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Cumhuriyet und Can Dündar: Die wichtige Stimme ist erschöpft | Medien - Frankfurter Rundschau
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Medien

07. Juli 2016

Cumhuriyet und Can Dündar: Die wichtige Stimme ist erschöpft

 Von 
Chefredakteur Can Dündar.  Foto: AFP

„Cumhuriyet“-Chef Can Dündar, kämpferischer Vertreter der demokratischen türkischen Zivilgesellschaft, möchte pausieren. Oder hört er ganz auf?

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Er ist die Galionsfigur des kritischen Journalismus in der Türkei, ein unerschrockener Kämpfer für die bedrohte Meinungsfreiheit und allein deshalb dem mächtigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ein Dorn im Auge: Can Dündar, der Chefredakteur der kleinen, aber einflussreichen linksliberalen Tageszeitung „Cumhuriyet“ (Republik). Längst ist er zum medialen Hoffnungsträger der linken und säkularen Opposition aufgestiegen, wofür seine drei Millionen Follower beim Kurznachrichtendienst Twitter wohl der klarste Ausdruck sind. Doch am Mittwoch erklärte der 55-Jährige völlig überraschend mitten im Zuckerfest zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan seinen Rücktritt als Chefredakteur des unabhängigen Blattes – den er kurz darauf wieder in Frage stellte.

Dündar schrieb in einer Rundmail an seine Mitarbeiter, er habe im vergangenen Jahr stets versucht, seine Pflicht zu erfüllen, obwohl er mit „Anklagen, Drohungen, Anhörungen, einem Gefängnisaufenthalt, einem Schusswaffenanschlag, Erklärungen, Verteidigungen und Beleidigungen“ konfrontiert gewesen sei. „Obwohl mein Enthusiasmus für den Journalismus und meine Entschiedenheit für die Berichterstattung nicht im Geringsten nachlässt, fühle ich mich physisch und geistig erschöpft“ erklärte er. Er wolle sich im Ausland erholen und ein Buch schreiben. Auf jeden Fall werde er seine Meinungskolumne fortsetzen. Als die Nachricht zu erheblicher Aufregung in den sozialen Medien führte, relativierte er sie auf Twitter: „Freunde sollen nicht traurig sein und Feinde sich nicht freuen.“ Seither rätselt die Türkei, ob Can Dündar nun vom Rücktritt zurücktritt oder ob er nur eine Auszeit nimmt.

Ein furchtbares Jahr

Tatsächlich hat Dündar ein Jahr hinter sich, das ihn an die Grenze der Belastbarkeit brachte. Als er kurz vor den Parlamentswahlen im Juni 2015 einen spektakulären Bericht über einen Waffentransport des türkischen Geheimdienstes MIT an mutmaßliche Dschihadisten in Syrien druckte, verklagte ihn Präsident Erdogan. Nachdem Dündar und sein Kollege Erdem Gül drei Monate in Untersuchungshaft verbrachten, ordnete das Verfassungsgericht zwar ihre Freilassung an, doch Erdogan erklärte, dass er den Beschluss nicht respektiere. Anfang Mai wurden die beiden Journalisten zu Haftstrafen zwischen fünf und sechs Jahren wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen verurteilt, wogegen sie Berufung einlegten. Damals schoss ein Attentäter vor dem Gerichtsgebäude auf Can Dündar und verfehlte ihn nur knapp, weil sich Dündars Ehefrau Dilek auf den Angreifer warf.

Der mutige Chefredakteur ist inzwischen mit zahlreichen internationalen Menschenrechts- und Medienpreisen geehrt worden; am Mittwoch schlugen ihn die Grünen im Europaparlament offiziell für den renommierten Sacharow-Preis vor. Im Juni hatte er eine Reise durch Europa angetreten, dabei in Berlin auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier getroffen. Dabei kritisierte der unbequeme Journalist vor allem das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei, das er „beschämend“ nannte.

Längst ist Can Dündar zur vielleicht wichtigsten Stimme der demokratischen türkischen Zivilgesellschaft geworden. Der langjährige Journalist der einst liberalen Tageszeitung „Milliyet“ wurde nach deren Verkauf an den Erdogan-nahen Mischkonzern Demirören 2013 aus politischen Gründen gekündigt und ging wie andere geschasste Top-Journalisten zu „Cumhuriyet“, der letzten größeren Bastion des unabhängigen Zeitungsjournalismus in der Türkei.

Dündars angekündigte Demission als Chefredakteur habe mit den fortwährenden Drohungen gegen ihn und seine Familie zu tun, sagten „Cumhuriyet“-Redakteure der FR – aber auch mit einem internen Machtkampf im Blatt zwischen den eingesessenen säkular-nationalistischen Kemalisten und den modernen linksliberalen Journalisten, die Dündar seit seinem Antritt als Redaktionsleiter vor zwei Jahren einstellte. Seiner Rücktrittsankündigung ging die Kündigung von neun engen Mitarbeitern voraus, die wichtige Schaltstellen in der Redaktion besetzten und wesentlich für den neuen Kurs verantwortlich zeichneten.

„Letztlich geht es darum, ob Cumhuriyet für die alte Klientel schreibt und in einer oppositionellen Nische verharrt oder ob man sich der Gesellschaft, der Demokratie und neuen Leserkreisen wie zum Beispiel den Kurden öffnet“, sagt eine ausgeschiedene Redakteurin. Jetzt hätten die Traditionalisten zwar eine Schlacht gewonnen, aber das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Tatsächlich erklärte Akin Atalay, der Sprecher der herausgebenden Cumhuriyet-Stiftung am Donnerstag, Dündar nehme nur eine Auszeit von zwei Monaten und werde seine Arbeit als Chefredakteur anschließend fortsetzen. Die Ex-Redakteurin ist nicht überzeugt. „In zwei Monaten ist der Machtkampf entschieden, dann wird man sehen, ob Can Dündar wieder zurückkehrt“, sagt sie – und wirkt dabei nicht sehr hoffnungsvoll.

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