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Karl der Große (II): Sagenhafte Anfänge | Kultur - Frankfurter Rundschau
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22. Januar 2014

Karl der Große (II): Sagenhafte Anfänge

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Karl, das Konstrukt. Die Bilder, die man sich von ihm machte, haben oft einen Bart, geschuldet den jeweiligen Moden, so 1843 bei Philipp Veits Gemälde im Kaisersaal des Römers.  Foto: epd

Aktualität des Mittelalters: Die Bedeutung Karls des Großen ist für Frankfurt unermesslich. Schon im Jahr 794 verfügte er eine Finanzreform.

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Für Frankfurt, mit seinen drei, vier Bauten auf der grünen Wiese, gleich neben dem Main, nahm Karl sich sehr viel vor. Nicht nur für Reformen, die dem Glauben und der Gottesfurcht dienen sollten, reiste er an, auch eine neue Wirtschaftsordnung hatte der König im Kopf, und, neben der ökonomischen Neuordnung, auf alle Fälle eine kulturelle. Karl dachte in der Tat (bei Gott!) an eine neue Weltordnung.

Dafür machte der König auf dem bisschen Raum, umstanden von Urwäldern, nicht nur ein paar Tage Rast. Denn allein um die Reform der Gottesverehrung anzubahnen, brauchte es langen Atem und, damals bereits, eine ruhige Hand. Es ging um nichts weniger als die Durchsetzung des Glaubens. Was das religiöse Reformpaket anging, lautete die Konsequenz: Klöster mussten gebaut werden, Klöster, Klöster, Klöster.

Frankfurt, auf einer leichten Erhebung, hochwassersicher, zwischen mäandernden Main-Armen, sollte als Schauplatz des Triumphs in die Geschichte der Franken eingehen, so war es gedacht. Auch als Synode des Siegs über einen frechen Vetter aus Bayern. Überdies als Konzil des theologischen Triumphs über Ost-Rom, das mächtige Byzanz, die Konkurrenz aus Konstantinopel. Karl kam nach „Franconovurd“, zur „Furt der Franken“, um gegen Irrlehren Dämme zu ziehen, insbesondere gegen Irrgläubige in Spanien, wofür er, ja, alle Wege führten nach Frankfurt, den Angelsachsen Alkuin einlud. Frankfurt, bis zu dem Tag nicht einmal urkundlich erwähnt, wurde ein internationales Fleckchen Erde; als Karl es Monate später verließ, hatte er eine Reform des Geldwesens angeordnet.

Frankfurt, als karolingische Pfalz bereits gelegentlich angesteuert, verlieh Karl die Gründungsurkunde im Februar 794. Mit einer weiträumigen Königshalle, einer Kapelle, die sich sehen ließ, mit einem Kirchenbau aus Stein, vielleicht einigen weiteren Behausungen, die nicht nur aus Holz, gab es für die Synode ein Dach über dem Kopf. Es galt hunderte Gäste unterzubringen auf dem Areal (zwischen dem heutigen Dom und dem Römerberg), der Main lag in Reichweite, erreichbar war der Forst bei Dreieich, der als Jagdrevier einen sagenhaften Ruf hatte. Die Synode war versorgt.

Abbild des himmlischen Reiches

In den sieben Monaten in Frankfurt, in denen mancher umkam durch Mord und Totschlag, nachts, wie es in alten Annalen geschrieben steht; in den sieben Monaten, in denen der 46 Jahre alte König seine junge und gefürchtete Frau begraben musste, was er in Mainz tat; in den Monaten, unmittelbar nach einer krassen Hungersnot, nach Kältetod und Sterben im Krieg, setzte Karl weltliche und kirchliche, ökonomische und kulturelle Neuerungen durch.

Karls Reich, das als ein Abbild des himmlischen Reiches gedacht war, sollte dem Reich Gottes den Weg bahnen. Das war das Wichtigste, an diesem Thema kam in Frankfurt kein Teilnehmer vorbei, ausgesprochen, unausgesprochen. Auf dieser Etappe auf Erden sollte Gott, an den die Franken noch nicht lange glaubten, erst seit ein paar Generationen, in jeder Sprache angebetet werden dürfen. „Fater unser, thû thâr bist in himile“; so klang es althochdeutsch, altostfränkisch.

Glaube sollte nicht das Privileg sein, ihn hebräisch, lateinisch oder griechisch ausdrücken zu können. Der katholische Glaube, das stand in Frankfurt auf der Agenda, sollte sich nach der Vorstellung Karls auch allgemeinverständlich artikulieren. Die Synode und der mit ihr verbundene Hoftag waren eine Demonstration, dass die Christianisierung des Frankenreichs universelle Ziele hatte – angefangen im Volk. Die Wissenskultur, die der König aufleben ließ, all das Verschüttete, aus der, so lange war das noch nicht her, zurückgelassenen Antike, war ein elitäres Programm. Die Glaubenskultur war nicht beschränkt auf die Hochkultur.

Karl der Große

Karl der Große, geboren 748, beherrschte ein Reich, das vom Atlantik bis zur Elbe reichte, vom Ärmelkanal bis zu den Pyrenäen, von der Nordsee bis Rom. Weihnachten 800 wurde der König der Franken vom Papst in Rom zum Kaiser gekrönt. Karl starb am 28. Januar 814 in Aachen.

Johannes Fried: Karl der Große. Gewalt und Glaube. Verlag C.H. Beck, München 2013, 736 S., 29,95 Euro.

Stefan Weinfurter: Karl der Große. Der heilige Barbar. Piper Verlag 2013, München 2013, 352 S., 22,99 Euro.

Die vierteilige FR-Serie beschäftigt sich mit Karls Leben und seiner Herrschaft, seinen Reformen, seiner Rolle als Gotteskrieger, seiner Bedeutung für Frankfurt - nicht zuletzt derjenigen für Europa.

Was dann definitiv als „karolingische Renaissance“ bezeichnet worden ist, später, viel später, aus der Rückschau der Neuzeit, lädt heute noch dazu ein, um zu staunen, um zu bewundern. Herrlichkeiten wie die Torhalle von Lorsch, die Einhartsbasilika in Steinbach/Michelstadt, die Pfalz von Ingelheim, die Pfalzkapelle in Aachen. Nicht zu vergessen die von Karl eingeführte Buchschrift, die „karolingische Minuskel“, vor 1200 Jahren, eine endlich leichter lesbare Kursivschrift, in abgewandelten Formen heute noch, nach zwölf Jahrhunderten, Usus.

Eine weitere unter den „karlischen Erneuerungsaktionen“, so der Frankfurter Mittelalterforscher Johannes Fried schon vor 20 Jahren in einem Überblick über die Synode und das Konzil von Frankfurt, war die Münzreform. Im Gegensatz zur Minuskel war die Münzreform keine Jahrtausenderfindung, dennoch prägend über das Mittelalter hinaus. Gemeinsam mit seinem „Preis-edikt“ (Fried), auch das festgehalten in 56 Kapiteln des „Frankfurter Kapitulars“, versuchte der König gegenzusteuern. Ausdrücklich dem „Geiz“ und der „Habsucht“, der „Gier“ und dem „Neid“, anders gesagt: den Todsünden. Noch anders: der wirtschaftlichen Spekulation.

Entsetzliche Hungersnot

Die Kapitularien waren konkrete Handlungsanweisungen, dazu bestimmt, von königlichen Boten im Reich verbreitet und vorgelesen zu werden. Durch den Mund des Boten sprach bis in manchen Winkel des Reichs der König, die Zentralgewalt. Karl, vor allem unter dem Eindruck einer entsetzlichen Hungersnot, untersagte den Wucher – und nicht allein den: im Grunde die Auswüchse des freien Wettbewerbs, die Ausnutzung der Not der Armen, den Missbrauch ihrer Ohnmacht. In das Wirtschaften derjenigen, die sich die Freiheit herausnahmen, Maße und Gewichte zu manipulieren, willkürlich zu bestimmen, griff er ein.

Karl, der Ordnungspolitiker, schwang sich auf, einheitliche Normen einführen zu wollen, das galt für den Pfennig, für den Scheffel. Ein Wirtschaftsliberaler zu sein, so etwas war, naturgemäß, jenseits des Horizonts eines Mittelaltermenschen. Was Karl unternahm, war sinnvoll, und es war gottgefällig. Richtige Maße, gleiche Gewichte. Feste Preise für das Getreide und das gebackene Brot.

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Nichts war politisch selbstverständlich bei dieser Reform, aber es war volkswirtschaftlich geboten, die religiösen Gebote zu verwirklichen. Wucher war religiös verwerflich und ökonomisch die schiere Unvernunft. Karls Preisregelungspolitik war hellsichtig. Wegen der Infrastruktur, die sein Reich nicht aufwies, war sie allerdings zum Scheitern verurteilt.

Karls Reformation, sein „Thesenanschlag“ von Frankfurt, disziplinierte die frühmittelalterliche Gesellschaft dann doch nicht. Der Mittelalterforscher Stefan Weinfurter, der soeben eine Biografie über Karl veröffentlich hat, macht anschaulich, wie schwierig es war, die königlichen Anweisungen durchzusetzen, in einem Reich zu exekutieren, das vom Atlantik bis zur Elbe reichte, vom Ärmelkanal bis zu den Pyrenäen, von der Nordsee bis nach Mittelitalien.

Gestützt auf sein Herrschaftssystem der königlichen Boten sollte die Kontrolle über Recht und Ordnung ausgeübt werden, „über korrektes Leben und Handeln, über Frieden und Moral“ (Weinfurter). Im jeweiligen Herrschaftsgebiet eines Grafen oder Bischofs sogar formal übergeordnet, scheiterten die Boten an Skrupellosigkeit, Korruption und Eigennutz. Vielfach die Widerstände gegen das „ambitionierte Pogramm“ Karls, so Weinfurter.

Glaube an die Macht des Guten

Die Macht des Königs reichte nicht so weit, die Gebote seiner „christlichen Sozialethik“ (Fried) in seinem gewaltigen Reich durchzusetzen. Ein übertriebenes Urteil? Das sagen Forscher. Aber dann wäre ja wohl Karls Reich ein Reich der Gerechtigkeit gewesen. So waren es, neben dem Wort des Königs, auch nicht die Drohungen des Jüngsten Gerichts und der Höllenqualen, waren es auch nicht die für das Jahr 800 vielfach angekündigte Apokalypse, die Milde walten ließ gegenüber den Geknechteten. Geschweige denn Gerechtigkeit. Barmherzigkeit, das war ein Almosen.

Den Herrschaftsverhältnissen wurden die Erlasse des Königs, wollte man es ironisch sagen, überhaupt nicht gerecht. Der Glaube an die Macht des Guten, den Karl sich von den bedeutendsten Denkern seiner Zeit soufflieren ließ, dieser Glaube war angesichts der krassen Widersprüche der karolingischen Adelsgesellschaft ein christlich motivierter Irrglaube. Man könnte die Frage stellen: Was hat die Adelsgesellschaft, als der König das Frankfurter Mahnschreiben, die 56 Kapitel des Kapitulars in seinem Reich verbreiten ließ, eigentlich gedacht? Hat der Adel angesichts der straffen Verhaltensmaßregeln fromm genickt? Hat er, vom Frankfurter Kodex überzeugt, nur noch gute Vorsätze gefasst? Wir wissen es nicht.

Und wissen es doch. Denn dann wäre, wenn Einsicht vorhanden gewesen wäre, die mittelalterliche Geschichte anders verlaufen, ganz anders. Innenpolitisch scheiterte Karl auf dem damals höchsten Niveau, das sich für einen Franken denken ließ, an schnöden Realitäten. Wenn er in Frankfurt obendrein Ost-Rom herausforderte, wenn er sogar Weltpolitik machen wollte, dann scheiterte er ebenfalls, so erzählt es Johannes Fried in seiner soeben erschienenen Biografie. Zu mächtig war Ost-Rom, die Kirchenpolitik Konstantinopels zu allgewaltig.

Nicht dass Frankfurt schon eine Bastion gewesen wäre; allerdings war es ein Brückenkopf für die brutale Kirchenpolitik gegen die Sachsen. Und doch war Frankfurt, auch wenn Karl auf diesem soeben erst fest getretenen Flecken Erde mit vielen seiner theologischen Offensiven stecken blieb, zu so etwas wie einem Finanzstandort geworden. So dass Johannes Fried, Frankfurts großer Mittelalterforscher, schon vor 20 Jahren zu so etwas wie einer nicht nur erquicklichen Bilanz kam: „An die Stelle des Glaubens rückte also das Geld und dieses hatte eine große Zukunft.“

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