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Flüchtlinge: "Am Anfang steht immer viel Bürokratie" | Zuwanderung in Rhein-Main - Frankfurter Rundschau
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25. Februar 2016

Flüchtlinge: "Am Anfang steht immer viel Bürokratie"

 Von 
Wie Integration auf dem Dorf gelingen kann, zeigt das Beispiel der Gemeinde Jugenheim.  Foto: Eva Giovannini

Uli Röhm spricht über eine neue Broschüre, die zum Engagement für Flüchtlinge auf dem Land anregen soll. Die Diakonie Hessen und die Evangelische Kirche wollen alle erreichen, die helfen möchten.

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Die Diakonie Hessen und die Evangelische Kirche wollen mit einer neuen Broschüre das Engagement für Flüchtlinge auf dem Land fördern. „Willkommen im Dorf“ basiert auf den Erfahrungen einer gleichnamigen Initiative in Jugenheim in Rheinhessen (Rheinland-Pfalz).

Herr Röhm, wen wollen Sie mit Ihrer Broschüre erreichen?
All jene, die überlegen, sich für Flüchtlinge zu engagieren, sich aber nicht richtig trauen und die auf dem Land wohnen, wo hauptamtliche Strukturen fehlen. Die Gründung einer Initiative scheitert oft an Kleinigkeiten.

Was sind das für Kleinigkeiten?
Manchmal scheitert es schon an der Person, die zum ersten Treffen einlädt. Ein Beispiel: Im Dorf gibt es zwei, drei politische Lager. Wenn ein Repräsentant aus einem dieser Lager einlädt, hat das ein politisches Gschmäckle und hält andere vom Mitmachen ab. Deshalb sollte man nach einer Autorität suchen, die von allen anerkannt ist. Das könnte eine Kindergärtnerin sein, die schon zwei oder drei Generationen im Dorf erzogen hat, ein Vereinsvorsitzender oder der Chorleiter. Ein weiterer Fehler ist es, einzelne Einladungen zu früh loszuschicken. Dann sind alle beleidigt, die noch nicht gefragt worden sind.

Zur Person

Uli Röhm, 70, ist Journalist und im Jugenheimer Kirchenvorstand. Er hat die Initiative „Willkommen im Dorf“ mit gegründet und die Broschüre gestaltet. Die Broschüre kann bestellt werden bei meike.haas@diakonie-hessen.de; Download via: menschen-wie-wir.de/ willkommen-im-dorf. (msa)

Wie hat Ihre Initiative begonnen?
Die evangelische Kirche musste ihr Pfarrhaus im Dorf verkaufen. Der Landkreis hat es erworben, um dort Flüchtlinge einzuquartieren. Wir haben gesagt, auch wenn das Haus verkauft ist, kümmern wir uns um die Menschen, die in Zukunft dort wohnen, für die übernehmen wir Verantwortung.

Sie haben also schon losgelegt, ehe die Flüchtlinge da waren?
Wir wollten es anders machen als die Bundesregierung, die erst anfängt aktiv zu werden, wenn die Leute da sind. Wir haben alle im Dorf eingeladen, um zu bereden, was auf uns zukommt. Wir haben auch Experten hinzugeholt, um uns sachkundig zu machen. Und wir waren überrascht, dass gleich am ersten Abend mehr als 50 Leute kamen und einige spontan aufgestanden sind und Vorschläge gemacht haben, wie sie helfen könnten. Die Leute haben alle gesagt, solche rechtsradikalen Auftritte, von denen man aus anderen Ortschaften hört, darf es bei uns nicht geben. Bei uns soll es menschlich zugehen.

Ging es so harmonisch weiter?
Ja. Es gab am Anfang natürlich Ängste, denn vor etwa 20 Jahren kamen Kosovo-Albaner nach Jugenheim und es kursierten Geschichten von damaligen Schlägereien. Aber dann haben die Jugenheimer gesehen, da kommen keine Flüchtlinge, da kommen Menschen. Die liefen durchs Dorf, haben gegrüßt, gelacht, sind Fahrrad gefahren. Unsere Kulturinitiative hat ein Fest organisiert unter dem Motto „Integration geht durch den Magen“. Die Deutschen haben eingekauft und die Geflüchteten haben gekocht. So kamen sie aus der Situation heraus, Almosenempfänger zu sein. Die Jugenheimer haben sich mit Begeisterung auf die arabischen Köstlichkeiten gestürzt.

Wie unterstützen Sie im Alltag?
Am Anfang steht immer viel Bürokratie. Das erste, was Flüchtlinge bekommen ist kein Willkommensgruß, sondern ein Brief, wie Müll zu trennen ist. Mangels Deutschkenntnissen können sie nicht erfassen, was wichtige behördliche Schreiben sind und was Werbung. Unser Willkommensgeschenk ist deshalb ein Locher und ein Ordner. Es braucht ein bisschen Geduld, diesen ganzen Schriftkram zu sortieren.

Wie geht es dann weiter?
Wir haben ein Patensystem aufgebaut, für jede Familie ist ein Pate da, der aber nicht alles selbst erledigen muss, sondern sich in einem größeren Kreis Hilfe holen kann. Da sagt dann ein Pate zum Beispiel, ein siebenjähriges Mädchen würde gerne Zumba tanzen - und jemand vom Sportverein holt das Kind dann ab und bringt es nach dem Training wieder nach Hause. In einem weiteren Schritt erfassen wir systematisch die Daten, auch die beruflichen Vorkenntnisse. Das ist nützlich, wenn wir später mit potenziellen Arbeitgebern Kontakt aufnehmen. Wenn all das erledigt ist und die Menschen ein wenig zur Ruhe gekommen sind, fängt die eigentliche Integration an.

Ist das auf dem Land einfacher oder schwieriger als in der Stadt?
Ich glaube, es ist einfacher, denn im Dorf kümmert man sich um die anderen. Und im ländlichen Bereich gibt es beim Wohnraum teilweise enormen Leerstand, gerade dort sollte man Leute unterbringen. Die Chancen der Integration sind hier optimal. Ein Problem ist die Mobilität. Deshalb fordern wir für Geflüchtete, wie auch für Hartz IV-Empfänger, außerhalb der Hauptverkehrszeiten freie Busfahrten.

Interview: Marie-Sophie Adeoso

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