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Vorreiter FCK: Als Bongartz die Raumdeckung einführte | Der Betze brennt

Im Blickpunkt

Vorreiter FCK: Als Bongartz die Raumdeckung einführte

Vorreiter FCK: Als Bongartz die Raumdeckung einführte

FCK-Trainer Hannes Bongartz (r.) mit seinem Co Ernst Diehl; Foto: Imago

Vor rund 30 Jahren war das Fritz-Walter-Stadion Schauplatz einer kleinen Revolution: Trainer Hannes Bongartz führte beim 1. FC Kaiserslautern Raumdeckung und die Viererkette ein - und war der taktischen Entwicklung damit weit voraus.

Die kleine Fußball-Revolution auf dem Betzenberg hat eine Vorgeschichte. Sie nimmt ihren Anfang zu Beginn der 1980er. Vier erfolgreiche Jahre lagen hinter dem 1. FC Kaiserslautern, als sich 1982 die erste Amtszeit von Karl-Heinz Feldkamp dem Ende zuneigte. "Kallis" Abschied markierte den Schlusspunkt hinter dem bis dato erfolgreichsten Kapitel der Vereinsgeschichte nach der Fritz-Walter-Ära. Feldkamp führte den FCK viermal in Folge unter die besten vier Mannschaften der Bundesliga. 1981 gelang der Einzug ins DFB-Pokal-Finale (1:3 gegen Frankfurt). Dreimal nahmen die Roten Teufel am UEFA-Cup-Wettbewerb teil, in dem sie 1982 bis ins Halbfinale vorgestoßen waren.

Zuvor hatten Feldkamp und seine Mannen einen rauschhaften 5:0-Sieg im legendären Viertelfinal-Rückspiel gegen Real Madrid gefeiert. Die Krönung blieb der Pfälzern aber verwehrt. Ausgerechnet der auf europäischer Fußballbühne kaum in Erscheinung getretene schwedische Vertreter IFK Göteborg erwies sich kurz vor dem Finale als Stolperstein. Eine herbe Enttäuschung. Auf dem Betzenberg sahen die Roten Teufel gegen Göteborg kein Land, kamen gegen die ungewohnte Spieltaktik des Gegners mit einem 1:1-Unentschieden noch gut davon, wie sich Torwart-Legende Ronnie Hellström kürzlich im DBB-Interview erinnerte. Im Rückspiel erzwang das Feldkamp-Team im legendären Ullevi-Stadion vor über 50.000 Zuschauern immerhin die Verlängerung, musste sich aber letztlich mit 1:2 geschlagen geben.

Die Lehrstunden gegen Göteborg bleiben zunächst unerhört



Es war auch kein Trost, dass der FCK gegen den späteren Titelträger ausgeschieden war. Die Schweden setzten sich im Finale, das in Hin- und Rückspiel ausgetragen wurde, tatsächlich die Krone auf. Der Hamburger SV, zu diesem Zeitpunkt aus deutscher Sicht das Maß aller Dinge, kassierte zunächst eine 0:1-Schlappe und wurde im Rückspiel vor heimischer Kulisse mit 0:3 gedemütigt. Der Göteborger Überraschungscoup markierte den Startschuss für die Weltkarriere von IFK-Trainer Sven-Göran Eriksson. Der spätere Nationaltrainer Englands setzte damals auf taktische Mittel, die in Deutschland zwar registriert wurden, aber kaum Beachtung fanden: Statt mit Libero, zwei Manndeckern und Außenverteidigern zu spielen, setzte Göteborg auf eine Viererkette, in der nicht, wie damals in der Bundesliga üblich, Mann gegen Mann, sondern im Raum verteidigt wurde. So erteilten sie den Deutschen gleich mehrmals eine Lehrstunde - die aber erst einmal keine Konsequenzen hatten.

In Kaiserslautern und in Hamburg erklärten sich die Verantwortlichen die Blamage eher mit dem eigenen Versagen. Der FCK "rächte" sich auf seine Weise und lotste Göteborgs Torbjörn Nilsson nach der Saison in die Pfalz. Für den Stürmer wurde eine stattliche Ablösesumme fällig, er bezog das Haus von Feldkamp. Taktische Neuerungen, wie in Schweden erlernt, brachte er nicht mit. Die Begegnung mit dem IFK schien damit schnell abgehakt.

Bleibenden Eindruck hatten die beiden Spiele gegen Göteborg allerdings bei einem Lautrer Mittelfeldspieler hinterlassen. Mit blonder Mähne, elegant und technisch beschlagen, lenkte damals Hannes Bongartz das FCK-Spiel. Der Stratege galt als feiner Fußballer, den Schweden hatte aber auch er wenig entgegenzusetzen. "Im Mittelfeld hatte man kaum Zeit, den Ball anzunehmen und eine Anspielstation zu suchen, wurde permanent attackiert und produzierte laufende Fehlpässe, weil Göteborg nicht nur im Raum sehr kompakt stand, sondern dazu auch noch geschicktes Pressing spielte", erinnerte er sich Jahre später im "Kicker". Seine Bewunderung musste Bongartz aber erst einmal für sich behalten. In Kaiserslautern setzte die Depression nach dem Feldkamp-Weggang ein. An die erfolgreichen Platzierungen konnte das Team nicht mehr anknüpfen.

"Mut zum Risiko": Bongartz kehrt als Trainer zum FCK zurück



Im Juli 1984 schien die erfolgreiche Zeit und auch das bittere Halbfinal-Aus gegen Göteborg ganz weit weg. Nach einem enttäuschenden 12. Platz verabschiedete sich "Spargeltarzan" Bongartz vom FCK und beendete seine aktive Karriere. Was wohl zu diesem Zeitpunkt weder er noch die Fans des 1. FC Kaiserslautern ahnten: Es dauerte nur wenige Monate, bis er zurückkehren sollte. Diesmal aber nicht als Spieler, sondern als Trainer.

Sein Glück war ein Umsturz in der Lautrer Vereinsführung. Präsident Udo Sopp gab im Sommer 1985 sein Amt ab, Jürgen Friedrich heuerte zum zweiten Mal auf dem Betzenberg an und hatte einiges mit dem FCK vor - auf und neben dem Platz. Ein stattlicher Schuldenberg bremste Friedrichs Visionen nicht. "Wir wollen nicht sparen, wir wollen Geld verdienen", lautete ein Credo seiner damaligen Amtszeit.

Der Neue auf der Geschäftsstelle wollte den FCK modernisieren - und fing sofort auf der Trainerbank an. Der bereits ausgehandelte Vertrag mit Aleksandar Ristic, langjähriger Assistent des legendären Ernst Happel beim HSV und nun in eigener Verantwortung bei Eintracht Braunschweig stehend, wurde von "Atze" kurzerhand als einer seiner ersten Amtshandlungen gekündigt. Friedrich hatte eine eigene Idee: Er verpflichtete den damals 33-jährigen Bongartz, der am 4. Juli 1985 seine Ausbildung zum Fußballlehrer abschließen sollte, um einen Tag später das erste Training auf dem Betzenberg zu leiten. Während der Ausbildung beim DFB hatte sich Bongartz den Ruf als "Musterschüler" erarbeitet, ein Mann mit Visionen, Konzepten und neuen Ideen. Nur Trainererfahrung hatte er keine.

Nicht nur der "Kicker" attestierte den neuen FCK-Verantwortlichen "Mut zum Risiko". Bongartz war ein Experiment. Der forsche Neuling wagte es sogar, Bewährtes in Frage zu stellen und taktische Neuerungen anzukündigen - indem er sich an die Spiele gegen Göteborg drei Jahre zuvor erinnerte. "Wenn du mal Trainer bist, machst du das auch", hatte er sich stets gesagt. Und die Chance kam schneller als gedacht.

Dusek und Majewski bilden das ideale Verteidiger-Duo



Elf Jahre nach dem WM-Titelgewinn von 1974, der dank Franz Beckenbauers Können als Dirigent und Stratege auf Jahre hinaus den Libero als unumstößliches Mantra im deutschen Fußball festschrieb, kündigte Bongartz die Streichung genau jener Position an. Vielmehr noch: Er wollte im Raum verteidigen, statt die übliche Manndeckung spielen zu lassen, in denen - so die weit verbreitete Annahme - die "deutschen Tugenden", Wille, Einsatz, Härte und Leidenschaft, doch wohl am stärksten zur Geltung kamen. Konnte das gut gehen?

Mit Ansätzen der Raumdeckung hatte man in Kaiserslautern immerhin schon Erfahrung gemacht. Feldkamps unmittelbarer Nachfolger Kröner hatte in seiner kurzen Amtszeit bis März 1983 ab und an einen Mix aus Raumdeckung und Abseitsfalle getestet, dabei aber stets auf Libero Hans-Günter Neues gesetzt und seine Pläne irgendwann auch mangels Erfolgs verworfen.

Bongartz, der sich neben seinem innovativen Eifer auch noch von seinem Spielern duzen ließ, was Journalisten und Beobachter erstaunt feststellten, dachte nun für damalige Verhältnisse noch radikaler und schaffte den Libero ab - zeitweise. Der Trainer-Newcomer wollte eine sanfte Revolution. Zunächst führte er, unabhängig von der Formation, die konsequente Raumdeckung ein. Erst mit der Zeit passte er auch seine Aufstellung an und griff zu einem flachen 4-4-2.

FCK-Aufstellung am 28.02.1987 beim 1:0-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach
FCK-Aufstellung am 28.02.1987 beim 1:0-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach

"Es war wichtig, dass man in der Innenverteidigung einen Schrubber und einen spielintelligenten Mann hatte", beschrieb Bongartz viele Jahre später in einem "11Freunde"-Interview seine Ideen. In Kaiserslautern fand er erst mit der Zeit die optimale Besetzung: "Michael Dusek war mein kreativer Mann, daneben stand Stefan Majewski." Das Innenverteidiger-Duo ergänzte sich gut. Dusek, der sich an die neue Art zu spielen schnell gewöhnt hatte ("Jeder ist für seine Ecke verantwortlich"), war für die Feinarbeit zuständig, der Pole Majewski räumte kompromisslos ab. "Der hat alles weggehauen. Klaus Fischer (damals Stürmer in Bochum, Anm. d. Red.) rief damals an und sagte mir, dass, wenn der Majewski spielt, er gar nicht kommen braucht", erinnerte sich Bongartz später beim Online-Portal "Auf'm Platz". 1986 öffnete Jürgen Groh (Bongartz: "Der hatte eine Pferdelunge") weitere Optionen in der Defensive.

Trotz Innovation: Dem FCK fehlt die Konstanz



Nach einem 11. Platz in seiner Debütsaison gelang es Bongartz, den FCK zumindest wieder in die Nähe der erfolgreichen alten Zeit zu führen. 1987 stand sein Team erstmals nach vier Jahren wieder knapp vor dem Einzug in den UEFA-Cup, auch weil die veränderte Defensive Raum zur offensiven Entfaltung schuf. "Mir war klar, dass ich mit diesem System einen Spielmacher total frei bekomme. Dann haben wir Wolfram Wuttke geholt, der diese Rolle perfekt spielen konnte, zumindest so lange er in der Spur war. Gemeinsam mit Sergio Allievi wurde er zum Traumpaar", beschrieb Bongartz die Mannschaft in seiner zweiten Saison auf dem Betze. 15 Siege standen zwölf Niederlagen und sieben Remis gegenüber. Erst am letzten Bundesliga-Spieltag wurde der Europacup-Platz verpasst. Das neue Spielkonzept ging wie schon in der Vorsaison häufig auf - schlug aber auch nicht selten komplett fehl.

Auf bemerkenswerte Siege, wie einem 3:0-Erfolg gegen den zuvor noch ungeschlagenen Tabellenführer Werder Bremen im November 1985 und einem 4:1 im Pokal gegen den 1. FC Köln, folgten unerklärliche Niederlagen gegen Mönchengladbach (0:3), Bayern (0:2) und Stuttgart (0:2). Um wieder wirklich dauerhaft in oberen Tabellenregionen anzugreifen, fehlte den Roten Teufeln die Konstanz.

Und Bongartz' Ansätzen waren mit der Zeit durchsichtig geworden. Die Entwicklung stagnierte, Gegner stellten sich auf seine Taktik ein. Nach 15 Spielen, vier Siegen, acht Niederlagen und drei Remis zu Beginn der Saison 1987/88 endete die Amtszeit des Trainers. Eine 2:3-Niederlage beim FC Homburg besiegelte das Aus. Die Roten Teufel standen einen Punkt vor der Abstiegszone. Zwischen Präsident Friedrich ("Wir spielen wie die Dackel") und dem jungen Coach hatte es zuvor schon Streitigkeiten über die Zusammenstellung des Kaders gegeben. Am 11. November, an Friedrichs 44. Geburtstag, wurde die Trennung besiegelt. Das Geburtstagskind überbrachte die Nachricht persönlich und installierte den gebürtigen Pirmasenser Sepp Stabel, zuvor Amateur-Trainer bei den Roten Teufeln. Ihm gelang letztlich der Klassenerhalt, Friedrich zog sich 1988 zurück, sollte erst in den 1990er Jahren zu einer dritten Amtszeit mit nicht minder großen Visionen zurückkehren.

Bongartz, der sich in den Wochen nach seinem Abschied einen längeren Abfindungsstreit mit seinem Ex-Klub lieferte, wäre schon kurz nach seiner Entlassung beinahe auf Schalke gelandet. Erst im Sommer 1988 unterschrieb er aber beim FC Zürich. Ein Jahr später übernahm er den Zweitligisten Wattenscheid 09.

Bongartz verwirklicht seine Ideen endgültig in Wattenscheid



Als Trainer gereift, entschloss Bongartz sich im Juli 1989 endgültig, Raumdeckung und Viererkette durchgehend und kompromisslos einzusetzen. Es war der entscheidende Wettbewerbsvorteil. Die SGW führte er damit zum Aufstieg und hielt den Klub dreimal in Folge in der Bundesliga. "Hannes Bongartz war ein Trainer, der mit taktischen Dingen weiter war als andere. Er entwickelte mich, so dass ich für die besten Klubs in Deutschland interessant wurde", blickte Markus Schupp 2014 zurück. Der Mittelfeldspieler war Bongartz von Kaiserslautern nach Wattenscheid gefolgt und ging später zum FC Bayern.

Bongartz stand mit seiner taktischen Innovation zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr allein in Deutschland da. Bernd Krauss ließ in Mönchengladbach ebenfalls mit Raumdeckung und Viererkette spielen. Als der Schweizer 1996 entlassen wurde, empfahl sich Bongartz somit als idealer Nachfolger, musste sich die Mannschaft doch nicht erst an eine neue Spielidee gewöhnen.

Die Vorreiter-Rolle beanspruchte Bongartz nie



Und auch an anderer Stelle hatten sich Viererkette und Raumdeckung etabliert. In der 2. Bundesliga, beim SSV Ulm, führte sie Ralf Rangnick zu einer ähnlichen Perfektion wie Wolfgang Frank beim Zweitligisten Mainz 05. Der Schwabe impfte seinem Team außerdem perfektioniertes, aggressives Pressing ein - Ideen, die später Jürgen Klopp übernahm und fortsetzen sollte. Rangnick prägte später Schalke 04, die TSG Hoffenheim und empfahl sich als Koordinator der "RB-Schule".

Anders als die "Masterminds" Rangnick und Frank galt Bongartz nie als Vorbild der taktischen Erneuerer. Wohl auch, weil sein Erbe in Kaiserslautern schnell in Vergessenheit geriet. Die Linien der schwäbischen Fußball-Reformatoren rund um Stuttgart führten schon immer meist weit am Betzenberg vorbei. Warum auch nicht, schließlich erlebte der FCK in den 1990er Jahren mit vier Titeln ein goldenes Jahrzehnt. Die beiden prägenden Trainer dieser Zeit, Feldkamp und Otto Rehhagel, galten als entschiedene Vertreter des Liberos.

Auch Bongartz selbst nahm für sich die Rolle des Vorreiters nie in Anspruch: "Was wirklich anders geworden ist, in den letzten Jahrzehnten, ist die totale Raumdeckung", sagte er 2015 zum "Bonner Generalanzeiger". "Aber wenn ich heute höre: 'Tief stehen, hoch verteidigen' - meine Güte, alle älteren Fußballlehrer schütteln dann den Kopf."

Quelle: Der Betze brennt | Autor: paulgeht

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