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Neue Biographie: Wie Axel Springer beinahe seine „Welt“ verlor

Neue Biographie :
Wie Axel Springer beinahe seine „Welt“ verlor

Von Hans-Peter Schwarz
Lesezeit: 12 Min.
Axel Cäsar Springer (1912 - 1985)
Anfang der siebziger Jahre stand der Springer-Verlag auf der Kippe: Die Verluste der „Welt“ wurden immer größer. Axel Springer war kurz davor, die Zeitung an die F.A.Z. zu verkaufen. Auszüge aus der neuen Springer-Biographie des Historikers Hans-Peter Schwarz, die an diesem Donnerstag erscheint.

Im Winter 1972/73 sinnierte Axel Springer über die verlagspolitischen Konsequenzen der auch von ihm verlorenen Bundestagswahl. Die Instrumentalisierung der „Welt“ zum Kampfblatt hatte sich als Schuss in den Ofen erwiesen. Die regionale Ausdehnung der Zeitung war zum Stillstand gekommen, doch die Kosten stiegen. Inzwischen war das Blatt hoch defizitär.

Somit musste etwas Einschneidendes geschehen, um das „Flaggschiff“ wieder in Fahrt zu bringen. Springer entschied sich dafür, den Kampfcharakter der „Welt“ etwas abzuschwächen und zugleich einen versierten Blattmacher mit der Umgestaltung des Konzepts zu beauftragen. Das Kunststück sollte Wolf Schneider zustande bringen. Er kam von Henri Nannens „Stern“ und hatte sich bei Springer energisch, aber erfolglos bemüht, aus der Monatszeitschrift „Dialog“ eine Art Gegen-„Spiegel“ zu machen. „Dialog“ kam aber nicht aus den roten Zahlen heraus („jährlicher Verlust von 10.000.000 Mark“), so dass Springer entschieden hatte, die missglückte Neugründung Knall auf Fall einzustellen.

Schneider wurde im September 1973 Chefredakteur der „Welt“, um das Blatt aufzumöbeln und zugleich das Image zu verbessern. Wie sich zeigte, hielt Springers Sympathie für den neuen Mann nicht lange an. Schon Anfang 1974 schrieb er ihm: „Als wir die Umgestaltung der ,Welt' vornahmen, befürchtete ich zugleich die Entpolitisierung. Jetzt scheint mir ein Höhepunkt der Fahrlässigkeit gekommen zu sein.“ Die roten Zahlen wurden immer schlimmer. Ende Juli 1974 schätzte Verlagsleiter Adler den für 1974 zu erwartenden Verlust auf 40 Millionen DM. Selbst für ein reiches Haus wie Springers Zeitungsimperium war dies ein schlimmer Aderlass.

1925: Der Teenager im zeitgemäßen Matrosenanzug
1925: Der Teenager im zeitgemäßen MatrosenanzugPropyläen/Ullstein
Umzug der „Welt“ nach Bonn

Auch Peter Tamm wurde nun mit Vorwürfen überhäuft. „Ich mache mir Sorgen um die Zukunft meines Hauses“, bekam er von Springer zu hören, der wieder einmal in der Stimmung war, sich über alles und jeden zu beklagen. Beim Blick auf die Fehlinvestition in „Dialog“ schimpfte er: „Ich möchte heraus aus einer Situation, in der ich nur zu entscheiden habe zwischen 50 Millionen Investition, 5 Millionen jährlichem Verlust oder Einstellung.“

Aus der Tatsache, dass damals auch Verhandlungen über Teilverkäufe des Verlages liefen, lässt sich das Ausmaß der seinerzeitigen Resignation Springers ermessen. Nun tauchte auch der Plan auf, die Redaktion der „Welt“ von Hamburg nach Bonn zu verlegen. Herbert Kremp schickte Springer einen enthusiastischen Brief, in dem er die Vorzüge des Standorts Bonn herausstrich. Die „Welt“ würde so zur Hauptstadt-Tageszeitung. Und der politische Einfluss der „Welt“ würde wachsen, auch bei den Führungskräften und Zielgruppen des Landes. Widerstrebend gab der Verleger schließlich seine Zustimmung zu den Umzugsplänen.

Als ihn Wolf Schneider bat, der Redaktion persönlich den Umzug bekanntzugeben (die Herren wären natürlich viel lieber bei ihren Segelbooten, Häusern, Familien oder Gespielinnen in Hamburg geblieben), diktierte Springer einen schwermütigen Brief, den er aber nicht absandte, sondern nur Peter Tamm und Claus Dieter Nagel vertraulich zur Kenntnis gab: „Die Hauptredaktion einer großen Zeitung von uns nach Bonn zu verlegen bedeutet für mich in mancherlei Hinsicht den Abschied von der Lust an der Sache.“

„Charmeur mit wunder Seele“

Nachdem sich Springer für den Bonn-Umzug entschieden hatte, war der Verbleib Wolf Schneiders als Chefredakteur nur noch eine Frage der Zeit. Im November 1974 wurde er ziemlich unzeremoniell abgemeiert. Nach dem Gastspiel im Hause Springer ging er zu Gruner + Jahr zurück, machte als Verlagsleiter und Medienexperte weiter Karriere und wusste über seine Jahre bei Springer, vor allem aber über den Verleger, nur noch Kritisches zu berichten: „Gegen den Extremismus von rechts hatte er, um das Mindeste zu sagen, wenig einzuwenden. Als Chefredakteur der ,Welt' 1973/74 bekam ich jedes Mal Ärger, wenn ich mich über die damals amtierenden mehr oder weniger faschistischen Regime kritisch geäußert hatte. Aus dem politischen Missionar mit noch akzeptablen Ansichten war in den siebziger Jahren ein Verblendeter geworden. Er neigte zur Melancholie und scheute Entscheidungen. Er war religiös bis über jene Grenzen hinaus, wo selbstquälerischer Mystizismus beginnt. Woran werden sich die, die ihn kannten, erinnern? Viele wohl als an einen Charmeur mit wunder Seele, der zuviel Macht anhäufte und die Tugenden seiner Gründerjahre zu früh verlor.“

Im Herbst 1974, als das Zwischenspiel mit Schneider zu Ende ging, ließ Springer erstmals die Idee prüfen, die „Welt“ an die erfolgreichere Frankfurter Allgemeine zu verkaufen. Das erste, streng vertrauliche Gespräch wurde am 22. Oktober 1974 in Berlin geführt. Das Haus Springer wurde durch Peter Tamm, Ernst Cramer und den Verlagsleiter der „Welt“, Ernst-Dietrich Adler, vertreten, der Verlag der F.A.Z. durch Hans-Wolfgang Pfeifer und Reinhard Mundhenke. Wie in solchen Fällen üblich, tastete man sich anfangs beim Gespräch über eine Kooperation aneinander heran, begann aber dann bereits ernsthaft, über ein „Zusammengehen“ zu sprechen.

„Die Welt“ als F.A.Z.-Untertitel

Dass sich Springer bereits damals für das Aufgehen der „Welt“ in der F.A.Z. entschieden hatte, geht aus einer verlagsinternen Notiz für die Vorbereitung des kurz darauf folgenden zweiten Gesprächs klar hervor: „Verhandlungsziele AS: kein sofortiger, sondern stufenweiser Verkauf. ,Welt' soll noch zwei bis drei Jahre als selbständiger Titel erscheinen (Übergangsphase). Nach außen: Kooperation, kein Verkauf. Nach der Übergangsphase muß Titel ,Die Welt' als F.A.Z.-Untertitel übernommen werden. Übernahme von AS in die Gesellschafterversammlung der FAZ GmbH. Übernahme eines Redaktionsmitgliedes der ,Welt' in das F.A.Z.-Herausgebergremium. Eventuell Abgabe des Buchverlages Ullstein/Propyläen.“ Angedacht war hier auch der „Abschluß eines Geheimvertrages mit F.A.Z. des Inhalts, daß ASV AG nach Neuordnung der ,Welt' und Umzug nach Bonn die ,Welt'-Kosten drastisch herunterfährt und das Blatt Ende 1976/77 gegen Zahlung eines noch festzulegenden Betrags durch F.A.Z. einstellt“. Dazu wurde vermerkt: „Außerordentlich problematisch für ASV AG im Hinblick auf ,Welt'-Mitarbeiter, Betriebsrat.“

Bereits bei der zweiten Unterredung ließ Ernst Cramer die Katze aus dem Sack. Es sei die Meinung von Herrn Axel Springer, „der deutsche Markt werde auf lange Sicht vermutlich nur ein quality paper tragen. Der freiheitlich konservative Gedanke würde möglicherweise besser von einem wirtschaftlich starken als von zwei finanziell schwachen Blättern vertreten, die in einem scharfen, möglicherweise sogar in einem Verdrängungswettbewerb miteinander stünden.“ Auch die F.A.Z.-Vertreter signalisierten prinzipielle Bereitschaft für ein „Zusammengehen“. Im Laufe dieser Unterredung gingen beide Seiten bereits stark ins komplizierte Detail.

Geschäftsführer der F.A.Z. plädierten für eine „Ruck-Zuck-Lösung“

Interessant war die Diskussion über die vier „Essentials“ des Springer-Verlags. Die Auffassungen der F.A.Z.-Gremien - so erbrachte dieser Teil des Gesprächs - und die Springers würden in diesem Punkt wohl nicht voll zur Deckung kommen. In der Ablehnung des politischen Totalitarismus und in der Verteidigung der sozialen Marktwirtschaft sahen die Verhandler der F.A.Z. kein Problem. Sie gaben aber zu bedenken, dass die Wiederherstellung der deutschen Einheit in der F.A.Z. „zwar ein Gesichtspunkt, aber kein Glaubenssatz“ sei. Das Gleiche gelte für „das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen“ und für die „Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes“. Das Verhältnis der Frankfurter Zeitung/F.A.Z. zum Judentum sei seit den Gründerjahren des Blattes ungebrochen, „so daß es für die Zeitung hier eines Glaubenssatzes nicht bedarf“. Bei der fünf Tage später stattfindenden dritten Unterredung sprachen sich die Geschäftsführer der F.A.Z. für eine „Ruck-Zuck-Lösung“ aus. Jetzt ging es ans Eingemachte: die Bewertung der „Welt“ und ihrer Verluste, die Probleme eines Sozialplans und eines möglichen Streiks, die vorzeitige Vertragsauflösung mit den Druckereien sowie die kartellrechtlichen Risiken. Behutsam tastete man sich auch an den Kaufpreis heran.

Mit großer Reserve äußerten sich F.A.Z.-Manager zur Frage einer Aufnahme des Verlegers Axel Springer in das oberste Gremium, die Gesellschafterversammlung der F.A.Z. GmbH. Dringend bat Peter Tamm darum, doch unbedingt die Vertraulichkeit zu wahren und noch keine Gespräche mit den F.A.Z.-Herausgebern zu führen. Eine Woche nach diesem Gespräch wurde Chefredakteur Wolf Schneider von Springer abgesetzt - auch dies ein Signal an die F.A.Z., dass rasche Entscheidungen bevorstünden. Zu Beginn der vierten Unterredung am 12. Dezember stellte Tamm fest, das Haus befinde sich in zunehmendem Zugzwang und müsse bis Ende 1974 Klarheit haben.

Die Springer-Herren rückten nun mit ihren Preisvorstellungen heraus: Die Aufwendungen der ASV AG würden sich bei einem Verkauf auf 60 Millionen belaufen. Ein Angebot der FAZ unter dieser Summe wäre ein Verlust. Hans-Wolfgang Pfeifer stellte dazu fest: „In dieser Größenordnung können wir uns das schlichtweg nicht leisten“ und bot 15 Millionen bei Übernahme der „Welt“. Damit befand man sich erst einmal in einer Sackgasse. Im Spätherbst 1974 scheiterten die Verhandlungen also in erster Linie am Kaufpreis.

Springer rügt die Chefredaktion

Springer entschied sich nun zur Einsetzung einer neuen Redaktionsspitze. Seitdem Claus Jacobi, einstmals Chefredakteur des „Spiegel“, definitiv zu Springer gestoßen war, betrachtete der Verleger ihn als eines der besten Pferde im Stall. Er entschied sich nun dafür, Kremp und Jacobi als Chefredakteure einzusetzen, die das Blatt behutsam modernisieren sollten. Jacobi drängte bei dieser Gelegenheit darauf, Springers Ältesten als Mitglied der Chefredaktion unter seine Fittiche zu nehmen. Axel Springer bequemte sich seinerseits, zu einem Empfang der „Welt“ nach Bonn zu reisen, hielt dort aber eine befremdliche Ansprache. Die versammelte Prominenz bekam vor allem von ihm zu hören, wie bedauerlich es sei, dass „Die Welt“ nicht in der „wahren deutschen Hauptstadt“ Berlin ihren Sitz nehmen könne. Bonn sei nur „das derzeitige politische Zentrum des Geschehens in unserem Lande“.

Allem Anschein nach hatte der Bonn-Umzug die emotionale Beziehung Springers zur „Welt“ stark abgekühlt. Dazu kamen die weiterhin steigenden Verluste. Während des gesamten Jahres 1975 gingen regelmäßig rügende Briefe bei der Chefredaktion ein - deutliches Indiz dafür, dass sich wieder etwas zusammenbraute. Die F.A.Z. hatte „Die Welt“ eindeutig überholt. Im dritten Quartal 1975 lag ihr Abonnentenstamm bei 240 747, derjenige der "Welt" bei 174 467. Im September 1975 meldete sich zu Springers Erleichterung die Frankfurter Allgemeine wieder. Die Entscheidung zur Wiederaufnahme der Verkaufsverhandlungen blieb aber weiterhin in der Schwebe.

Der Verlagsleiter kämpft für den Bestand seiner Zeitung

Erst als Ende 1975 ein besonders beunruhigender Jahresabschluss der „Welt“-Gruppe vorlag, entschloss sich der Verleger, keine halben Maßnahmen mehr zuzulassen. Am 24. Januar 1976 stand das Thema Verkauf an die F.A.Z. auf der Tagesordnung des leitenden Managements im Hamburger Verlagshaus. Der Verlagsleiter Ernst-Dietrich Adler, entschlossen, bis zur letzten Patrone für den Bestand seiner Zeitung zu kämpfen, begann die entscheidende Besprechung im Büro von Peter Tamm mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Verleger und Vorstand „Die Welt“ weiterführen würden. Tamms Antwort war kurz und knapp: „Unter keinen.“

Der Umzug nach Bonn habe keine Auflagesteigerungen gebracht. Die Sparprogramme würden nichts ändern. Politische Erwägungen könne man vergessen. Selbst bei einem Wahlsieg von CDU/CSU im Oktober 1976 werde sich die neue Regierung eher auf die F.A.Z. stützen und nicht auf „das Springer-Blatt ,Welt'“. Die Verluste seien für die ASV AG untragbar und gefährdeten das Gesamthaus. Der Verleger habe entschieden, dass es jetzt nur noch um den Ablauf der Maßnahmen gehe. Die Chefredaktion war immer noch nicht eingeweiht. Springer ließ Kremp nur vage und düster wissen: „Ich möchte nicht unter den Trümmern meines Hauses begraben werden.“

Das Verkaufsprojekt gewann jetzt ein atemberaubendes Tempo. Am 28. Januar billigte Springer das elfseitige Verkaufskonzept. Der Kaufpreis konnte gegenüber den Verhandlungen von Ende 1974 geringfügig verbessert werden. Der Vertragsentwurf sah jetzt den Betrag von 18.416.000 DM vor, zuzüglich Mehrwertsteuer, zahlbar bei Unterzeichnung. Als Einstellungstermin für „Die Welt“ wurde ein Zeitraum von sechs Tagen nach Vertragsunterzeichnung vorgesehen, frühestens Mitte März 1976.

Der Brief an die Mitarbeiter lag schon bereit

Doch beim Blick auf die weiterhin gebotene Geheimhaltung drängte jetzt alles zu höchster Eile. Inzwischen waren die sechs Herausgeber der F.A.Z. eingeweiht. In dem Springer vorgelegten und von ihm abgezeichneten Drehbuch wurde realistisch darauf verwiesen, dass die F.A.Z. bei einer Indiskretion keinerlei Risiko laufen würde: „Der Nachteil läge allein bei der 'Welt'. Hier würden innerhalb kurzer Zeit Auflösungserscheinungen auftreten, so dass sie kaum mehr gehalten werden kann.“ Zu erwarten seien im Falle des Verkaufs auch schmerzhafte Einmalkosten: rund 43 Millionen wären für Abfindungen und anderes aufzubringen und weitere sieben Millionen für Schadensersatzleistungen. Rechnete man den von der F.A.Z. aufzubringenden Kaufpreis dagegen, so sei wohl ein Verlust von 31 Millionen zu erwarten. Doch Springer war entschlossen, das alles in Kauf zu nehmen. Bereits am 30. Januar trafen sich die Verhandlungsleiter von „Welt“ und F.A.Z. im „Frankfurter Hof“. Die Emissäre Springers verhandelten auf Grundlage des detaillierten Memos, auf das Springer zwei Tage zuvor seine Paraphe AS gesetzt hatte. Bei einer Ostindischen Schwalbennestsuppe, einem Filetsteak Gabestou und einem Soufflé Grand Marnier wurde ein Verkaufsvorhaben fast unterschriftsreif gemacht, das die Zeitungslandschaft der überregionalen Tagespresse bis in die Grundfesten erschüttert hätte, wäre es vollzogen worden. Für den 6. Februar war die Vertragsunterzeichnung vorgesehen. Die Bombe würde am 9. Februar platzen. Erst dann sollten die Gespräche mit den Redaktionen und den Betriebsräten beginnen.

Auch ein persönlicher Brief Springers an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Welt“ lag bereits zur Verteilung bereit. Der entscheidende Satz lautete: „Mit ihrer Ausgabe vom Dienstag, dem 10. Februar 1976, hört ,Die Welt' auf, eine selbständige Tageszeitung zu sein. Am Mittwoch geht sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf, die fortan auch den Untertitel ,Die Welt' führen wird.“ Schuld seien allein die seit zehn Jahren anhaltenden roten Zahlen der „Welt“: „1973 verlor die ,Welt' bei einem Umsatz von 84 Millionen Mark 17 Millionen; 1974 waren es bei 78 Millionen Mark Umsatz 27 Millionen; und 1975 erreichte der Verlust bei 73 Millionen Mark Umsatz die Rekordhöhe von 29 Millionen.“ Von einer Kapitulation könne und dürfe man nicht reden. Der Vorgang sei vielmehr eine freie Vereinbarung, „eine Vernunftlösung“. Die tieferen Gründe seien in dem Standortnachteil der Welt zu suchen, „manche nennen es den Geburtsfehler der ,Welt'“. Von der britischen Besatzungsmacht gegründet, sei die „Welt“ anfangs als „norddeutsche Zeitung“ gegründet worden. Die Konzeption einer „Hauptstadtzeitung“ hätte sich nicht verwirklichen lassen, „als für Berlin in immer weitere Ferne rückte, was seine natürliche Funktion ist: deutsche Hauptstadt“.

Kurz vor dem Abschluss ändert Springer die Meinung

Die Operation lief an. Gemäß dem Ablaufplan sollten Peter Tamm und Ernst Cramer zur Vertragsunterzeichnung nach Frankfurt fliegen. Der fertige Vertrag, auf dem nur noch die Unterschrift fehlte, trug das Datum des 6. Februar 1976. Doch am Abend zuvor warf Springer das Steuer abrupt herum. Ernst Cramer gegenüber begründete er seinen Sinneswandel mit den Worten: „Wenn wir nicht mehr haben, bin ich nichts weiter als der ,Bild'-Verleger; alles andere zählt nicht.“

Offenbar dämmerte ihm erst kurz vor dem Abgrund, auf welchen katastrophalen Plan er sich eingelassen hatte. Seine Rolle als politischer Verleger hatte 1953 mit dem Kauf der „Welt“ begonnen. Mit dem spektakulären Verkauf wäre sie sichtlich zu Ende gewesen. Seine zahlreichen Gegner hätten ein Triumphgeheul angestimmt. Zugleich hätte der „Ruck-Zuck-Verkauf“ durch den bisher auf seine Fürsorglichkeit so stolzen Verleger beim mittleren Management, bei den Arbeitern und bei den Angestellten der „Springer-Familie“ unheilbare Wunden hinterlassen. So flogen Tamm und Cramer wie vereinbart nach Frankfurt, doch statt den Vertrag zu unterzeichnen, mussten sie mitteilen, dass die ganze Aktion abgeblasen sei.

Entschuldigend schrieb Springer selbst an Professor Ernst Schneider, den Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung der F.A.Z. GmbH: „Die politischen und geschäftlichen Gefahren - mit möglicherweise katastrophalen Folgen -, die sich plötzlich unabwendbar auftaten, glaubten meine führenden Leute nicht in Kauf nehmen zu können. Ich mußte mich überzeugen lassen, daß eine Aussetzung des Vertragsabschlusses eine lebensnotwendige Sache war.“

Die Geheimhaltung funktionierte auf beiden Seiten

Erstaunlich bei diesen sich lange hinziehenden Verkaufskampagnen war und blieb der Umstand, dass sowohl im Hause Springer wie auch bei der F.A.Z. die Geheimhaltung funktionierte. Mehr als unspezifizierbare Gerüchte gelangte nicht an die Öffentlichkeit. Offenbar hatte Springer es bei der F.A.Z. mit Gentlemen zu tun. Eine gezielt gestreute Indiskretion über das ziemlich unglaubliche Vorhaben hätte das ohnehin in schwerer See stampfende Springer-Flaggschiff versenkt und der erfolgreichen Konkurrentin Nutzen gebracht.

Springer unternahm in der Folge nach wie vor periodische Anläufe, die „Welt“ durch unterschiedlichste Arten der Umgestaltung attraktiver zu machen, wechselte die Chefredakteure aus und akzeptierte seufzend die Defizite. Immerhin bewiesen die folgenden Jahre, dass der Verkauf tatsächlich nicht nötig gewesen wäre. Die Verluste konnten mitgeschleppt und durch die Erträge anderer Zeitungen ausgeglichen werden. Dass Springer aber einige Jahre lang ernsthaft erwog, die „Welt“ zu verkaufen oder ihr Erscheinen notfalls einzustellen, ist ein sicheres Indiz dafür, wie sehr er sich innerlich von seinen einstmals geliebten Zeitungen entfernt hatte.

Im entscheidenden Moment riss er sich zwar wieder am Riemen, doch Jahr für Jahr zog es ihn stärker fort vom Kommandostand des Mammutverlages: nach dem schönen Landsitz Schierensee, auf die Jacht im Mittelmeer, in die Schweiz, nach Israel und nach Patmos.