Diese Wälder atmen Geschichte(n): Die Römer fürchteten sich einst vor den urigen Baumgestalten, Franken und Sachsen standen sich hier im Kampf gegenüber. Und die Gebrüder Grimm fanden im Kellerwald reichlich Stoff für ihre Märchen.
Der Baum hat gelacht. Ich bin mir sicher. Doch als ich mich umdrehe, ist da kein Gesicht mehr. Nur schöne, dicke Eichenborke, die einen Stamm umhüllt, so breit, dass drei Männer ihn nicht umfassen könnten. «Das ist die Berthold-Eiche, benannt nach einem besonders engagierten Förster aus dem vorigen Jahrhundert», sagt Heinz-Jürgen Schmoll. Er ist der Geschäftsführer des erst im Jahr 2001 gegründeten Naturparks Kellerwald-Edersee, im Norden von Hessen, fast in der geographischen Mitte Deutschlands. Fern jeder Autobahn, ist diese Region nur über schmale Landstraße zu erreichen. Ein Grund wohl, warum sie bisher unter der Rubrik „wenig bekannt“ rangiert. Schmoll will mir ein paar Besonderheiten des Naturparks Kellerwald-Edersee zeigen.
Es sind Sommergewitter gemeldet. Dauernd geht mir die Warnung «Buchen sollst du suchen, vor Eichen sollst du weichen» durch den Kopf. Buchen muss man hier im Naturparks Kellerwald-Edersee nicht suchen, die stehen überall. Mehr als 60 Prozent des Naturparks Kellerwald-Edersee sind Wald – einer der größten geschlossenen Buchenwälder Mitteleuropas, einer der Reste jenes gewaltigen Bestands von Rotbuchen, die einst ganz Europa bedeckten. Im Westen zählt noch der Naturpark Rothaargebirge dazu, im Norden und Nordosten die Naturparks Habichtswald, Meißner-Kaufunger Wald und Eichsfeld-Hainich-Werratal.
Eichsfeld! Den Eichen zu weichen wäre ein Fehler. Es gibt hier im Naturpark Kellerwald-Edersee welche, die könnte man nicht schöner malen, deutsche Eichen, wie sie im Buche stehen, knorrig und verknarzt, dass es eine Pracht ist. Die alten Recken tragen oft Namen von Waldläufern, die sich um die Bäume verdient gemacht haben: Berthold-, Beck- und Schnitzer-Eiche. Die Blitz-Eiche allerdings mahnte, dass die altbekannte Warnung ernst zu nehmen ist. Der Baum wurde gleich mehrfach von Thors Feuerspeeren getroffen; heute steht nur noch sein Stumpf.
Schmoll präsentiert mir auf unserer Wanderung durch den Kellerwald eine abwechslungsreiche Mittelgebirgslandschaft. Wohl fehlt ihr das Imposante, mit dem etwa das Berchtesgadener Land oder das Wattenmeer auftrumpfen kann. Unauffällige Vielfalt ist das Pfund, mit dem die Region wuchert. Schattige Waldstücke wechseln sich ab mit kleinen, von Fachwerkhäusern geprägten Ortschaften, Wiesen, Weiden und Kornfeldern. Idyllisch, «aber die Leute unterschätzen Mittelgebirge auch oft», sagt – leicht außer Atem – Schmolls Kollege Reiner Ohlsen, der uns auf den höchsten Punkt des Naturparks Kellerwald-Edersee begleitet, den 675 Meter hohen Wüstegarten im Süden des Parks.
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So haben Sie Deutschland noch nie gesehen. NATIONAL GEOGRAPHIC präsentiert Ihnen im Buch Wildes Deutschland überraschende und unbekannte Aufnahmen vom Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer im hohen Norden bis zum Biosphärenreservat Berchtesgadener Land tief im Süden. mehr...
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