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Rezension zu: Fußball unterm Hakenkreuz | H-Soz-Kult. Kommunikation und Fachinformation für die Geschichtswissenschaften | Geschichte im Netz | History in the web

: SK Rapid; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Grün-Weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938–1945). Wien 2011 : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, ISBN 978-3-901142-58-1 303 S. € 18,99

: „Mit Deutschem Sportgruss, Heil Hitler“. Der FC St. Pauli im Nationalsozialismus. Hamburg 2010 : Hoffmann und Campe, ISBN 978-3-455-31999-6 172 S. € 12,95

: Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur. Göttingen 2011 : Verlag Die Werkstatt, ISBN 978-3-89533-781-9 256 S. € 14,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markwart Herzog, Schwabenakademie Irsee

Dass innerhalb weniger Monate drei Monografien über Fußballclubs in der NS-Zeit erscheinen, macht deutlich, dass dieses Themenfeld zahlreiche Desiderate aufweist. Die neuen Werke behandeln im Deutschen Fußball-Bund (DFB) organisierte Traditionsvereine: Der FC St. Pauli gilt heute als politisch links stehender Kultclub, der FC Bayern München (FCB) als wirtschaftlich und sportlich erfolgreicher Club mit jüdischem Erbe und der Sportklub (SK) Rapid Wien als volkstümlich-bodenständiger Verein mit proletarischen Wurzeln.

Gregor Backes’ Studie über den FC St. Pauli entstand anlässlich des 100-jährigen Gründungsjubiläums. Sie resümiert den Weg des Fußballclubs im Kaiserreich und der Weimarer Republik und zeichnet ausführlich die NS-Zeit nach. Im Zentrum steht die Einstellung des Vereins zum NS-Regime und wie er sich nach 1933 verändert hat. Hervorgegangen aus einem deutsch-nationalen Turnverein, ging ein Teil der Fußballjugend bereits im Ersten Weltkrieg auf Distanz zur allgemeinen Begeisterung für Vaterland und Militarismus, Wehrsport und Exerzieren. Sie stand mehr auf moderne Unterhaltung, sportlichen Wettkampf, lockere Lebensgestaltung und modisches Auftreten. Politisch neutrale Sportkameradschaft wurde im Gesamtverein groß geschrieben. Die „Machtergreifung“ der NSDAP zog, abgesehen von Gleichschaltung und „Führerprinzip“, zunächst keine einschneidenden Änderungen nach sich. NS-Ideologie und Rassismus spielten im Vereinsleben keine Rolle. Ganz im Gegenteil traten zwei jüdische, im Jahr 1933 aus einem anderen Verein ausgeschlossene Rugbyspieler zum FC St. Pauli über, wo sie die Gründung einer Rugbyabteilung initiierten. NSDAP-Mitglieder waren vor 1937 im Vorstand unterrepräsentiert. Organisatorische und finanzielle Herausforderungen wie der Bau von Sportanlagen nahmen den Vorstand stark in Anspruch. Gleichwohl ließ sich der Club 1939 in die Propaganda für die Annexion des sudetendeutschen Sports einbinden und beteiligte sich 1940/41 an der „Metallspende des deutschen Volkes zum Geburtstag des Führers“. Nach Kriegsbeginn konzentrierte sich die Vereinsführung auf die immer schwieriger werdende Aufrechterhaltung des Spielbetriebs und den Kontakt zu Vereinskameraden, die zum Wehrdienst eingezogen waren.

Konflikte mit der NSDAP lassen sich vor allem in der Jugendabteilung des Fußballclubs nachweisen: Ebenso wie andere Sportclubs wehrte sich der FC St. Pauli gegen den Monopolanspruch der Hitlerjugend auf die Erziehung der Jugend. Aber in keiner der bisher publizierten Monografien über Fußballvereine in der NS-Zeit wurde dieser Dauerstreit um organisatorische und ideologische Fragen so detailreich dargestellt wie von Backes. Zusammenfassend bilanziert er, dass in der NS-Zeit der Sportbetrieb und die sich daraus ergebenden Interessen für das Vereinsleben maßgeblich waren. Bemerkenswert ist die hohe personelle Kontinuität der Funktionäre von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus hinaus in die Bundesrepublik Deutschland. Die Anpassung an nationalsozialistische Sprachregelungen erfolgte nur zögerlich. Generell gilt: „Anpassung und Widerspruch verliefen […] nicht in verschiedenen Zeitsegmenten, sondern parallel und situativ“ (S. 159). Backes wendet sich in seinem Resümee kritisch gegen Pauschalurteile, wie sie in der Sportgeschichte von Vertretern einer wissenschaftshistorisch zwar längst überholten, gleichwohl immer noch medienwirksam inszenierten Ideologiekritik verfochten werden: „Ein ideologiekritischer Ansatz, der die These eines sich aus politischer Nähe heraus selbständig radikalisierenden Vereinswesens vertritt, muss beim FC St. Pauli salopp formuliert daran scheitern, dass im Verein die Ideologen fehlten“ (S. 161).

Dietrich Schulze-Marmelings Monografie über den FC Bayern München behandelt, anders als der Titel suggeriert, nicht nur jüdische Mitglieder, sondern die gesamte Geschichte des Fußballclubs in der NS-Zeit. Die wesentlichen Daten über die Gründungsgeschichte und das jüdische Erbe des FCB sind indessen längst bekannt.1 Schulze-Marmeling hat sie in seinem neuen Buch populärwissenschaftlich aufbereitet und mit einigen neuen Details angereichert. Beheimatet in Münchner Künstler- und Studentenvierteln war der FCB bereits in seiner Frühzeit „ein extrem bunter Haufen“ (S. 39), der nicht nur Bayern, sondern auch zahlreiche Zugereiste aus dem In- und Ausland umfasste, die den Geist der Moderne, der Urbanität und Internationalität in den Verein einbrachten.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der jüdische Kaufmann und Clubpräsident Kurt Landauer die herausragende Persönlichkeit. Er professionalisierte den Club durch mutige Investitionen in hauptberufliche Trainer, Sportanlagen und Jugendarbeit und schuf damit die Basis für die deutsche Fußballmeisterschaft 1932. Ein weiteres Erfolgsrezept lag in einem doppelten Kulturtransfer: Landauer verpflichtete Trainer aus Großbritannien sowie jüdische Übungsleiter aus Österreich-Ungarn, die den Bayern das schottische Flach- und Kurzpassspiel sowie die technischen Raffinessen des „Donaufußballs“ beibrachten. Darüber hinaus zog Landauer im Konflikt mit dem DFB um die Einführung des Profifußballs an einem Strang mit Walther Bensemann, dem jüdischen Gründer der Fachzeitschrift „Der Kicker“.

Der FCB blieb lange auf Distanz zum nationalsozialistischen Regime. Erst 1943 stand ihm ein NSDAP-Mitglied vor. Methodisch arbeitet Schulze-Marmeling stark biografisch. Dabei geht er insbesondere auf Landauer und etwa ein Dutzend weiterer jüdischer Mitglieder, Spieler und Trainer ein. Mit Recht stellt der Verfasser fest, dass der FCB mit dieser überschaubaren Zahl jüdischer Mitglieder nicht als „Judenklub“ (S. 16) bezeichnet werden kann, ein Terminus, der dem FCB auf Internetforen und in den Feuilletons häufig beigelegt wird. Darüber hinaus liefert der Autor eine sich eher an üblichen Standards orientierende Vereinsgeschichte, die alles Mögliche behandelt, das teilweise nur locker mit dem Thema des Bandes verbunden und andernorts besser recherchiert nachzulesen ist. Dadurch zerfasert der Text in zahlreiche überflüssige Exkurse.

Wie die St.-Pauli-Studie ist auch die Monografie über den SK Rapid Wien eine Auftragsarbeit des betroffenen Vereins. Dem von Jakob Rosenberg und Georg Spitaler verfassten Werk ist neben zwei Vorworten eine das Buch interpretierende Einführung des Sporthistorikers Matthias Marschik vorgeschaltet. Den Anlass zu dieser Studie gab das Finale um die Großdeutsche Meisterschaft am 22. Juni 1941, in dem der SK Rapid den FC Schalke 04 nach 0:3-Rückstand mit 4:3 schlug. Es war jener denkwürdige Tag, an dem deutsche Truppen in die Sowjetunion einmarschierten. Der ungewöhnliche Spielverlauf führte auf beiden Seiten zu Legenden, Verschwörungstheorien und Opfernarrativen. Auf Seiten des FC Schalke wurden Gerüchte über politische Manipulationen längst widerlegt.2 Gleichwohl bestand weiterhin der Verdacht, dass mehrere Rapid-Spieler aufgrund des von der Reichsportführung angeblich unerwünschten Resultats durch Versetzungen an die Front bestraft worden seien. Diese These kann nunmehr ebenfalls ins Reich der Legenden verwiesen werden.

Ebenso wie beim FC Bayern gehörten jüdische Sportbegeisterte von der Gründungsphase an zur Vereinsfamilie. Das hinderte den „Vorstadtverein“ Rapid jedoch nicht, lange vor 1938 die Konkurrenz mit den „Cityclubs“ Austria und Hakoah mit xenophoben Ressentiments und antisemitischen Klischees auszutragen, wobei noch nicht einmal der jüdische Rapid-Funktionär Leo Schidrowitz vor dem Gebrauch antisemitischer Charakterisierungen zurückschreckte, um gegen konkurrierende Vereine zu polemisieren.

Dauerte es im „Altreich“ nach der „Machtergreifung“ teilweise jahrelang, bis „nichtarische“ Mitglieder die Sportvereine verlassen hatten, so wurden jüdische Vereine, Funktionäre und Spieler unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs vom Sportbetrieb ausgeschlossen. Der SK Rapid passte sich der neuen Zeit an und engagierte sich in Propagandaspielen gegen Mannschaften aus dem Altreich. Um ihre Vereine vor Übergriffen zu schützten oder Vorteile herauszuschlagen, bemühten sich die Funktionäre, NS-Größen als Ehrenmitglieder zu gewinnen oder selbst der NSDAP beizutreten. Mit mindestens 50 Prozent ist der Anteil jener Rapid-Funktionäre, die aus Überzeugung, Opportunismus oder Karrierismus eine NSDAP-Mitgliedschaft anstrebten oder erlangten, unverhältnismäßig hoch, wobei die meisten Vorstandsmitglieder bereits lange vor 1938 im Verein tätig waren. Auch nach 1945 weist der Vorstand eine außergewöhnlich hohe personelle Kontinuität mit den Funktionären der NS-Zeit auf. Ganz anders die damaligen aktiven Spieler: Unter ihnen dominierte politisches Desinteresse, kein einziger versuchte, in die NSDAP einzutreten.

Für die Rapid-Funktionäre waren gute Kontakte zur Stadtverwaltung Wiens eminent wichtig, denn auf diesem Weg konnten die 1938 pro forma re-amateurisierten ehemaligen Berufsspieler Wohnung und Arbeit erlangen. Oft waren es Scheinbeschäftigungsverhältnisse, die obendrein durch Mittel der öffentlichen Hand finanziell „aufgebessert“ wurden. Konflikte zwischen dem Wiener Fußball und den Sportbehörden des Altreichs betrafen unterschiedliche Auffassungen über das Spielsystem, antideutsche Zuschauerausschreitungen sowie die Einberufung von Spielern zum Wehrdienst bzw. deren Bevorzugung durch Freistellungen. In den Kriegsjahren wurden die unterschiedlichen Interessen der Militärführung und Sportbehörden einerseits sowie der Wiener Fußballclubs andererseits virulent. In den Medien genoss der SK Rapid hohe Popularität. Sie gab dem lokalpatriotischen Enthusiasmus Wiens und dem um Fußballhelden entstehenden kommerzialisierten Starkult reichlich Nahrung.

Die besprochenen Bücher enden jeweils mit einem Kapitel über die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der Nachkriegsgeschichte dieser Vereine. Die Werke über den FC St. Pauli und den SK Rapid unterscheiden sich von der Studie über den FCB dadurch, dass sie erstens wissenschaftliches Neuland betreten, zweitens grundsolide aus Quellen und Archiven erarbeitet sind und drittens die operative und organisatorische Dimension des Sports sehr differenziert thematisieren und dabei ausführliche Vergleiche mit anderen Fußballclubs in der NS-Zeit ziehen. Schulze-Marmeling indes blendet in seiner Darstellung der Konflikte um den Profifußball alle neueren Erkenntnisse über die ökonomischen, insbesondere fiskalischen Aspekte aus, obwohl dieses Feld bereits seit Jahren die Wirtschaftsgeschichte des Sports der NS-Zeit bestimmt. Stattdessen polemisiert er gegen Nils Havemann und konstatiert, dessen These vom „Konkurrenzantisemitismus“ des DFB sei „blanker Unsinn“ (S. 105). Dabei zitiert er Havemanns DFB-Studie3 mit den Worten, der Profifußball sei ein „jüdisches Projekt“, eine These, mit der die teilweise antisemitisch aufgeladene Abwehr des DFB gegen den Professionalismus „entschuldigt“ werde (S. 105). Gleichwohl sucht man bei Havemann vergebens nach diesen Zitaten oder nach Aussagen, die man in diese Richtung interpretieren könnte. Diese Fehldeutung macht einen weiteren generellen Mangel deutlich: Schulze-Marmeling untermauert sein Werk kaum mit Quellenbelegen und schwächt dadurch seine Positionierung in der wissenschaftlichen Sportgeschichte. Gerade die von ihm recherchierten neuen Daten über das jüdische Erbe des FCB hätten größere Sorgfalt verdient. Wissenschaftshistorische und -theoretische sowie andere übergeordnete Erkenntnisinteressen der aktuellen Kultur- und Sozialgeschichte des Sports werden bei Schulze-Marmeling weitgehend ausgeklammert. Überdies schleichen sich unerklärliche Fehler ein: So ist es beispielsweise peinlich, Louis-Ferdinand Céline, einen der fanatischsten Pamphletisten des Antisemitismus und französischen Kollaborateur der Nazis, gemeinsam mit jüdischen Schriftstellern unter die „vielen von den Nazis verfemten Autoren“ (S. 44) zu rechnen.

Von derartigen Mängeln sind die Monografien über den FC St. Pauli und den SK Rapid frei. Mit Recht verwahrt sich Backes gegen „polemische Ausfälle“, die Schulze-Marmeling und Lorenz Peiffer im sogenannten „Fußball-Historikerstreit“4 gegen Nils Havemann gerichtet haben, und zieht folgende Bilanz: „Die zwischen 2005 und 2009 entstandenen Untersuchungen über deutsche Fußballvereine in der Zeit des Nationalsozialismus stützen inhaltlich das Ergebnis Havemanns, dass die Vereine weniger von ideologischer Überzeugung, sondern vom Eigeninteresse geleitet waren: Wichtig waren Machterhalt oder -gewinn, finanzielle Interessen und, nicht zuletzt, sportlicher Erfolg“ (S. 5). Rosenbergs und Spitalers Rapid-Studie und sogar Schulze-Marmelings Monographie, soweit sie den FCB betrifft, lassen sich nahtlos als weitere eindrucksvolle Bestätigungen in diese Bilanz einbeziehen.

Anmerkungen:
1 Anton Löffelmeier, Grandioser Aufschwung und Krise: Der Münchner Fußball von 1919 bis 1945, in: Elisabeth Angermaier / Hans Eiberle / Manfred Peter Heimers (Hrsg.), München und der Fußball. Von den Anfängen 1896 bis zur Gegenwart, München 1997, S. 51-96; Heiner Gillmeister, The Tale of Little Franz and Big Franz: The Foundation of Bayern Munich FC, in: Soccer and Society, vol. 1, no. 2, summer 2000, S. 80-106.
2 Stefan Goch / Norbert Silberbach, Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. Der FC Schalke 04 im Nationalsozialismus, Essen 2005, S. 82–85, S. 102–105.
3 Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt am Main / New York 2005.
4 Zu den Hintergründen dieses Streits vgl. Michael Krüger, Zur Debatte um Carl Diem, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011), S. 201-209, hier S. 207-209 (Lit.), sowie Markwart Herzog: Rezension zu: Koerfer, Daniel: Hertha unter dem Hakenkreuz. Ein Berliner Fußballclub im Dritten Reich. Göttingen 2009; und zu: Löffelmeier, Anton: Die "Löwen" unterm Hakenkreuz. Der TSV München von 1860 im Nationalsozialismus. Göttingen 2009, in: H-Soz-u-Kult, 18.11.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-153> (03.06.2011).

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