gewinnen zu können – sie hatten die Anfrage als Geste der Unterwerfung missverstanden.

Nur eben diese eine gute Nachricht ist geblieben. Sie ist zwar nur aus zweiter oder dritter Hand, dennoch klammert sich der König daran. Er will es noch einmal mit einer Gesandtschaft bei den Mongolen versuchen. Sie soll, nach der vorangegangenen Erfahrung, keinen offiziellen Charakter mehr haben. Der christliche Bote, den der König entsenden will, soll einen rein missionarischen Auftrag erhalten.

Der Ruf ergeht an einen Franziskaner, der schon seit einiger Zeit im Heiligen Land tätig ist. Bruder Wilhelm stammt aus dem Ort Rubruk in Flandern. Seine Muttersprache ist Deutsch. Über sein Vorleben ist nichts bekannt, nicht einmal das Jahr seiner Geburt. Doch er steht in einem guten Ruf als Prediger und Reisender, sonst hätte der Herrscher sich nicht für ihn entschieden. 1252 bespricht Ludwig der Heilige mit ihm die große Mission.

Franziskaner gehen barfuß, so schreibt es die Ordensregel vor. Und sie reisen nie allein, sondern stets zu zweit. So wird Wilhelm von Rubruk ein Ordensbruder zur Seite gestellt, Bartholomäus von Cremona. Dazu kommen der Kleriker Gossel, der junge orientalische Sklave Nikolaus und ein Dolmetscher, den Wilhelm in seinem Bericht als homo dei (Gottesmann) Turgomannus bezeichnen wird. Der byzantinische Kaiser Balduin II. gibt ein Empfehlungsschreiben mit. Die Gruppe bricht im Mai 1253 von Konstantinopel aus in den Osten auf.

Wilhelm von Rubruk erlebt die gleichen Enttäuschungen, die vor sechs Jahren mit der gescheiterten Mission von Giovanni Carpini begannen, der im Auftrag des Papstes beim Großkhan war. Die Geschichte vom christlichen Prinzen stellt sich als Märchen heraus. Im Hoflager Sartaks, drei Tagesreisen vor der Wolga, betritt Wihelm feierlich gewandet, die Bibel an ein Kissen auf der Brust gedrückt und ein Salve Regina auf den Lippen, die Jurte des Herrschers. Sartak findet das eher lustig und sagt ihm, er sei Mongole und kein Christ. Er scheint die Christen nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als Nation zu betrachten. Verwirrt durch das Schreiben, das der Mönch in einer türkischen und arabischen Version überbringt, schickt er die seltsamen Besucher zu seinem Vater. Der wiederum leitet – wie im Fall Carpini – die Sache gleich nach ganz oben weiter. So müssen die Reisenden den langen Weg nach Karakorum, der Hauptstadt des Mongolenreichs, auf sich nehmen.

Aber den zweiten Auftrag, den der Mönch erhalten hat, erledigt er mit wahrer Meisterschaft. Wilhelm von Rubruk schreibt alles auf, was er unterwegs erlebt, und zwar so detailliert und objektiv, dass sein Reisebericht selbst einem Forscher zur Ehre gereichen würde. Wilhelm rückt falsche Vorstellungen zurecht, die sich Jahrhunderte lang gehalten haben. Das Kaspische Meer, so erkennt er zum Beispiel, ist keine Ausbuchtung eines Ozeans, sondern ein großer See, «allseitig von Land umgeben». Wilhelm berichtet farbig und doch sachlich, nähert sich fremden Kulturen mit einer für seine Zeit erstaunlichen Unvoreingenommenheit. Wilhelm von Rubruk meidet die mittelalterliche Unsitte, Fakten und Fabeln zu vermischen. So entsteht das bis dato genaueste Bild von dem Vielvölkerstaat der Mongolen, das ein Europäer zeichnet. Erst das Werk von Marco Polo , der 18 Jahre später aufbricht, wird es noch übertreffen.

Für den langen Ritt durch die Steppen bekommen Wilhelm und seine Begleiter Pelzröcke und -kapuzen, Filzstiefel und -socken. Sie sehen, wie Flüsse aus den Bergen im Boden versickern und Sümpfe bilden. Sie erblicken wilde Esel und Bergschafe mit langen Hörnern – Tiere, die es in Europa nicht gibt. Sie übersteigen die Berge des Kirgisischen Alatau, kommen an einer zerstörten Lehmfestung vorbei, machen eine Woche Pause im Marktflecken Kajalik. Wilhelm notiert die Namen exotischer Völker, durch deren Gebiet sie kommen: Uiguren und Serer, Tangut und Tebet, Longa und Solanga. «Es war, als setzte ich den Fuß in eine andere Welt», schreibt Wilhelm später. «Wenn ich doch wenigstens malen könnte! Ich würde alles mit dem Pinsel berichten.»

Wilhelm von Rubruk sieht „Götzendiener“ von einer Art, die man bisher in Europa nicht kannte. Sie halten immerzu Schnüre mit Kügelchen in den Händen, «so wie wir den Rosenkranz tragen», und murmeln unentwegt, wie es der Mönch notiert, die Worte on mani battam. Es ist die erste, wenn auch etwas verballhornte Erwähnung der buddhistischen Gebetsformel Om mani padme hum („Verehrung dem Juwel im Lotus“).

Wilhelm beschreibt Szenen der Wahrsagerei. Je nachdem, wie das Schulterblatt eines Schafs beim Rösten über dem Feuer auseinander bricht, können Aussagen über die Zukunft getroffen werden. Es ist verboten, die Eingangsschwelle eines Wohnraums mit Füßen zu berühren, sei es beim Hinein- oder Hinausgehen. Bruder Bartholomäus, der in Unkenntnis auf sie tritt, wird dafür um ein Haar mit dem Tod bestraft. Wilhelm ist auch der Erste, der über die chinesische Schrift berichtet. «Die Bewohner von Cathay schreiben mit einem Pinsel, wie ihn die Maler haben, und sie setzen in einem einzigen Schriftzeichen mehrere Buchstaben, die ein Wort ausmachen, zusammen.»

Anfang 1254 trifft Wilhelm von Rubruk in Karakorum ein. Die Stadt, schreibt er, sei «umschlossen von einem Lehmwall mit vier Toren», sie habe zwölf Götzentempel, zwei Moscheen, aber auch eine christliche Kirche an ihrem äußersten Ende. Bekehrungswütig stürzt er sich in Glaubensdispute mit Muslimen und Buddhisten, Schamenen und den von ihm verachteten christlichen Nestorianern, die sich im 5. Jahrhundert von der römischen Kirche abgespaltet und sich seither vor allem in Zentralasien ausgebreitet haben. Resigniert erlebt der asketische Franziskaner, wie die religiösen Debatten in einem Trinkgelage enden. Die Mongolen sind in Glaubensfragen tolerant, ja geradezu locker. «Wie Gott der Hand verschiedene Finger gegeben hat», sagt der Herrscher Mangu zu ihm, «so hat er auch den Menschen verschiedene Wege gegeben, selig zu werden.»

Mangu Khan, der Wilhelm mehrmals empfängt, findet den Mönch durchaus sympathisch. Dennoch kommt es ständig zu Missverständnissen. Wilhelm hat seinen Dolmetscher schon lange im Verdacht, die Hauptschuld daran zu tragen. Er ist froh, als er ihn endlich loswird. Für den Rückweg gewinnt er als Übersetzer den Adoptivsohn des Pariser Goldschmieds William Bouchier, der in Karakorum weilt und bei der Religionsdebatte Zeuge wurde, dass Wilhelms homo dei, der „Gottesmann“, gerade mit dem theologischen Vokabular seine Schwierigkeiten hatte.

Im Juli 1254 macht sich Wilhelm von Rubruk auf den Rückweg. In Sachen Missionsfreiheit hat er nichts erreicht. Seine Bitte, in Karakorum bleiben zu dürfen, hat Mangu Khan freundlich abgelehnt. Von der Wolga aus zieht der Mönch nach Süden in den Kaukasus, beschreibt „Curgia“ (Georgien) und das „Land am Ararat“ (Armenien), den Oberlauf des Euphrat und die Stadt „Arserum“ (Erzurum). Von Kleinasien aus setzt er im Juni 1255 nach Zypern über. Sein Auftraggeber Ludwig der Heilige ist schon wieder nach Frankreich zurückgekehrt. So folgt er der Anordnung des Franziskaner-Provinzials, nach Akko zu gehen und dort Vorlesungen zu halten.

Wilhelm schreibt seinen Reisebericht. Ein Bote bringt ihn nach Paris. Dann aber verstaubt das Manuskript fast ungelesen in Archiven, nur fünf Kopien werden angefertigt. Im Jahr 1598 erscheint eine erste, noch fragmentarische Übersetzung seines Werks ins Englische. Die erste vollständige Textausgabe bringt 1839 Frankreichs Geographische Gesellschaft in Paris heraus. Eine deutsche Version erscheint 1925.

Von Wilhelm verliert sich nach seiner Rückkehr für immer die Spur. Ein halbes Jahrtausend vergeht, bis ausländische Besucher wieder ihre Füße in die nördliche Mongolei setzen, die der Flame durchwandert hat.

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