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DTA
PAUL KAMPFFMEYER · ÜBER PROSTITUTION UND VOLKSERZIEHUNG
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DAS FRAUENSTIMMRECHT UND
DIE SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI

Zu den Verhandlungsgegenständen der Frauenkonferenz, die dem Partei-
tag in Mannheim vorangeht, gehört das Frauenstimmrecht. Das
ist sehr zu loben, denn diese Frage hat neben ihrer an sich ge-
waltigen allgemeinen Bedeutung für die Arbeiterbewegung der
ganzen Welt gegenwärtig noch eine besondere erhalten durch die
Wahlrechtsbewegungen sowohl in deutschen, wie in ausserdeutschen Landen.
Für das Frauenstimmrecht lassen sich vom Standpunkt der Arbeiterklasse eine
stattliche Reihe trefflicher, unwiderleglicher Gründe anführen, natürliche,
ethische, politische, soziale. Nach dieser Richtung wird auf der Frauen-
konferenz kaum etwas Neues gesagt werden können. Die deutsche Sozial-
demokratie ist durch ihre Grundsätze und ihr Aktionsprogramm auf die Er-
ringung des Wahlrechts für die Frauen verpflichtet. Das allgemeine, gleiche
Wahlrecht ist in der Tat aber auch ein Lebenselement der Arbeiterklasse. Ob
sie lediglich mit dessen Hilfe endgültig obsiegen wird, kann mit Recht be-
zweifelt werden. Es werden andere Faktoren hinzutreten müssen. Aber das
wichtigste Mittel zur Gewinnung und Erziehung der Massen für den Gedanken
des Klassenkampfes, das wichtigste Mittel zur Vorbereitung der Eroberung der
politischen Macht ist und bleibt das allgemeine, gleiche Wahlrecht. Ganz
abgesehen von allen ethischen Gründen, erfordert also das materielle, das poli-
tische und wirtschaftliche Interesse der Arbeiterklasse das Frauenstimmrecht.
Die Bedeutung der Frau im Wirtschaftsleben nimmt ständig zu; in gleichem
Masse wächst ihre Bedeutung für den proletarischen Klassenkampf. In den
Händen des Kapitals ist die Frau nicht nur eine gefährliche Waffe im wirt-
schaftlichen Kampfe gegen den männlichen Arbeiter, sie ist es zugleich auch
im politischen Kampfe in den Händen der politischen Vertretung des Kapi-
tals, der bürgerlichen Parteien. Wie niederdrückend und hemmend die politisch
rechtlosen und daher verständnislosen Arbeiterfrauen auf die politische Be-
tätigung, auf den Befreiungskampf der Arbeiterklasse überhaupt wirken, wie
sie selbst die Tätigkeit Hunderttausender schon aufgeklärter männlicher

JULIUS BRUHNS · DAS FRAUENSTIMMRECHT UND DIE SOZIALDEMOKRATIE
Arbeiter verringern und hindern, davon können die leitenden Personen der
Partei- und Gewerkschaftsbewegung manch trauriges Lied singen.

Die Erringung des Frauenstimmrechts würde der Arbeiterbewegung gewaltig
vermehrte Aufklärungsarbeit, bald aber auch eine gewaltige Vermehrung ihres
Heeres, ihrer Kräfte bringen. Und politisch aufgeklärte Frauen sind nicht die
schlechtesten, sondern in der Regel die besten Mitkämpfer, wie das die Er-
fahrung längst gelehrt hat. Dabei dürfen wir uns allerdings nicht verhehlen,
dass das Frauenstimmrecht zunächst und auf längere Zeit den bürgerlichen
Gegnern, und sicher dem rückschrittlichsten dieser Gegner am meisten, neue
grosse Wählermassen zuführen wird. Diese Tatsache hat hier und da in den
Kreisen der Gegner den Gedanken aufkommen lassen, den immer mächtiger
anschwellenden, immer ungestümer herandrängenden proletarischen Klassen-
kämpfern schliesslich die Massen der proletarisch-weiblichen Wähler entgegen-
zustellen, gewissermassen als letzte Reserve der bürgerlichen Machthaber. Auf
der anderen Seite hat dieser Umstand in sozialistischen Kreisen gewisse Be-
denken gegen die Einführung des Frauenstimmrechts, wenigstens im gegen-
wärtigen Stadium der politischen Machtverhältnisse, hervorgerufen. So in
Belgien, wie Genosse Emile Vandervelde in dieser Zeitschrift ausführte:

Viele von unseren Genossen teilten mit den Liberalen und Radikalen die Meinung,
dass die Zulassung der Frauen zum Wahlrecht in Belgien die Verewigung der kleri-
kalen Herrschaft zur Folge haben werde.1)

Vandervelde hält diese Befürchtung für übertrieben, und in der Tat kann
von einer »Verewigung« der klerikalen Herrschaft durch das Stimmrecht der
Frauen gewiss nicht geredet werden. Aber Vandervelde verfällt in den ent-
gegengesetzten Fehler, indem er nach meiner Ansicht die Stärkung der bürger-
lichen Parteien durch das Frauenstimmrecht erheblich unterschätzt. Davon,
dass in der Regel Mann und Frau, weil sie der selben Klasse angehören und
die selben wirtschaftlichen Interessen vertreten, auch den selben Stimmzettel
abgeben würden, kann nicht die Rede sein, solange nicht diese Frauen zur
Erkenntnis dieser Klassenzugehörigkeit und dieser gemeinsamen wirt-
schaftlichen Interessen mit dem Manne gekommen sind. Wenn viele Frauen
sozialistisch gleich dem Manne stimmen, so wird das aus geistiger Unselb-
ständigkeit, aus anerzogener Unterwürfigkeit gegenüber dem Willen des Mannes
geschehen; gerade die an sich besseren, selbständigeren Naturen aber werden
zunächst, im Banne ihrer Vorurteile und weiblichen Gefühle, entgegen dem
Manne stimmen.

Auch wenn man die nächsten politischen Wirkungen des Frauenstimmrechts
viel ungünstiger für die Bestrebungen der Arbeiterklasse nach der politischen
Macht beurteilt, als Vandervelde, muss man doch mit ihm vollkommen
einig darin sein, dass das Frauenstimmrecht für die zukünftige völlige Befreiung
des Proletariats unschätzbare Vorteile erbringt. Für die geistige Emanzipation
der Frauen ist es ein treffliches, ja das trefflichste Mittel. Und wenn uns
nicht unser Rechts- und Sittlichkeitsgefühl, unsere politischen Grundsätze auf
seine Erringung unweigerlich hinwiesen, dann müsste das allein schon das
praktische Interesse tun, die Erwägung, dass es kein besseres Mittel zur Er-
ziehung auch der anderen Hälfte des Proletariats, der weiblichen, gibt, als das
politische Stimmrecht. Wir müssen daher unangekränkelt von der Gewissheit,

1) Vergl. Emile Vandervelde: Frauenstimmrecht in Belgien! Im vorigen Bande der Soziali-
stischen Monatshefte
, pag. 138.

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dort, wo ein mehr oder minder freies Stimmrecht für die männlichen Proletarier
schon besteht, durch Einführung des Frauenstimmrechts die politischen Macht-
verhältnisse vorübergehend zu unseren Ungunsten zu beeinflussen, grundsätz-
lich doch dafür eintreten.

»Es ist aber bekanntlich nicht das selbe, eine Forderung grundsätzlich zu vertreten
und sie zu einem Punkte der praktischen Politik zu machen. Wie die Haltung
unserer Bruderparteien in Schweden, Belgien und Österreich erweist, können Augen-
blicksrücksichten verschiedener Art die Sozialdemokratie veranlassen, die Forde-
rung des Frauenstimmrechts zurückzustellen.«

Das sagt die Genossin Roland-Holst.²) Und man muss angesichts der zwingen-
den Rücksichten, die die politische Situation und das Interesse der Arbeiter-
klasse in den genannten drei Ländern, zu denen sich nach der Darstellung der
Genossin Holst noch Holland gesellt, dem Diktum der gewiss nicht im Geruche
des Opportunismus stehenden Genossin durchaus beistimmen. Es soll hier
nicht ausführlich auf die Verhältnisse der in Rede stehenden Länder, soweit
sie zur Zurückstellung der Forderung des Frauenstimmrechts führten, einge-
gangen werden. Sie sind für Österreich und Belgien durch Adelheid Popp und
Vandervelde in den Sozialistischen Monatsheften, für Holland und Schweden
durch Henriette Roland-Holst und Hjalmar Branting in der Gleichheit des
näheren geschildert. Überall haben Zweckmässigkeitsgründe zu dem Verzicht
auf das Frauenstimmrecht geführt. Und überall haben die Genossinnen das
Zwingende der Situation anerkannt und von der Geltendmachung ihrer Forde-
rung abgesehen.

In Österreich hat man dies von vornherein getan, um nicht das Wahlrecht
für die Männer zu gefährden. Nicht erst im Parlament, veranlasst durch
taktische Rücksichten auf bürgerliche Fraktionen und deren Politik, sondern
schon auf ihrem Parteitage haben unsere österreichischen Genossen aus Gründen
der Opportunität die Forderung des Frauenstimmrechtes fallen gelassen und
– zum erstenmal auf einem österreichischen Parteitag – eine Resolution
beschlossen, die nicht aussprach, dass das Wahlrecht für alle Staatsbürger ohne
Unterschied des Geschlechts gefordert werde. Die weiblichen Parteitags-
delegierten aber erklärten in deutscher und tschechischer Sprache:

»dass sie den grossen Augenblick begreifen und den Kampf ums allgemeine Wahl-
recht nicht beeinträchtigen wollen durch das Verlangen, das Frauenwahlrecht in
diesem Augenblick besonders zu betonen.«³)

In Belgien hatte die Drohung klerikaler Abgeordneter, gegebenenfalls für
das Frauenstimmrecht einzutreten, um damit die klerikale Herrschaft dauernd
zu sichern, Liberale und Radikale zum einmütigen Widerspruch gegen die von
den Sozialisten erhobene Forderung bestimmt. Angesichts dessen meint nun
Vandervelde:

»Dürfen wir unter diesen Umständen in der Agitation für die gleichzeitige Gewäh-
rung des Wahlrechtes an Männer und Frauen fortfahren, auf die Gefahr hin, die
erste dieser Reformen zum Scheitern zu bringen, ohne die Aussichten auf Erfolg
für die zweite zu verbessern? Der Verband der sozialistischen Frauen musste sich
darüber klar werden. Trotz des Widerspruchs einer energischen Minderheit sprach
er sich für die Vertagung der Frage des Frauenstimmrechts bis nach Lösung
der Frage des allgemeinen Stimmrechtes für die Männer aus.«4)

²) Vergl. Henriette Roland-Holst: Frauenwahlrecht und Sozialdemokratie in Holland
in der Gleichheit vom 13. Juni 1906.
³) Vergl. Adelheid Popp: Die österreichische Wahlreform und das Frauenwahlrecht im
vorigen Bande der Sozialistischen Monatshefte, pag. 304.
4) Vergl. Vandervelde, Ipc. cit., pag. 139.
JULIUS BRUHNS · DAS FRAUENSTIMMRECHT UND DIE SOZIALDEMOKRATIE

Nicht anders in Schweden, wo die Frage der Erweiterung des Wahlrechts
für die Arbeiter im Vordergrunde des politischen Lebens steht. Der vor-
jährige Parteitag der schwedischen Sozialdemokraten hatte es der Fraktion
überlassen, im Hinblick auf die gesamte parlamentarische Lage zu entscheiden,
ob sie auch das Frauenstimmrecht in ihren Antrag von 19065) aufnehmen
wolle oder nicht. Die Fraktion sah einstimmig von der Einbringung dieses
Antrages ab, da die konservative Partei anderenfalles eine eingehende Unter-
suchung über die Voraussetzungen des Frauenwahlrechts gefordert und durch-
gesetzt hätte, womit die Wahlreform entweder ganz zu Falle gebracht oder
doch auf Jahre verschleppt worden wäre. Und Genosse Branting berichtet
über die Stellung der schwedischen Genossinnen zu dieser Taktik der sozial-
demokratischen Fraktion folgendes:

»Die Genossinnen hatten im allgemeinen das bestimmte Gefühl dafür, dass die Ein-
führung des allgemeinen Wahlrechtes für die Männer, wie im übrigen Europa, nach
fast zwanzigjähriger Agitation und nach so energischen Vorstössen, wie es zum Bei-
spiel der dreitägige Demonstrationsstreik von 1902 war, eine doch anders reife
Frage für das Land ist, als die mehr prinzipiell-agitatorisch hervorgehobene Forde-
rung des Wahlrechtes für das weibliche Geschlecht. Die Arbeiterinnen, auch die
von starkem Klassenbewusstsein durchgedrungenen, haben es daher im grossen und
ganzen als die natürliche und gewissermassen berechtigte Reihenfolge betrachtet,
dass augenblicklich zuerst die Wahlrechtsfrage für das männliche Proletariat gelost
werde; jedenfalls wollten sie durchaus nicht, dass das Frauenstimmrecht als Vor-
wand einer neuen Verschleppung
der Wahlrechtsreform missbraucht
werde
6)

Wir sehen also, dass überall, wo die Parteigenossen schon in die Lage kamen,
die Frage konkret zu behandeln, die Probe auf das Exempel zu machen, sie
genötigt waren, ihre grundsätzlichen Forderungen zurückzustellen, wollten sie
nicht schweren Schaden für die gesamte Bewegung verursachen. Und ebenso
sehen wir – und das erscheint besonders erfreulich –, dass die Genossinnen
sich überall der Situation gewachsen zeigten und klug mit ihrer an sich so
notwendigen und so wichtigen Forderung zurückhielten.

In Deutschland sind wir in eine gleiche Lage bisher nicht gekommen.
Die politische Situation gestattet es uns vorläufig, zum Beispiel in Preussen
und Sachsen, in der Wahlrechtsbewegung das Wahlrecht ohne Unterschied
des Geschlechts zu fordern. Wir brauchen nicht zu fürchten, damit unsere
Aussichten auf Erlangung des Wahlrechts wenigstens für die Männer zu ver-
schlechtern – denn solche Aussichten bestehen für erste gar nicht. Wenn
es sich aber praktisch um eine Änderung etwa des preussischen Landtags-
wahlrechts handeln würde, und dann das Hineinbringen des Frauenstimmrechts
die in Aussicht stehende Wahlreform gefährden müsste: wäre es dann nicht
selbstverständlich, dass auch wir diese prinzipielle Forderung zurückzustellen,
selbstverständlich auch, dass die deutschen respektive preussischen Genossinnen,
dem Beispiele der Genossinnen im Auslande folgend, diese Zurückstellung be-
greifen und billigen? Genosse Kautsky führte vor kurzem in einem Artikel
der Leipziger Volkszeitung aus, dass die Praxis des Klassenkampfes uns nicht
den Grundsatz der politischen und ökonomischen Gleichstellung von Mann und
Weib in der Gegenwart stellenweise preisgeben hiesse, sondern ihn unter

5) Hierüber siehe Hjalmar Branting: Die liberale Episode im schwedischen Wahlrechtskampf
in diesem Bande der Sozialistischen Monatshefte, pag. 659 ff.
6) Vergl. Hjalmar Branting:Frauenstimmrecht und Sozialdemokratie in Schweden in der
Gleichheit
vom 11. Juli 1906.

JULIUS BRUHNS · DAS FRAUENSTIMMRECHT UND DIE SOZIALDEMOKRATIE
allen Umständen aufs kräftigste zu verfechten gebiete. Und er fügt
hinzu, dass die prinzipielle Politik sich auch in dieser Frage schliesslich als
die praktischste, die erfolgreichste Politik erweise. Wenn das unter allen
Umständen
richtig wäre, hätten die Parteigenossen in Österreich, Belgien,
Holland und Schweden schwere Fehler begangen mit ihrer Taktik der Zurück-
stellung des Frauenstimmrechts im Wahlrechtskampfe. Die Zukunft wird
zeigen, ob sie damit nicht vielmehr grosse Vorteile für die gesamte Arbeiter-
bewegung ihrer Länder, nicht zum geringsten auch für die Frauenbewegung,
geschaffen haben. Wird das der Fall sein – woran ich nicht zweifle –, dann
kann die deutsche Sozialdemokratie, dann können auch die deutschen Ge-
nossinnen von diesen Erfahrungen profitieren und sich der Situation in den
kommenden Wahlrechtskämpfen in Preussen und anderen norddeutschen Bundes-
staaten ganz gewachsen zeigen.



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