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Tollhausgemachte Ausschweifungen
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Tollhausgemachte Ausschweifungen

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Die letzte Station des Liederlichen: an der Brust verwundet im „Irrenhaus“.
Die letzte Station des Liederlichen: an der Brust verwundet im „Irrenhaus“. © Städelmuseum/Artothek

„Laster des Lebens“: Das Frankfurter Städel zeigt die Sittenbilder William Hogarths. Die 70 gezeigten Radierungen und Kupferstiche verweisen auf die frühe Sammlungstätigkeit Johann Friedrich Städels.

Abgesehen davon, dass der Mann knopfrunde Augen hat in einem sehr großen Kopf, können das Kugelrunde und das Erstaunen nicht davon ablenken, dass ein Freier in flagranti erwischt wurde. Denn eine Herrenhose ist in heikler Unordnung. Was für eine Ansicht des Peinlichen, welch eine Sekunde des Widrigen.

Einen solchen Anblick bot, nein, nicht ein Paparazzo, darauf fokussierte ein Radierer. Für William Hogarth war der Aufwand, einen Moment des Erwischtwerdens festzuhalten, Mitte des 18. Jahrhunderts, ungleich größer als 200 Jahre später. Und doch war der Kupferstecher Hogarth im England seiner Zeit so etwas wie ein Schnappschussartist vor der Zeit.

„Vorher“, heißt das Blatt, und zeigt eine junge Dame, die sich eines bedrängenden Mannes erwehrt. „Nachher“, heißt das zweite Blatt und zeigt ein Bett ebenso schwer mitgenommen wie die Kleidung. Zwischen „Vorher“ und „Nachher“ hat, jeweils im Hintergrund, ein Putto auf einem Bild eine Rakete abgebrannt. Mittlerweile ist auch ein Hündchen, soeben noch erhitzt springend, am Boden eingeschlafen. Das Tier als Symbol der Treue tut es neben dem Sinnspruch: „Jedes Tier ist nach dem Koitus traurig.“ Das ist ein Aristoteles-Zitat.

Vor allem aber bilden Mann und Frau, die beiden Protagonisten, zusammen eine Lage, die eine einzige Schieflage ist. Das Prekäre drängt sich jetzt auch dicht an dicht im Frankfurter Städel – in einer einmal mehr äußerst exquisiten Kabinettausstellung hat Annett Gerlach rund 70 Werke William Hogarths unter dem Titel „Laster des Lebens“ versammelt. Der Titel ist keine Übertreibung. Denn Hogarths Bilder versammeln etwa den perfiden Spaß an Tierquälereien, überhaupt die flackernde Lust an der Grausamkeit. Auch im Städel vorgeführt wird eine Jahrmarktszene, mit ihr eine wimmelnde Welt aus Seiltänzern und Trompetern, trommelnden Affen, aus Feuerschluckern, Quacksalbern und Taschendieben. Zum Sittenbild seiner Zeit gehörte die Unsittengeschichte einer Epoche, und schon deswegen staffierte er, so hat es Bertram Dornbusch einmal genannt, sein Personal mit dem „Niedertrachtenlook ungeschminkter Gemeinheit“ aus.

Hogarth war ein ungemeiner Könner. Deshalb steht den Korrupten die Bestechlichkeit in die Hände geschrieben oder dem Pfaffen die Geilheit in die Augenwinkel. Von 1697 bis 1764 lebend, musste der Junge seinen Vater, denn es war üblich, dass die ganze Familie mithaftete, ins berüchtigte Fleed-Gefängnis begleiten. Lange Jahre war der Jugendliche Silbergraveur, bevor sich 1720 ein Hogarth als Kupferstecher und Maler selbstständig machte (im Graphischen Kabinett des Städel geht es nicht um Hogarth, den Hofmaler).

Die 70 gezeigten Radierungen und Kupferstiche verweisen auf die frühe Sammlungstätigkeit Johann Friedrich Städels und somit darauf, dass der Bürger Städel in seinen vier Wänden am Frankfurter Rossmarkt Großstadtansichten einlagerte, mit denen die Kunst Neuland betrat. Dieses Neuland war die Kehrseite Londons, waren Gosse und Kirmes, Kaschemme, Bordell oder Armenhaus. Bei Hogarth wurde die Kehrseite zur wesentlichen Ansicht der boomenden Metropole.

Doch wie? „Mein Bild war meine Bühne und Männer und Frauen meine Schauspieler, die durch ihr Handeln und ihre Mimik eine stumme Vorstellung geben sollten.“ Der Hinweis Hogarths auf seine dramatische Radierungskunst hat dazu geführt, in ihr eine „moralische Schaubühne“ zu sehen.
Das ist hochinteressant, denn einige Jahrzehnte, bevor die Schaubühne selbst, das Theater, als moralische Anstalt entdeckt wurde, sollte ja das Zerrbild abtreten von den Brettern, die fortan eine sittliche Welt bedeuten wollten. Sicher, auch das Hogarth-Personal, agiert außerordentlich theatralisch, rollt mit den Augen, wirft die Hände in die Luft. Das Publikum der Hogarth’schen Bühnenstücke wohnt einem Stationendrama aus Ehebruch, Geschlechtskrankheit, Mord oder Selbstmord bei, wie es vor allem in den drei Serien „Der Weg einer Dirne“ (von 1732), „Der Weg eines Liederlichen“ (von 1735) sowie „Heirat nach der Mode“ (von 1745) geschieht.

Für die Dirne beginnt mit ihrer Ankunft in London ein Abstieg, der nicht mehr abreißt. Und worum es geht, zeigte der Bühnenkünstler nicht nur in den Haupthandlungen, so auch in den zahlreichen Nebenhandlungen. Wenn die Katze ihr Hinterteil hochreckt. Wenn der Magd die Geschlechtskrankheit bereits die Nase zerstört hat. Noch auf der letzten Station der Dirne, und das ist zwangsläufig ihr Begräbnis, ist der Handschuhspanner eine unverhohlen sexuelle Anspielung.

Die Sitten in den Bildsatiren sind tollhausgemacht. Georg Christoph Lichtenberg, das bissige Genie aus Göttingen, als Geistesarbeiter ein Allrounder, widmete von 1794 an den Hogarth’schen Kupferstichen seine „Ausführlichen Erklärungen“. So schrieb er zu „Der Weg des Liederlichen“: „Der eigentliche Rake (männlichen Geschlechts, versteht sich) trinkt, spielt, hurt“ – die Aufzählung, die Lichtenberg abschnurren ließ, war nicht aus der Luft gegriffen; man bekommt den liederlichen Katechismus Bild für Bild auch im Städel zu sehen. Lichtenberg, um auch das zu sagen, ließ sich von Hogarths Kunst umfassend animieren, sah in dem „Vater des jungen Helden des Stücks“ nicht nur einen „alten und reichen Geizhals“, sondern auch einen „stinkenden“.

Mag sein, dass mancher Betrachter die Nase über die Sittengeschichten Hogarths gerümpft hat. Tatsächlich sprechen die mehrere Sinnenorgane zugleich ansprechenden Darstellungen für deren außerordentlichen Rang. Nein, man sieht nicht nur aufgeregte Gesichter, die Schwarzweißkunst Hogarths führt tatsächlich erhitzte Gesichter vor, sie zeigt nicht nur das von Pocken entstellte Antlitz, errötete Gesichtszüge.

Der Erbe beginnt seine Karriere als Liederlicher durch einen Betrug an der schwangeren Braut. Zugleich ist der Heuchler ein betrogener Betrüger, an dessen Erbe sich ein Buchhalter schadlos hält. So sah das Publikum mit den Bildern Hogarths gewiss stets tiefer, das abgrundtief Verlogene der Hochstapler. Aber dass es ein Publikum war, an dessen Sittlichkeit Hogarth geglaubt hätte, lässt sich kaum behaupten, denn sonst hätte er es in seinen Porträts nicht so ätzend gezeigt. „Das lachende Publikum“, ein Blatt von 1733, stellt eine ziemlich nichtswürdige Versammlung aus, und wenn er zehn Jahre später auf dem Subskriptionsblatt „Charaktere und Karikaturen“ die Unterschiede deutlich machte, dann ging es ihm nicht nur um ein didaktisches Programm. Seine Charakterkunst betonte er mit subtilen Hinweisen auf Vorbilder bei Leonardo, Carracci und Rafael.

Die artistischen Fähigkeiten Hogarths waren bestechend, grandios seine Innenraumbilder mit gleich mehrfach gestaffelten Ausblicken auf die städtische Szenerie Londons, als spiegele sich in den lebhaften Turbulenzen das lüsterne Treiben im Salon (es pflanzt sich halt fort). Dass er dem Zeitgeist auch handfest zusah, zeigen seine Radierungen, mit denen er etwa den Siebenjährigen Krieg satirisch, das heißt ablehnend kommentierte. Hogarth stellte den „Stimmenfang“ als Methode der Bestechung dar, den „Triumphzug des Abgeordneten“ als Prozession der Fehltrittbrettfahrer. Auch hier erwischt Hogarth den Menschen, während er eine richtig schlechte Figur macht, in flagranti.

Hogarth beteiligte sich an Kampagnen, etwa mit seinem Blatt „Gin Lane“ und dem darin zusammengedrängten menschlichen Desaster an einer Initiative Henry Fieldings, des Schriftstellers, gegen den beängstigenden Gin-Konsum. Bier dagegen, das Blatt war das Gegenstück, wurde als gesund beschrieben.
Hogarth war dermaßen erfolgreich, dass Raubradierer seine Blätter kopierten. Der Erfolgreiche war einflussreich genug, um 1735 im Parlament den „Hogarth Act“ zu erwirken, so etwas wie ein Copyrightgesetz. Umso erfolgreicher setzte er mit seinen Kupferstichserien eine wahrhaftig ätzende Kulturgeschichte seiner Zeit fort. Der Realitätssinn der Epoche, wir sprechen vom englischen Rokoko, war überhaupt radikal. So schrieb John Gay seine „Bettleroper“ – worauf Hogarth, während er die italienische Oper verspottete, versteckt-marktschreierisch hinwies. Henry Fielding, Hogarth verbunden, schrieb die Gangsterbiografie „Jonathan Wild, der Große“, und sein Bruder John, ein Kriminalrichter, erfand den Steckbrief. Laster und Unsitten erlebten die Verfolgung durch die Künste.

Wenn Hogarth 1753 die „Analyse der Schönheit“ radierte, zeigt dass, dass dem Hässlichen und Gemeinen das Feld nicht vollständig überlassen werden sollte. Der Traktat, in der Ausstellung unter Glas, war bereits Johann Friedrich Städel sehr wichtig, beschäftigte sich doch die Abhandlung lustvoll mit einer perfekten Linienführung, die, nicht zu strack, nicht zu überspannt sein durfte, eben so, dass sie dem Auge Wonne bereite.

Eine gesittete Linie im Grunde. Artig zeigt den Artisten auch das erste Blatt, auf das der Besucher zuläuft, um zu sehen, wie Hogarth sich selbst sah, ein Jahr vor seinem Tod: „die komische Muse malend“. Das Blatt im Städel, das ist nicht ganz unwichtig, zeigt den siebenten Zustand von sieben, mit der letzten Version ein Gesicht, aus dem das ursprüngliche Lächeln verschwunden ist. Die Miene ist eine ernste geworden, und der komischen Maske sind Satyr-Hörner aufgesetzt worden. Es ist keine freundlich-geheuchelte Begrüßung, mit der es durch die Ausstellung geht, sondern eine listige.

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