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Leitungsmasten: Damit den Uhu nicht der Schlag trifft

Leitungsmasten: Damit den Uhu nicht der Schlag trifft

Manche Strommasten sind tödliche Fallen für grössere Vögel. Beim Uhu gefährden die Verluste hierzulande sogar die Bestände. Doch Abhilfe ist möglich, wie konkrete Projekte zeigen.

Text: Hansjakob Baumgartner

Strommast
Berührt ein Vogel beim An- oder Abflug gleichzeitig zwei Strom führende Drähte, trifft ihn ein tödlicher elektrischer Schlag.
© VSE

Die Lebenserwartung eines Uhukükens ist kurz. Das grosse Sterben beginnt schon nach dem ersten Flug. Die flügge gewordenen Jungen bleiben zunächst noch im elterlichen Revier und betteln die Alten an. Vor allem die spät Geschlüpften in Bruten mit drei Jungen verenden vielfach, noch bevor sie selbstständig geworden sind. Die Altvögel haben es nicht geschafft, genug Beute für alle zu schlagen. Im Spätsommer endet die elterliche Fürsorge. Die Vögel müssen nun ihre Nahrung selber beschaffen. Bald kommt der Winter. Im Frühling danach ist ein Grossteil der Junguhus vom Vorjahr verhungert. Wer überlebt hat, ist dafür aus dem Gröbsten raus. Normalerweise hat ein Jungvogel dann gute Chancen, alt zu werden und sich mehrmals fortzupflanzen. Das nachgewiesene Höchstalter in der freien Wildbahn liegt bei 27 Jahren. So gleicht die Art ihre hohen Verluste im ersten Lebensjahr aus.

Sterblichkeitsfaktor Mensch

Doch bei den Schweizer Uhus geht die Rechnung derzeit nicht mehr auf. Denn zur natürlichen Sterblichkeit addieren sich Verluste, die von der Natur nicht vorgesehen sind: Unfälle im Strassen- und Schienenverkehr, vor allem aber der Stromtod auf Leitungsmasten. Der Uhu ist ein Wartenjäger. Von erhöhter Position aus sucht er das Gelände ab und schlägt zu, wenn er eine Beute erspäht. Stromleitungsmasten erscheinen ihm als attraktive Warten mit guter Rundsicht. Doch manche von ihnen sind lebensgefährlich: Berührt ein Vogel beim An- oder Abflug gleichzeitig zwei Strom führende Drähte, kommt es zu einem Kurzschluss. Sitzt er auf dem Mast und touchiert flügelschlagend einen Stromleiter, löst er einen Erdschluss aus. In beiden Fällen trifft ihn ein tödlicher elektrischer Schlag. Jeder vierte im Wallis geschlüpfte Uhu stirbt früh, wie eine Studie ergab, bei der man Junguhus mit Sendern versehen und danach mittels Peilgerät verfolgt hatte. Diese Ausfälle können die Brutpaare nicht mehr kompensieren.

«Das ist vermutlich der Hauptgrund dafür, dass der Uhubestand im Schweizer Alpenraum stagniert oder gar rückläufig ist», sagt David Jenny von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. Ein bedeutender Sterblichkeitsfaktor sind Strommasten auch für den Weissstorch. Von den tot aufgefundenen Störchen, die in der Schweiz beringt worden waren, starben knapp 40 % durch einen elektrischen Schlag.

Uhu
Beim Uhu sind in der Schweiz sogar die Bestände gefährdet.
© Shutterstock Premier/Imran Ashraf

Tödliche Mittelspannungsmasten

Nicht alle Masten sind gefährlich. Bei Hochspannungsleitungen für 380 Kilovolt weisen Sitzplatz und Leitungen meist so grosse Abstände auf, dass die Vögel hier keinen Kurz- oder Erdschluss auslösen können. Dies gilt aber nicht für Masten von Mittelspannungsleitungen, die in der Regel der regionalen Stromverteilung dienen. Alle grösseren Vögel von der Krä-he aufwärts sind potenzielle Stromopfer. Es hat hierzulande auch schon Individuen stark gefährdeter Arten getroffen, so etwa unlängst im Wallis einen aus Frankreich eingeflogenen Mönchsgeier. Gefeit sind nur Kleinvögel, deren Körpergrösse bei keinem Strommast ausreicht, um die Distanz zwischen zwei Drähten – beziehungsweise zwischen Mast und Leiter – zu überbrücken.

Die gute Nachricht ist, dass neue Mittelspannungsleitungen für von 1 kV bis 36 kV generell verkabelt werden. Dies geschieht meist auch, wenn es eine bestehende Freileitung zu sanieren gilt. Nach Auskunft von Urs Huber, Leiter Planvorlagen beim Eidgenössischen Starkstrominspektorat (ESTI), verschwinden jährlich ungefähr 200 Kilometer Mittelspannungsleitungen im Boden. Damit wird auch ein anderes Problem entschärft: Vögel verunfallen am Stromnetz nicht allein durch elektrischen Schlag. Auch Kollisionen mit Leitungen können tödlich enden. Im Flug nehmen Vögel Leitungsdrähte oft nicht rechtzeitig als Hindernis wahr. Dies gilt vorab bei Nebel, Regen, in der Dämmerung oder wenn Zugvögel nachts unterwegs sind, was bei manchen von ihnen der Fall ist. Gefährdet sind Arten aller Grössenklassen, wie eine Schätzung des deutschen Naturschutzbundes (NABU) zeigt. Demnach sterben in Deutschland jährlich 1,5 bis 2,8 Millionen Vögel durch Kollisionen an Freileitungen. Bei den meisten Arten sind solche Unfälle allerdings kein wesentlicher Sterblichkeitsfaktor.

Ein lösbares Problem

Leider ist eine Verkabelung nicht überall machbar. Zudem existieren in der Schweiz noch viele Mittelspannungsleitungen ohne anstehende Sanierung. Doch auch für diese Fälle gibt es Lösungen: Mittelspannungsmasten vogelsicher zu bauen, ist technisch kein grosses Problem, und auch eine nachträgliche Isolation gefährlicher Konstruktionen ist meist mit verhältnismässig einfachen Massnahmen möglich. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) hat in Zusammenarbeit mit dem ESTI, der Vogelwarte und dem BAFU entsprechende Empfehlungen publiziert. Dabei geht es nicht allein um den Vogelschutz: Von Vögeln ausgelöste Stromschläge können auch zu Netzunterbrüchen führen. So waren zum Beispiel im November 2015 mehrere Dörfer im Mittelwallis während einer Stunde ohne Strom, nachdem ein Steinadler bei Ayent (VS) einen Kurzschluss ausgelöst hatte.

Gesetzliche Vorgaben

«Sofern es die örtlichen Gegebenheiten erfordern, sind auf den Tragwerken Vorkehren zu treffen, damit Vögel möglichst keine Erd- und Kurzschlüsse einleiten können», heisst es in der eidgenössischen Verordnung über elektrische Leitungen (LeV). Während bei neuen Freileitungen ausschliesslich vogelsichere Konstruktionen zulässig sind, ist eine Sanierung bereits bestehender Strommasten nur erforderlich, wenn von ihnen «für Mensch und Umwelt eine drohende Gefahr» ausgeht. In der gegenwärtigen Praxis bedeutet dies, dass gehandelt wird, wenn etwas passiert ist: Wird dem ESTI der Fund eines Stromopfers gemeldet, ist der betroffene Netzbetreiber aufgefordert, den fraglichen Mast vogelsicher zu machen.

Dem Vorgehen haftet etwas Zufälliges an, zudem bleiben die Massnahmen punktuell. «Besser wäre eine flächendeckende Sanierung nach sachlich begründbaren Prioritäten», findet Elisa Salaorni von der Sektion Landschaftsmanagement im BAFU. Grundlagen dafür sind vorhanden: Im Auftrag des BAFU hat die Schweizerische Vogelwarte 12 Regionen identifiziert, in denen mit der Entschärfung von gefährlichen Mittelspannungsmasten begonnen werden sollte. Es handelt sich um Gebiete, wo Uhu oder Weissstorch brüten oder Störche in grosser Zahl durchziehen.

Getöteten Uhu im Unterengadin
Wildhüter Not Pua zeigt bei einem Mast bei Pradella im Unterengadin (GR) einen vom Stromschlag getöteten Uhu.
© David Jenny

Uhuland Engadin

Als Uhuland gilt zum Beispiel das Engadin. In Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern Engadiner Kraftwerke AG (EKW) und Repower erstellten David Jenny und David Berthold von der Vogelwarte 2013 ein Inventar der gefährlichen Engadiner Strommasten und teilten diese in verschiedene Gefährdungskategorien ein. Das Inventar umfasst 253 Masten. Davon sind inzwischen 17 % saniert worden. Bei den besonders gefährlichen ist es gut die Hälfte. Die Zahl der Stromopfer habe sich seither vermindert, berichtet David Jenny. Ein Teil der Masten wird mittelfristig ganz aus der Landschaft verschwinden: Als Ersatzmassnahme für den Ausbau der Hochspannungsleitung zwischen Scuol und La Punt werden die Mittelspannungsleitungen auf dieser Strecke verkabelt.

Ebenfalls dringender Handlungsbedarf besteht für das Rhonetal. Der Walliser Uhubestand schwächelt und kann sich nur dank Zuwanderung einigermassen halten. Ohne Verluste durch Stromtod wäre dies anders. Gemäss Modellrechnung – basierend auf der erwähnten Studie – betrüge der jährliche Zuwachs dann 17 %.

Grossräumige Sanierung

Die Walliser Aussenstelle der Vogelwarte hat deshalb auch für das Rhonetal ein Inventar der gefährlichen Mittelspannungsmasten erstellt. Es sind rund 1600. Eine interaktive Karte zeigt deren Bezug zu den Uhurevieren. Je näher ein nicht vogelsicherer Mast bei einem Uhuhorst steht, desto grösser ist das von ihm ausgehende Risiko. Die Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere des Kantons Wallis hat die Karte den Netzbetreibern verfügbar gemacht und sie brieflich aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen. Die Netzbetreiberin Service électrique intercommunal SA (SEIC) ist bereits vorher aktiv geworden. 2008 existierten in der Region Martigny (VS) 74 gefährliche Masten. Heute sind es noch 19. Weil die SEIC mehrere Leitungen verkabelt hat, sind 52 aus der Landschaft verschwunden, weitere 3 wurden vogelfreundlich isoliert.

«Die Pilotprojekte im Engadin und Wallis zeigen, dass eine grossräumige Sanierung der gefährlichen Mittelspannungsmasten für den Vogelschutz möglich ist», sagt Elisa Salaorni vom BAFU. «Jetzt müssen entsprechende Projekte auch in den anderen von der Vogelwarte bezeichneten Regionen angepackt werden. Ziel ist die Eliminierung sämtlicher für Vögel gefährlichen Masten. Ein echtes Artenschutz-problem liesse sich so mit vertretbarem finanziellem Aufwand lösen.»

Am 6. September 2017 hat der Bundesrat den Aktionsplan zur Strategie Biodi-versität Schweiz verabschiedet. Zu den 19 Pilotprojekten, die man in diesem Rahmen umsetzen will, gehört auch die Forderung, den «Stromtod von Vögeln schweizweit zu vermeiden». Ziel des Projekts zur spezifischen Förderung National Prioritärer Arten ist die Erarbeitung von Grundlagen zur gezielten Sanierung von gefährlich konstruierten Mittelspannungsmasten.

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Letzte Änderung 10.04.2018

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