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Rotenburg: Historiker Kaminsky legt Studie über die Rolle von Pastor Buhrfeind im Diako vor
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Rotenburger Diakonieklinikum: Patriarch als Anstaltsleiter

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Der Name des Vorstehers Pastor Johannes Buhrfeind ist bis heute in Rotenburg präsent. Eine Studie beleuchtet nun seine Rolle vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus. - Foto: Menker
Der Name des Vorstehers Pastor Johannes Buhrfeind ist bis heute in Rotenburg präsent. Eine Studie beleuchtet nun seine Rolle vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus. © Menker

Rotenburg - Von Michael Krüger. Es ist ein „dunkles Kapitel unserer Geschichte“, sagt Sabine Sievers. Doch dem hat sich das Rotenburger Diakonieklinikum gestellt. Vor zwei Jahren hat das Kuratorium des Diakonissen-Mutterhauses eine wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Vergangenheit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Auftrag gegeben. Nun liegt das Ergebnis in Buchform vor. „Diese Arbeit war nötig und wichtig“, so Oberin Sievers.

„Über Leben in der christlichen Kolonie: Das Diakonissen-Mutterhaus Rotenburg, die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission und die Rolle ihrer Vorsteher 1905-1955“, lautet der Titel des Buches von Historiker Dr. Uwe Kaminsky. Nach den Rotenburger Werken stellt sich damit auch das Krankenhaus der Frage, wie es sich insbesondere in der NS-Zeit positioniert hat. Ein Hauptaugenmerk legt Kaminsky dabei auf Pastor Johannes Buhrfeind, der die Anstalten und Diako von 1903 bis 1942 in prägender Weise geleitet hat.

„Er war ein klassischer, patriarchaler Anstaltsleiter“, sagt Historiker Kaminsky zu seinen Ergebnissen über Buhrfeind. „Einer, der die Häuser autoritär geführt und alles selbst unterschrieben hat.“ Der Mann, der von 1903 bis 1942 Vorsteher des Mutterhauses und der Anstalten (bis 1930 „Asyl für Epileptische und Idioten“) war und dessen Name heute unter anderem durch die Buhrfeindstraße, das Buhrfeindhaus sowie den Buhrfeindsaal im Mutterhaus weiterhin sehr präsent ist, könne nach der Studie nun differenzierter wahrgenommen werden. Kaminsky hat für seine Recherchen die Archive der Werke und des Diakos durchgearbeitet, auch beim Landeskirchenamt in Hannover und im Berliner Zentralarchiv der Diakonie geforscht. Keine leichte Aufgabe, wie er sagt, denn in Rotenburg seien die Unterlagen „willkürlich“ mal in der einen, dann wieder in der anderen Einrichtung abgelegt worden.

Uwe Kaminsky
Uwe Kaminsky © -

Die zentrale Frage, in welcher Weise sich Buhrfeind in der NS-Zeit schuldig gemacht hat, beantwortet der 54-jährige Spezialist für Diakonie-Geschichte der Bochumer Ruhr-Universität so: „Er war kein Ideologe, sondern ein Mitläufer wie viele andere.“ Anders als sein Schwiegersohn und Nachfolger, Pastor Wilhelm Unger, sei Buhrfeind nie NSDAP-Mitglied gewesen, hätten die Recherchen ergeben. Und dennoch sei „im Kern sichtbar, dass man Anordnungen der Führung keinen Widerspruch geleistet hat“. Dem „extrem sparsamen“ Vorsteher Buhrfeind sei es darum gegangen, Schaden von der Gesamteinrichtung abzuwenden. Doch dafür, so Kaminsky, „war er bereit, Patienten räumen zu lassen“. Die Zahl der Menschen, die aus dem Diako und den Werken, die erst 1955 formal komplett getrennt wurden, deportiert werden, sind schon seit der Studie der Werke bekannt. 1941 trafen vier mit der reichsweiten Tötungsaktion „T4“ befasste Ärzte in Rotenburg ein.

Schon 1992 haben die Rotenburger Werke – damals noch den Namen „Rotenburger Anstalten der Inneren Mission“ tragend – unter dem Titel „Zuflucht unter dem Schatten deiner Flügel?“ eine viel beachtete Aufarbeitung ihrer Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlicht. Seit 1987 gibt es ein entsprechendes Mahnmal vor der Kirche Zum Guten Hirten. „Wir wollen mit den Ergebnissen unserer Recherchen nicht anklagen oder Schuld zuweisen. Wir wollen, so weit heute möglich, offenlegen, welche Ursachen und Folgen das staatlich verordnete Brechen mit humanitären Werten in einem begrenzten Raum wie den Rotenburger Anstalten hatte“, heißt es vom Autorenteam, das von den Werken selbst eingesetzt wurde. Von den rund 1 100 in den Anstalten lebenden Menschen im Jahr 1940 sind nach der Dokumentation nachweisbar 547 Menschen den nationalsozialistischen Morden zum Opfer gefallen, darunter drei Juden, die 1940 deportiert wurden. Von 50 Menschen konnte das Schicksal nicht geklärt werden. 335 Bewohnerinnen und Bewohner wurden bis 1945 zwangssterilisiert, ein 13-jähriges Mädchen und eine Frau starben an den Folgen, heißt es. Es habe eine „überzeugte Unterstützung der staatlichen Maßnahmen“ gegeben, so die Autoren, die auch viele Einzelschicksale dokumentieren. „Vor dem massiven Angriff auf das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner durch das ,Euthanasie’-Programm kann die Einrichtung keinen Schutz gewähren“, heißt es.

Buhrfeinds Handeln sei „ethisch fragwürdig“

Insgesamt, so Kaminskys Fazit zur aktuellen Studie, habe es „viel schlimmere Beispiele“ gegeben. Aus heutiger Sicht sei Buhrfeinds Handeln natürlich „ethisch fragwürdig“, aus damaliger Sicht „aber nicht herausstechend“. Für Diako-Geschäftsführer Rainer W. Werther ist die Aufarbeitung der Vergangenheit eine Verpflichtung, wie es im vergangenen Jahr in einem Förderantrag an die Stadt hieß: „Wir sind überzeugt, dass die Kenntnis der eigenen Geschichte ein wichtiger Baustein für Humanität und Demokratie ist.“ Das betreffe die Diakonie, aber nicht minder die politische Gemeinde, deren Leben durch Buhrfeind über mehr als vier Jahrzehnte wesentlich mitgeprägt worden sei. 5 000 Euro hat es sich die Stadt kosten lassen, die Studie zu unterstützen. „Es ist wichtig, dass wir uns an dieser Aufarbeitung beteiligen“, so Bürgermeister Andreas Weber (SPD).

Dass auf Basis der Erkenntnisse über eine Umbenennung der Straße und Häuser mit Buhrfeinds Namen diskutiert werden könnte, sieht Historiker Kaminsky skeptisch. „Die Auslöschung dieses Makels wäre nicht gut“, sagt er. Vielmehr müsse sich das Diako und auch die Stadt mit dem Thema auseinandersetzen, eine kritische Bewertung und ein offener Umgang mit der Vergangenheit sei allemal besser, als das Thema mit einer Umbenennung unter den Tisch zu kehren.

Eigentlich sollte das Buch, das am 28. Oktober beim in Rotenburg ansässigen Verlag Edition Falkenberg erschienen ist, am 30. November öffentlich vorgestellt werden, passenderweise mit dem Autoren im Buhrfeindsaal des Diakonieklinikums. Da man dort aber wegen der Querelen um die Demission von Geschäftsführer Werther andere Sorgen hat, ist der Termin kurzfristig abgesagt worden. Nun soll die Präsentation Anfang 2017 stattfinden. Oberin Sievers erhofft sich dann auch einen kritischen öffentlichen Diskurs über die Rolle Buhrfeinds und des Mutterhauses insgesamt. Dazu soll es weitere Veranstaltungen geben.

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