Am 10. Februar 1961 schreibt Sam Shaw aus Paris, Boulevard Raspail: „Dear Marilyn: How are you old girl!“ Und weiter, hier übersetzt: „Anne und ich haben uns Gedanken gemacht über Dich. Möchtest Du kommen und eine Weile bei uns bleiben ... wir haben ein Zimmer frei.“ Zehn Jahre vorher hatte Shaw die so salopp als „altes Mädchen“ angesprochene Marilyn Monroe kennengelernt, da war sie seine Chauffeuse am Set von „Viva Zapata“, denn der damals schon ziemlich berühmte Fotograf fuhr nicht selbst (er wolle immer „die Hände frei haben“, hieß es). Am berühmtesten aber wurde er mit einem Bild, das 1954 im Rahmen der Dreharbeiten von „Das verflixte 7. Jahr“ entstand, und die Idee für diese ikonographische Szene stammte von Shaw selbst: Marilyn Monroe mit wehendem weißen Plisseerock.
Eine Retrospektive auf das fotografische Werk des Amerikaners Sam Shaw (1912-1999) – erstaunlicherweise mit ihren mehr als 200 Bildern offenbar die erste große Schau überhaupt –, zeigen jetzt die Rüsselsheimer Opelvillen: „Marilyn und andere Diven: Remembering Sam Shaw“.
Sophia Loren räkelt sich hier, 1960, und man sieht, dass zu dieser Zeit selbst Filmstars noch unrasierte Achselhöhlen haben durften. Elizabeth Taylor ist, 1961 ein Auge zukneifend, hinreißend mädchenhaft, schelmisch. Anne Bancroft greift, 1962 mit einer Fluppe im Mund, in ein Brotregal. Alles übrigens in Schwarz-Weiß. Es reihen sich in den Ausstellungsräumen auch die männlichen Diven: Die am Set von „Viva Zapata“ Billard spielenden Marlon Brando – lässig mit nacktem Oberkörper und weißleuchtendem Piratenkopftuch – und Anthony Quinn; der als Artist in „Trapez“ sein breites Kreuz präsentierende Burt Lancaster; John Wayne mit prägnantem Profil und Cowboyhut in dramatischem Schattenriss. 12 Uhr mittags kann es da nicht gewesen sein.
Sam Shaws oft mit mächtiger Präsenz glänzende Porträts von Filmstars sind vielleicht das Augenfälligste in dieser Schau. Aber er hat doch als Reportagefotograf für Magazine, als stilsicherer Dokumentator eines gar nicht glamourösen Amerika begonnen. Und da vor allem viele seiner Monroe-Bilder ins kollektive Bildgedächtnis eingegangen sind, ist es fast interessanter, lehrreicher allemal, sich in Rüssselsheim seine Bilder aus den Kriegsjahren anzusehen: Frauen, die in einer Munitionsfabrik arbeiten, Soldaten, die Abschied nehmen von ihrer Familie oder die den kleinen Brüdern – ja, es scheinen doch immer große Familien gewesen zu sein damals – ihr Gewehr vorführen. Er hat schwarze Frauen beim Quilten fotografiert und einen „Boxclub am Times Square“.
Das Thema Rassismus muss ihn, der etwa mit Duke Ellington befreundet war, beschäftigt haben. Shaw hat zum Beispiel das Innere eines Busses mit der Aufschrift „For Colored Patrons Only“ dokumentiert – es sind die 40er Jahre in Lousiana – und, 1946, eine Wahlveranstaltung des rassistischen US-Senators Theodore G. Bilbo. Diesen zeigt er außerdem auf einem Friseurstuhl: massiv, fast drohend, jedenfalls grimmig blickend.
Shaw verlor trotz aller Hollywood-Star-Fotografie auch später nicht den Blick auf besondere Alltagsmomente. Das Vögelchen auf dem Kopf einer Frau auf dem Pariser Vogelmarkt, die „Putzfrau in einem Pariser Kino“, auf Knien rutschend und eine Katze streichelnd, ein Eselkarren in Galway und ein zauseliger junger Ire auf der Straße. Unter anderem reiste er nach Spanien, 1957. Wie einem Drama Federico Garcia Lorcas entsprungen stehen schwarz gekleidete alte Frauen auf rissiger Erde – im Hintergrund eine kleine Windmühle, bei der man sich fragt, was sie mahlen, was in dieser Dürre wachsen soll.
Selten ist es das Panorama, schon gar nicht das landschaftliche, das Sam Shaw anstrebt. Meist ist es der Mensch, der den Betrachter von nah oder mindestens halbnah anblickt, der ihn interessiert – auch, wenn der kein bisschen berühmt ist. Nie denunziert er dabei sein Gegenüber, lässt ihm oder ihr eine konzentrierte Präsenz. Die Porträtierten in dieser Ausstellung sehen einen aus der Vergangenheit an, aber sie sind gleichzeitig lebendig.
Opelvillen Rüsselsheim: bis 28. Feb. www.opelvillen.de
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