Die Geschichte der Synagoge
Eine Führung der Dienemann-/ Formstecher-Gesellschaft widmet sich der ehemaligen Synagoge, die vor 100 Jahren eingeweiht wurde. Stilistisch ist die Synagoge geprägt von der griechisch-römischen Antike.
Von János Erkens
Der Platz an der Sonne wurde zu einem schrecklichen Ort: Am 10 November 1938 fielen Sturmabteilungen (SA) der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in die damalige Synagoge in der Goethestraße ein, zerschlugen die Fenster, warfen Bücher auf die Straße und legten schließlich einen Brand, den die Feuerwehr löschte, bevor die Flammen auf die angrenzenden Häuser übergreifen konnten. In der Pogromnacht endeten die Hoffnungen der jüdischen Gemeinde Offenbachs, in ihrer damals nicht einmal zwanzig Jahre alten Synagoge „einen Platz an der Sonne“ gefunden zu haben, wie der damalige Vorsitzende der Gemeinde Max Goldtschmidt zuversichtlich formuliert hatte.
Als die Synagoge 1916 eingeweiht wurde, war die furchtbare Zukunft, die auf die europäischen Juden zukommen würde, noch nicht so deutlich absehbar, betont Anton Jakob Weinberger, Vorsitzender der Max-Dienemann- / Salomon-Formstecher-Gesellschaft, die sich darum kümmert, dass das kulturelle und geistige Erbe der jüdischen Gemeinde Offenbachs nicht in Vergessenheit gerät. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Synagogen-Einweihung hat die Dienemann-/ Formstecher-Gesellschaft am Sonntag zu einer Führung eingeladen, an der rund 50 Interessierte teilnahmen.
„Das Gebäude ist ein Beispiel für die letzte Hochblüte des Synagogenbaus in Deutschland“, erklärt Hans-Georg-Ruppel, ehemaliger Stadtarchivar und Ehrenmitglied der Dienemann- / Formstecher-Gesellschaft. Die damals mehr als 2000 Mitglieder starke jüdische Gemeinde wollte mit dem Neubau nicht nur mehr Platz für kulturelle Aktivitäten, Gebet und Thoraschule schaffen, für die es in der bis dato genutzte Synagoge in der Hintergasse zu eng geworden war. Die neue Synagoge an der Goethestraße sollte auch durch ihre Architektur das Selbstbild der jüdischen Gemeinde spiegeln.
Von Antike geprägt
Stilistisch ist die Synagoge darum geprägt von der griechisch-römischen Antike. Vor allem die dorischen Säulen am Eingangstor und im Atrium sowie die mächtige Hauptkuppel sind markante Merkmale dieses Stils, der als „gebauter deutscher Staatskonservatismus“ gilt, wie Ruppel erklärt: „Mitten im Ersten Weltkrieg wollte die jüdische Gemeinde Offenbachs damit signalisieren, dass sich sich als integraler Bestandteil des deutschen Staats und der deutschen Gesellschaft fühlte.“
Doch die Nationalsozialisten setzten der Kultur der jüdischen Gemeinde, die in Offenbach 1708 mit kaum hundert Mitgliedern begonnen hatte, ein jähes Ende. In den Jahren danach und bis zum Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Synagoge von der Kinobetreiberin Lina Ruttmann als Lichtspielhaus eingerichtet und genutzt.
Nach der Schoa wurde demRückerstattungsverband Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) das Gebäude zwar zugesprochen, doch weil es für die gerade einmal zwölfköpfige jüdische Gemeinde zu groß war, verkaufte diese es an die Stadt. „Die Auflage, darin nur kulturelle Veranstaltungen stattfinden zu lassen, wurde jedoch nicht durchgängig eingehalten“, erzählt Weinberger mit Verweis auf Kerberummel und Messen, die zwischenzeitlich dort stattfanden. Immerhin habe der Architekt des letzten Umbaus, Jean-Pierre Heim, dafür gesorgt, dass die hölzernen Wand- und Säulenverkleidungen wieder entfernt und das original-Interieur freigelegt wurde, das vom Ursprung des Gebäudes erzählt.
Eine weitere Auflage beim Verkauf der Synagoge an die Stadt bestand darin, ein Grundstück für eine neue Synagoge zur Verfügung zu stellen. Die neue Synagoge, die nur wenige Meter entfernt in der Kaiserstraße gebaut wurde, bietet den aktuell knapp 800 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Offenbachs zwar keinen so prominenten Platz an der Sonne, wie es das ehemalige Gotteshaus getan hat – aber hoffentlich einen sichereren.