BERLIN, 28. Februar. Zum 44. Mal wurden am Mittwoch in Los Angeles die Grammys verliehen, die wichtigsten Schallplattenpreise der Musikindustrie. Auf die B&uuml;hne gelangten Preistr&auml;ger und Laudatoren in diesem Jahr durch eine flughafenartige Detektorenschleuse. Bevor Moderator John Stewart die Gala er&ouml;ffnen konnte, unterzogen ihn zudem drei lustige Sicherheitsoffiziere einer groben Ganzk&ouml;rperabtastung - so lange, bis Stewart zerknautscht und nur noch in einer blau-wei&szlig; gestreiften Unterhose vor seinem Publikum stand.Der Alltag: ein einziger Security Check? Glaubt man den Selbstdarstellungen der Musikindustrie, ist f&uuml;r sie ohnehin jeder Tag der 11. September. Es geht ihr schlecht, schlecht, schlecht: Um satte f&uuml;nf Prozent sind die Gewinne im letzten Jahr zur&uuml;ckgegangen; der Umsatz in den Top 10 schwand sogar um ein Drittel. Nicht nur hemmungslos raubkopierende H&ouml;rer und eine wachsende Konkurrenz durch den DVD- und Playstation-Konsum ruinieren ihren Profit. Nun haben sich auch noch die Musiker gegen die Konzerne verschworen: Ein neuer Interessenverband namens &quot;Recording Artists Coalition&quot; - sein Logo ist eine Faust, die ein Mikrofon umklammert - protestiert gegen die branchen&uuml;blichen Knebelvertr&auml;ge; insbesondere gegen eine verbreitete Klausel, die K&uuml;nstler bei Abschluss eines Vertrages &uuml;ber sieben Jahre an eine Firma bindet. Gegen die &quot;RAC&quot;, die am Vorabend der Grammy-Verleihung diverse Protest- und Fundraising-Konzerte organisierte, haben die Labels und Produzenten bereits eine eigene Lobby ins Leben gerufen: Sie soll die &quot;Interessen der Wirtschaft&quot; sch&uuml;tzen und damit angeblich auch die &quot;Interessen junger Talente&quot;.Junge Talente?&Auml;ltere M&auml;nner von geringem Interesse hingegen wurden von der Branche auch in diesem Jahr bevorzugt mit Grammys pr&auml;miert: Gleich vier Troph&auml;en gingen an U2, unter anderem f&uuml;r die &quot;beste Single des Jahres&quot;. Unter den gl&uuml;cklichen Preistr&auml;gern des Weiteren: Bob Dylan, Eric Clapton, James Taylor.Hatte man nicht noch im Vorfeld der Gala von einer modernisierten Verleihungspraxis geraunt, von einer Art Perestroika im ZK der Musikwirtschaft? Im Rock-Bereich ist daraus jedenfalls nichts geworden. Interessant war vor allem, dass weder Limp Bizkit, Nickelback, Blink 182 oder irgendeine andere NuMetal-Band unter den Preistr&auml;gern war (nur Linkin Park erhielt einen Grammy f&uuml;r die &quot;beste Hardrock-Darbietung&quot;). Man kann von dieser Musik halten, was man will - bei der amerikanischen Jugend ist sie gegenw&auml;rtig der beliebteste Stil. Im Weltbild der Grammy-Juroren existiert der NuMetal aber ebenso wenig wie seine wichtigsten Antipoden, die schon als &quot;neue Rolling Stones&quot; gefeierten Strokes.Immerhin im Bereich R n B waren zwei &quot;junge Talente&quot; nominiert: die aus Atlanta stammende India. Arie, eine Art afrozentrisch angehauchter Tracy-Chapman-Nachfolgerin, und die New Yorkerin Alicia Keys. W&auml;hrend India. Arie letztlich mit leeren H&auml;nden nach Hause ging, erhielt Keys den H&ouml;chstsatz von f&uuml;nf Grammys, darunter f&uuml;r &quot;Fallin &quot; als &quot;Song des Jahres&quot;. Man g&ouml;nnt ihr die Ehre; Keys ist, wie in dieser Zeitung bereits dargestellt, menschlich gesehen sympathisch. Auf Dauer geht einem ihr manierierter, allzu Blue-Note-versessener R n B allerdings auch schnell auf die Nerven. Weder als S&auml;ngerin noch als B&uuml;hnenerscheinung besitzt sie etwa die Klasse von Mary J. Blige, die w&auml;hrend der Gala in wirklich atemberaubender Weise ihr St&uuml;ck &quot;No More Drama&quot; interpretierte. Und im Vergleich mit den futuristischen Soundbasteleien, mit denen die postum nominierte Aaliyah ihren Gesang kontrapunktierte, wirken Keys klavierlastige Arrangements traditionell und gef&auml;llig.Tr&auml;nen der Scham Sch&ouml;n, dass hier wenigstens einmal eine Frau gewonnen hat, die nicht einer gecasteten Girlgroup entspringt - wirklich mutig war diese Entscheidung dennoch nicht. Und was ist eine Troph&auml;e wert, die man sich mit U2 teilen muss? Sowohl die &quot;beste Darbietung im Pop&quot; wie auch die &quot;beste Darbietung im Rock&quot; will die Jury bei den &ouml;den Achtziger-Jahre-Schraddlern ausgemacht haben - dabei treibt schon Bonos orangefarbene Brille jedem anst&auml;ndigen Menschen Tr&auml;nen der Scham in die Augen. Nur einer konnte den schmierigen Katholiken an Schmierigkeit noch &uuml;berbieten: &quot;Where were you / when the world stopped turnin / that September day&quot;, kn&ouml;delte der Countrys&auml;nger und Cowboydarsteller Alan Jackson (&quot;I m just an unpolitical guy&quot;) zwischen zwei Preis&uuml;bergaben zum verlogensten Nashville-Sound, den man sich vorstellen kann. Dazu wurden von Vorschulkindern angefertigte Wachskreidebilder projiziert, die das brennende World Trade Center zeigten.Der Saal war ergriffen - und die Musikindustrie f&uuml;hlte sich zu Recht auf der H&ouml;he ihrer Kunst. Wie stets verwandelt sie auch heute noch das ehrlichste Gef&uuml;hl m&uuml;helos in eine L&uuml;ge.Ein Preis f&uuml;r Schneewittchen // Alicia Keys, die 21-j&auml;hrige US-S&auml;ngerin, war mit f&uuml;nf Preisen die gro&szlig;e Siegerin bei der Grammy-Verleihung. Sie gewann in den Kategorien &quot;Song des Jahres&quot; und &quot;Beste neue K&uuml;nstlerin&quot;. Mehr als f&uuml;nf Grammys hat bislang noch keine Frau bei der Preisverleihung gewonnen.Die Kanadierin Nelly Furtado war viermal nominiert worden, gewann aber mit &quot;I m Like a Bird&quot; nur in der Kategorie bester weiblicher Pop-Gesang. Die S&auml;ngerin India. Arie, die siebenmal nominiert war, ging leer aus.Bob Dylan gewann einen Grammy f&uuml;r das beste zeitgen&ouml;ssische Folk-Album.Als bestes Album wurde die von T-Bone Burnett produzierte &quot;O Brother&quot;-Filmmusik ausgezeichnet. Damit gewann zum ersten Mal seit acht Jahren wieder der Soundtrack eines Hollywood-Films Die Band U2 siegte mit &quot;Walk On&quot; in der Kategorie &quot;Schallplatten-Aufnahme des Jahres&quot;.Insgesamt wurden 101 Grammys vergeben. Ausgezeichnet wurde auch der M&uuml;nchner Produzent Manfred Eicher, u. a. f&uuml;r das Bach-Projekt &quot;Morimur&quot; des Geigers Christoph Poppen mit den Solisten des Hilliard Ensembles und f&uuml;r eine Aufnahme von Heinz Holligers Oper &quot;Schneewittchen&quot;.AP/KEVORK DJANSEZIAN Gl&uuml;ckliches R n B-Nachwuchswunder: gleich f&uuml;nf Grammys f&uuml;r Alicia Keys.

In Los Angeles wurden die Grammys, die wichtigsten amerikanischen Musikawards, verliehen: Feiern und jammern

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In Los Angeles wurden die Grammys, die wichtigsten amerikanischen Musikawards, verliehen: Feiern und jammern