Land unter in Sachsen-Anhalt: Schönfeld stemmt sich gegen die Evakuierung
Seit dem Dammbruch bei Fischbeck fließen gigantische Wassermassen ins Hinterland von Sachsen-Anhalt. Viele kleine Ortschaften werden überschwemmt. In Schönfeld wollen die Anwohner bis zum Schluss kämpfen - trotz Evakuierungsanordnung.
Der Polizeibus ist wieder unterwegs, aus dem Lautsprecher dringt die Stimme eines Beamten: "Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei. Aufgrund der akuten Hochwasser-Lage werden Sie gebeten, den Ort zu verlassen." Es ist nicht die erste Aufforderung zur Evakuierung, doch auch diesmal folgt kaum jemand der Anweisung.
Schönfeld, ein 200-Seelen-Dorf im Landkreis Stendal. Das Schild am Ortsausgang ist schon von Wasser umspült, die Bundesstraße Richtung Süden nicht mehr zu befahren. In den Gärten der Anwohner steht das Wasser. "Wir gehen nicht weg", sagt Norbert Zander, 55. "Wir wollen versuchen, unser Dorf so gut es geht zu retten."
Zander ist einer von denen, die Sandsäcke schleppen und gegen das Hochwasser kämpfen. Einer von vielleicht 50 Schönfeldern, die geblieben sind. Senioren und Kinder haben sie längst in Sicherheit gebracht. Seit in der Nacht auf Montag ein Deich bei Fischbeck gebrochen ist, strömen die Wassermassen ins Hinterland von Sachsen-Anhalt hinein.
In den Berichten über die Flutkatastrophe war viel von größeren Städten die Rede: Passau, Dresden, Magdeburg. Doch jetzt sind es die kleinen Orte, die besonders hart getroffen werden. Auf einer Fläche von 200 Quadratkilometern hat sich das Wasser seit dem verheerenden Dammbruch ausgebreitet - so schätzt es der Krisenstab der Landesregierung. Eine Ortschaft nach der anderen säuft ab: Fischbeck, Schönhausen, Kabelitz, Scharlibbe, Klietz, Kamern. Und jetzt Schönfeld?
Die Anwohner bilden eine Kette, schleppen Sandsäcke
Als Norbert Zander um vier Uhr Morgens zu seinem Kontrollgang aufbrach, war das Gebiet neben der zentralen Dorfstraße noch trocken. Nun steht das Wasser dort beängstigend hoch und schwappt gegen die Sandsackbarriere an der Dorfstraße.
Steffen Rieg trägt eine kurze Hose und Socken, kein T-Shirt, keine Schuhe. Er hat Schrammen an den Beinen und Sonnenbrand im Gesicht. Der Gemeinde-Arbeiter steht derart unter Strom, dass er nicht ansprechbar ist. Seit drei Tagen habe er kaum geschlafen, sagt seine Frau. Die Anwohner bilden eine Kette, um weitere Sandsäcke aufzuschütten. "Jeder packt an, jeder hilft jedem", sagt Zander, er schwärmt vom Gemeinschaftsgefühl. "Das Dorf ist enorm zusammengewachsen. Die Menschen zeigen, dass sie in einer Notsituation zusammenhalten können."
Die Schönfelder haben in den vergangenen Tagen zwar vereinzelt Hilfe von externen Feuerwehrzügen bekommen. Aber die meiste Zeit waren sie auf sich allein gestellt. "Wir haben keine Ingenieure, haben keinen Planungsstab", sagt Zander. Doch der Kampf scheint aussichtslos. Das Wasser drückt auch durch die Kanalisation in den Ort, es werden dringend weitere Pumpen benötigt.
Zander will bei den Einsatzkräften in Sandau fragen, ob sie nicht eine entbehren könnten. Dort, nur wenige Kilometer entfernt, sind Hunderte Mann von Feuerwehr, Bundeswehr und Technischem Hilfswerk stationiert, sie sind in der ganzen Region im Einsatz. "Wir sind hilflos", sagt Zander zur Einsatzleitung eines Feuerwehrzuges. Man hoffe auf unbürokratische Hilfe. Doch ohne offizielle Genehmigung von oben geht nichts.
Der Krisenstab will die Bürger nicht zur Evakuierung zwingen
Der Einsatzleiter macht Zander generell wenig Hoffnung: Das Wasser hier ließe sich kaum aufhalten. Eine Schweineaufzucht ganz in der Nähe sei bereits Opfer der Flut geworden. Zander muss unverrichteter Dinge abziehen. "Wenigstens versuchen wir alles". Er wirkt nicht sauer. Jede tue sein bestes, es sei nun mal eine nie dagewesene Situation.
Der Krisenstab der Landesregierung sieht das Ausharren in den gefährdeten Orten kritisch. Man fordere die Betroffenen dringend auf, sich in Sicherheit zu bringen, sagt ein Sprecher. Oftmals werde die Gefahr unterschätzt. Aber man wolle die Menschen auch nicht mit letzter Konsequenz zur Evakuierung zwingen.
"Man bleibt nicht, um eine Anordnung zu missachten", sagt Zander, "sondern weil man das Gefühl hat, gebraucht zu werden. Es ist eben unser Dorf."
Zurück in Schönfeld bekommt er zu hören, dass die Schweineaufzucht noch gar nicht verloren sei. So geht es oft in diesen Tagen: Informationen sind nicht immer sicher, Prognosen liegen manchmal daneben. Und die entscheidenden Behörden sind manchmal weit weg. So setzen die Schönfelder ihren Kampf unverdrossen fort.
Sollte das Wasser doch noch alles überspülen, haben sie sich einen Rückzugsplan zurechtgelegt: Sie würden sich dann bei der Kirche in Sicherheit bringen, dem höchsten Punkt im Ort. Den wird das Wasser hoffentlich nicht erreichen.
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