Gesellschaftskritik
Ein Kobold wird zum Hipster

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Jetzt in schlank: Pumuckl © Jan Saße / Kosmos Verlag / dpa
20. August 2015, 10:27 Uhr

Hurra, hurra, der Pumuckl ist wieder da! Zum 95. Geburtstag seiner Schöpferin Ellis Kaut gibt es bald ein neues Buch mit Geschichten vom Kobold mit dem roten Haar. Der sieht allerdings nicht mehr ganz so aus wie früher: Sein Gesicht ist nicht mehr mondrund, sondern zerknautschter, die roten Wangen sind kleiner und der ganze Klabautermann ist dünner und sehniger als früher. Der neue Pumuckl verzichtet anscheinend auf seine Lieblingsspeisen Schokolade und Pudding. Oder, um es koboldmäßig auszudrücken: Schwupps, schon ist das Bäuchlein weg, wer hat es wohl wegversteckt?

Es war der Verlag. Pumuckl solle einen "leicht modernen Touch bekommen, um die neue Generation Kinder anzusprechen, die Pumuckl jetzt lesen", heißt es dort. Moderner Touch also, das klingt flott, das klingt trendy, das klingt nach Gegenwart. Da hätten wir noch einige Vorschläge, um Pumuckl noch zeitgemäßer zu machen: Er sollte unbedingt einen besonders langen rechten Daumen bekommen, damit er sein Smartphone besser bedienen kann. Außerdem wäre bei ihm heute längst ADHS diagnostiziert worden, weshalb er Ritalin schlucken muss, damit er in der Werkstatt des Meister Eder nicht dauernd Chaos stiftet. Die Werkstatt liegt selbstverständlich in einem seelenlosen Häuserblock in der Vorstadt, weil Meister Eder die horrenden Mieten im Münchener Stadtteil Lehel schon lange nicht mehr bezahlen kann.

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Es gäbe in dieser Hinsicht überhaupt noch einiges zu tun: Benjamin Blümchen muss den Zoo verlassen, um tiergerecht ausgewildert zu werden. Karla Kolumna hält sich mit Nebenjobs über Wasser, seit sie nicht mehr fest angestellt ist, und schlägt sich mit "Lügenpresse"-Vorwürfen herum. In der Villa Kunterbunt ist es still geworden, seit Tommi und Annika nachmittags nicht mehr bei Pippi Langstrumpf vorbeikommen, weil sie durch die G8-Schulreform immer so lange Unterricht haben und danach noch zum Chinesisch müssen. Karlsson vom Dach hat Ärger mit den Nachbarn, die ihn für eine Drohne halten. Die Fünf Freunde sind eine Whats-App-Gruppe und gegen Sindbad, den kleinen Jungen aus Bagdad, demonstriert Pegida.

Das klingt alles nach, äh, ganz zauberhaften Kindergeschichten mit modernem Touch. Wir hoffen jedenfalls, dass die Modernisierung des Pumuckls nur ein Schabernack war. Denn wenn man der Zwangsmodernisierung zu sehr auf den Leim geht, wird vor allem eins sichtbar: Dass es manchmal auch ok ist, es einfach mal beim Alten zu belassen. Altes Koboldsgesetz, sozusagen.

21 Kommentare

Mickey Mouse, Pluto und Donald etc. haben ich schon über die Jahrzehnte verändert und sind immer wieder modernisiert worden, auch andere Comics. Wer weiß, den heutigen Kindern gefällt es vielleicht. Wenn man sich mal so die Buch- und Plattencover der Jahrzehnte anguckt, da gibt es doch große Unterschiede, man hat halt seinen Pumuckel im Kopf. Für mich ist Pumuckel soweiso mit der Stimme verbunden und zwar mit der von Hans Clarin (Radio/Schallplatte). Ich finde, das war großartig: Pumuckel neckt, Pumuckel versteckt, niemand entdeckt ...

Sehr viel kritischer sehe ich allerdings Änderungen, die an die Substanz des Textes gehen. Da könnten wir tatsächlich vor einer unguten Entwicklung stehen. Es würde mich nicht wundern, wenn irgendwann in den nächsten Jahren die "gereinigten" Ausgaben zunehmen, nicht nur bei den Kinderbüchern, sondern auch bei den Klassikern. Gab es ja schon einmal alles.

Das ist nicht Pumuckl. Das ist irgendjemand der sich als Pumuckl ausgibt. Wie kann man als Verlag nur so - Entschuldigung - scheiße sein? Damit wird Pumuckl auch nicht attraktiver. Das Entscheidende an der Figur ist ja gerade ihre Nonkonformität. Also hätte der Bauch gut gepasst. Als nächstes ist Meister Eder auch nur noch ein Strich in der Landschaft der brav grünen Tee trinkt.

" Pumuckl solle einen "leicht modernen Touch bekommen, um die neue Generation Kinder anzusprechen" --- ???
Es gibt Dinge, die nicht den wechselnden Moden unterworfen sind. Dazu gehören auch Pumuckl, Benjamin Blümchen, Mickey Mouse, Pluto und Co.!
(Auch die neuen Generationen werden von ihren Eltern aus der alten Generation deren Videos, Bücher und andere Erinnerungen vererbt bekommen :) ganz traditionell halt!)

Gerade eben in der Mittagspause:
- Kennt ihr nocht "Tom & Jerry"?
-Die waren cool! Oder Speedy Gonzalez, oder Chip & Chap. Man das war noch cool!
-Und wie böse gewalttätig die waren. Aber trotzdem ist keiner von uns zum Gewalttäter gereift.
- Disney baut jetzt einen "Classics Channel" auf, wo nur alte Zeichentrickserien ausgestrahlt werden sollen.
- Ich werde meinen Kindern nur das alte Zeug zeigen. Mein Neffe und meine Nichte gucken hin und wieder mal das neue Zeug. Entweder sind die nach 30 min so aufgedreht, dass sie das Wohnzimmer auseinander nehmen oder sie sind nach 10min gelangweilt.
- (sing) Gummibär'n... hüpfen hier und dort und überal....

Ich denke mehr ist zu diesem Artikel nicht zu sagen. Vielen Dank! Super geschrieben.

Ehrlich gesagt ist es mir schnurzpiep egal, ob Pumuckl einen Bauch hat oder nicht.

Interessant ist eher, was Menschen dazu bewirkt, dieses Thema leidenschaftlich zu diskutieren. Scheint ein Trend zu sein, dass sich die Generation Y gerne über ihre Kindergeschichten austauscht.

Ich hab schon Parties von Menschen zwischen 25 und 35 erlebt, auf denen plötzlich die Titelmelodien irgendwelcher Zeichentrickserien gesungen wurden - sei es Benjamin Blümchen oder irgendeine Geschichte mit Bärchen, die ich nicht kannte. Früher hat man auf solchen Parties eher diskutiert, wie man die Gesellschaft positiv verändern kann.

Es gibt sicherlich psychologische Erklärungen dafür. In einer Zeit, in der alles schlechter zu werden scheint, sehnt man sich nach der "guten alten Zeit", in der vermeintlich alles besser war.

und was bewirkt sie dazu, diesen Artikel zu lesen und dann noch zu kommentieren, wenn es Ihnen schnurzpiep egal ist und es wichtigere Themen gibt?
Nenn wir es doch Zerstreuung. In einer Zeit in der man im ersten Semester schon angesprochen wird ob man bereits eine BU-Versicherung abgeschlossen und an seine Rente gedacht hat und man an jeder Ecke mit ernsten Themen konfrontiert wird, da ist eine Party doch der ideale Ort für ein wenig Zerstreuung und Spass.

Kindheitserinnerungen gehörten schon immer dazu. Das ist etwas völlig normales und kein Zeichen unserer Zeit.
Und schließt Diskussionen über die Gesellschaft in keiner Weise aus.
Stellen Sie sich vor, es gibt Leute, die die Benjamin Blümchen-Melodie singen können UND über Gesellschaftspolitik diskutieren.

"Ich hab schon Parties von Menschen zwischen 25 und 35 erlebt, auf denen plötzlich die Titelmelodien irgendwelcher Zeichentrickserien gesungen wurden - sei es Benjamin Blümchen oder irgendeine Geschichte mit Bärchen, die ich nicht kannte."

Köstlich, ich hab eben beinahe angefangen zu lachen. Aber nicht, weil's so komisch wirkt, sondern vertraut. Neu für mich eher, dass es Leute gibt, die's schaffen sich über sowas aufzuregen. Sie müssen einfach andere Parties aufsuchen, auch die Variante "Sitzkreis" mit Grundsatzdebatten für Fortgeschrittene gibt's doch nach wie vor - auch in unserer Altersgruppe. Als Warnung sei nur mitgegeben, dass auch die lange nicht mehr so cool sind, wie sie das (angeblich) mal waren, als noch unsere Eltern feierten. ;-)

Gerade Pumuckl geht mir nahe, ich hatte als Kind sogar entspr. Bettwäsche und erkenne ihn hier nicht wieder. Gefällt mir nicht. Aber was soll's, es muss heute ja auch andern gefallen. Erinnerung bleibt Erinnerung und die lässt sich nicht "verschlanken".

Scheinbar haben Sie meinen Beitrag nicht verstanden. Mir ist Pumuckl egal, aber nicht die allgemeinen gesellschaftlichen Trends, also quasi warum die Leute heute anders ticken als früher und welche langfristigen Folgen das haben könnte.

Damit war der erste Beitrag von joekk gemeint. Scheinbar kann man nicht direkt auf einen Beitrag antworten.
Zur Frage, was ich schon verändert habe: Ich habe mir die Meinungen anderer angehört, meine Meinung entsprechend angepasst, ihnen meine Meinung mitgeteilt etc. ... Ob das was verändert hat, kann man nicht wissen, aber durch den ständigen Austausch von Gedanken und Ideen entsteht letztlich (gesellschaftliche) Innovation. Muss man im Internetzeitalter ja eigentlich nicht erklären. Wobei Diskussionen in Internetforen aus verschiedenen Gründen nie an ein echtes Wortgefecht im echten Leben herankommen.

Ich denke, dass Pumuckel eben Pumuckel ist und eine Modernisierung in wenigsten Fällen gelingt. Es ist wie ein Remake eines Films. Nur wenige halten sich am Markt. Die Figuren gehören zu ihren Geschichten und ihrer Zeit. Wollen Sie die Zeichnungen von Wilhelm Busch auch modernisieren? Wer was modernisieren will zeigt eigentlich nur auf, dass es einen Mangel an neuen, guten Kindergeschichten und -büchern gibt. Heutige Kinder nehmen die alten Geschichten weniger an und wir vermissen die alten Gestalten.

Kemper: "Denn wenn man der Zwangsmodernisierung zu sehr auf den Leim geht, wird vor allem eins sichtbar: Dass es manchmal auch ok ist, es einfach mal beim Alten zu belassen. Altes Koboldsgesetz, sozusagen."
Sehr richtig Frau Kemper und deshalb ist bspw. das Umschreiben von Kinderbüchern, bis sie zu 1000% politisch korrekt sind, ebenfalls totaler Quark. Bei den Figuren wie Maja, Pumuckel und Co. bin ich mir nicht sicher, ob wir Alten nicht einfach an unseren alten Figuren hängen und deshalb die neuen doof finden.

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