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Frankfurter Rundschau  - Altdeutsche Gefühle
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Bautzen
Altdeutsche Gefühle
Bernhard Honnigfort
Besuch bei denen da unten: Joachim Gauck in Bautzen.
 Foto: dpa
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Vor drei Wochen jubelten in Bautzen Passanten über den Brand einer geplanten Flüchtlingsunterkunft. Bundespräsident Joachim Gauck hat die Stadt nun besucht, die Stimmung war gut - bis rechte Demonstranten auftauchten.

Am Ende sind alle einigermaßen zufrieden. Auch der Herr Hase. „Gut, dass darüber gesprochen wurde. Es muss gesprochen werden“, sagt Christian Hase, ein Mann mittleren Alters, der einst aus Furcht vor einem Flüchtlingsheim eine Bürgerinitiative in Bautzen gründete, aus der mit der Zeit ein Verein wurde, der sich um aktiv um die neuen Mitbewohner kümmert. Solche Leute mag Joachim Gauck.

Drei Wochen ist es her, da brannte der Husarenhof, ein ehemaliges Gasthaus, das ein Asylheim im ostsächsischen Bautzen werden sollte. Bei dem Brand, bei dem niemand verletzt wurde (wir berichteten), entstand ein Schaden von 500 000 Euro. Als die Feuerwehr anrückte, wurde sie an der Arbeit gehindert, Umstehende bedrängten und beleidigten sie, andere freuten sich, dass es brannte. Hässliche Bilder, mal wieder aus Sachsen.

Drei Wochen ist das her. Am Freitag nun war Bundespräsident Gauck in Bautzen, um sich anzuhören, was los ist in Sachsen, wo Fremdenfeindlichkeit und Rassismus seit einiger Zeit aufblühen wie in keinem anderen Bundesland und wo der Leipziger Polizeipräsident Bernd Mörbitz kürzlich warnte, in Deutschland würde eine kreuzgefährliche Pogromstimmung aufkommen. Noch am Donnerstag war Gauck bei der deutschen Minderheit in Belgien, nun also Ostsachsen, wo ihn im Haus des Sorbischen National-Ensembles eine ausgesuchte Hundertschaft Honoratioren, Feuerwehrleute, Gymnasiasten, Geistliche, Handwerker und Lokalpolitiker erwartet.

Wieder miteinander reden

Um Demokratie geht es. Darum, dass man miteinander reden sollte anstatt sich anzuschreien oder im Internet zu beleidigen. „Die Sprachlosigkeit hier macht mir Sorgen“, sagt eine Frau im roten Kostüm. „Wir haben hier schon lange ein Problem mit rechter Ideologie. Hier wurde vieles totgeschwiegen.“ Es wird ein Nachmittag über die Nützlichkeit zwischenmenschlicher Kommunikation werden. Gauck will mit Leuten ins Gespräch kommen. Er hat sich auf eine Menge Gegenwind eingestellt, aber der bleibt zunächst aus.

Gauck sitzt also entspannt auf dem kleinen Podium. Wenn es hart kommt für den ersten Mann im Staate, dann ist das ein kleiner Rentner im grauen Anzug, der hinten im Publikum sitzt und sich für Deutschland schämt, weil er die Parteien satt hat, die sich angeblich nur zanken, statt die Probleme auf den Tisch zu legen. „Man muss mal auf den Tisch hauen“, fordert er.

Wir da unten, ihr da oben

Das ist dann der Augenblick, wo Gauck fast etwas stöhnt über das „altdeutsche Gefühl“, das in diesem Teil Deutschland doch noch herrsche, diese ostdeutsche Prägung vom „Wir hier unten“ und „Ihr da oben“, dieser ewige Wunsch nach einfachen Lösungen für komplizierteste Weltlagen.
Nadin Zieschang sitzt im Publikum, Gymnasiastin aus Bautzen, 18 Jahre alt, gerade im Abitur. Vom Bundespräsidenten will die junge Frau nichts wissen, sie würde viel lieber etwas mehr erfahren, was Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) so umtreibt. „Ich würde gerne mal hören, was der zum Schandfleck Sachsen zu sagen hat.“ Aber Tillich sitzt auch nur im Publikum. Er sieht seit Wochen käsig und überfordert aus und mischt sich nicht in die Debatte ein.

Es wird zunächst ein angenehmer Nachmittag für alle Beteiligten. Über das brennende Heim redet keiner, Rechte sind nicht im Saal, keine Wut, kein Gebrüll, keine AfD, kein Pegida. Gauck, der montags in Dresden als „Vorgauckler“ verhöhnt wird, hat leichtes Spiel. Es herrscht Einigkeit, dass alles nicht so einfach und Gewalt auch keine Lösung ist.

Nur einmal gibt es Applaus für eine kleine Frau, die sich darüber beschwert, jede der sich kritisch zu Asylsachen äußere, lande sofort in der rechten Ecke. „Ich bin nicht auf dem Willkommenstrip. Ich bitte das zu akzeptieren.“ Da wird sparsam geklatscht. Gauck nutzt das Ganze, um alle aufzufordern das Gespräch zu suchen, auch wenn es nicht immer schön sei, sich andere Meinungen anzuhören. „Demokratie ist kein Kuschelkorb“, sagt das Staatsoberhaupt nach anderthalb Stunden, dann muss er auch zurück nach Berlin.

Ganz so harmonisch bleibt es dann doch nicht in Bautzen: Nach der Diskussion wird der Bundespräsident in der Altstadt von rund einem Dutzend augenscheinlich rechter Demonstranten mit „Gauck soll raus“- und „Gauck verschwinde“-Rufen empfangen. Auch Trillerpfeifen sind zu hören. Ein Demonstrant zeigt dem Bundespräsidenten den Mittelfinger. Die Polizei drängt die Störer jedoch beiseite. (mit dpa)

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