SVP-Kampftwitterer, grüne Klimademonstrantin und FDP-Posterboy: Das sind die Auf- und Absteiger der Zürcher Nationalratswahlen

Ein freisinniger Jungpolitiker prescht nach vorne, zwei altgediente SPler fliegen raus. Diese Kandidatinnen und Kandidaten haben bei den Nationalratswahlen überrascht – und enttäuscht.

Daniel Fritzsche / Fabian Baumgartner / Michael von Ledebur / Lena Schenkel / Rebekka Haefeli / André Müller
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Die Aufsteiger

Erfolgreich verlief der Wahltag für den Posterboy des Zürcher Freisinns, Andri Silberschmidt. (Bild: Manuel Lopez / Keystone)

Erfolgreich verlief der Wahltag für den Posterboy des Zürcher Freisinns, Andri Silberschmidt. (Bild: Manuel Lopez / Keystone)

  • Zu den Aufsteigern können gleich vier Grünliberale gezählt werden. Neben der Co-Kantonalpräsidentin Corina Gredig sitzen in der nächsten Legislatur der im Frühling gescheiterte Regierungsratskandidat Jörg Mäder sowie die Kantonsrätinnen Barbara Schaffner und Judith Bellaiche neu im Nationalrat. Gredigs Kommentar dazu: «Gewaltig.»
  • Auch die Grünen können jubeln. Ihre Parteipräsidentin Marionna Schlatter aus Hinwil hat die Wahl geschafft, ebenso die junge Tierschützerin und Klimademonstrantin Meret Schneider aus Uster.
  • Erfolgreich verlief der Wahltag für den Posterboy des Zürcher Freisinns, Andri Silberschmidt. Erst seit letztem Jahr sitzt der Gastrounternehmer im Zürcher Gemeinderat. Nun folgt bereits der Sprung nach Bern. Der scheidende Präsident der Schweizer Jungfreisinnigen machte auf der FDP-Liste drei Plätze gut.

Die Verlierer

Hans-Ulrich Bigler (fdp.), links, und Jean-Francois Rime (svp.) vom Gewerbeverband sind die Verlierer des Tages. (Bild: Alessandro della Valle / Keystone)

Hans-Ulrich Bigler (fdp.), links, und Jean-Francois Rime (svp.) vom Gewerbeverband sind die Verlierer des Tages. (Bild: Alessandro della Valle / Keystone)

  • Der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, Hans-Ulrich Bigler, gilt als harter Hund. Nachdem es für den FDP-Mann mit der Wiederwahl nicht geklappt hat, zeigt er sich enttäuscht. «Ich kann dafür noch keine Gründe angeben.» Für den Gewerbeverband ist das Resultat insgesamt unerfreulich. Neben Bigler und dem Präsidenten Jean-François Rime (svp., Freiburg) haben weitere profilierte Gewerbler die Wiederwahl nicht mehr geschafft.
  • Er war nie um einen Spruch verlegen – sei es auf Twitter oder in den Zeitungsspalten. Genützt hat es Claudio Zanetti nichts. Der scharfzüngige SVPler hat die Wiederwahl verpasst. Fünf Plätze wurde er nach hinten gereicht. Er selber sieht die Schlappe «nicht so tragisch», wie er sagt. Es liege offenbar daran, dass er sich in gewissen Fragen eine eigene Meinung leiste. Zanetti nennt das Burkaverbot, das er ablehnt, als Beispiel. «Wenn ich wählen muss zwischen einem Sitz und einer eigenen Meinung, ist der Fall für mich klar», sagt er. Die Abwahl von FDP-Mann Hans-Ulrich Bigler sei für die Eidgenossenschaft insgesamt schlimmer als seine eigene.
  • Die deutliche Wahlniederlage der Zürcher Sozialdemokraten hat für zwei altgediente Nationalräte handfeste Folgen. Martin Naef, Jurist aus Zürich, wurde nach zwei Legislaturen abgewählt. Thomas Hardegger, ehemaliger Gemeindepräsident von Rümlang und Präsident des Flughafen-Schutzverbands, ging es gleich. Für beide hatte das Ungemach an der Delegiertenversammlung der Sozialdemokraten seinen Anfang genommen. Naef wurde auf Platz 9 gesetzt. Dass er sich auf Platz 8 verbesserte, nützte ihm nichts. Hardegger hatte das Pech, direkt vor einer Frau (Céline Widmer) zu rangieren. Wählerinnen und Wähler, die Frauen auf der Liste fördern möchten, streichen am ehesten diese Position. Genau das scheint eingetroffen zu sein. Hardegger landete schliesslich sogar noch hinter Martin Naef.
  • «Sesselkleberin» – diese Bezeichnung bekam Kathy Riklin in letzter Zeit immer wieder zu hören. Rund zwanzig Jahre politisierte sie für die CVP im Nationalrat. Lang genug, fand ihre Partei. Und beschloss, sie nicht mehr zu nominieren. Doch die CVP hatte nicht mit Riklin gerechnet, die sich für die neu gebildete Christlichsoziale Vereinigung aufstellen liess. Doch alles vergebens, Riklin muss ihren Sessel in Bern räumen. 
  • Mit dem Slogan «Langweilig, aber gut» zog die BDP in den Wahlkampf. Langweilig, nicht gut, fanden offenbar die Wähler – und straften die Partei ab. Die Leidtragende: Rosmarie Quadranti, die den einzigen Zürcher Nationalratssitz der BDP besetzte. Da hilft laut Quadranti nur eines: Knochenarbeit, dabei aber ja nicht marktschreierisch sein.

Comeback geglückt

Die Grüne Katharina Prelicz-Huber zieht nach acht Jahren Absenz wieder nach Bern. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Die Grüne Katharina Prelicz-Huber zieht nach acht Jahren Absenz wieder nach Bern. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

  • Vor acht Jahren war das Wehklagen von Katharina Prelicz-Huber gross. Damals wurde die grüne Gewerkschafterin aus dem Nationalrat abgewählt. Nach einem erfolglosen Comeback-Versuch vor vier Jahren hat es nun geklappt. Prelicz-Huber ist zurück im Spiel. «Das ist ein schönes Tüpfelchen auf dem i für meine Karriere», sagt sie.

Comeback gescheitert

Christoph Mörgeli an der SVP-Feier im Restaurant Rössli in Illnau. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Christoph Mörgeli an der SVP-Feier im Restaurant Rössli in Illnau. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

  • Bei den Wahlen 2015 erlitt Christoph Mörgeli eine Wahlklatsche sondergleichen. Der SVP-Nationalrat und scharfzüngige Vordenker des Zürcher Parteiflügels wurde abgewählt und vom zweiten auf den zwanzigsten Platz durchgereicht. Trotzdem wollte es der 59-Jährige nochmals wissen – vom 15. Listenplatz aus. Das sei ein mutiger Entscheid gewesen, sagt er selbst. Die Parteibasis hat den Schritt offensichtlich nicht goutiert: Mörgeli verlor fünf Plätze und landete auf dem 20. Rang. Er akzeptiere den Entscheid der Wählerinnen und Wähler, dass seine Person an der aktiven Front nicht mehr gefragt sei.

Die Überflieger

Martin Farner (fdp.) ist in der Pole-Position. (Bild: NZZ)

Martin Farner (fdp.) ist in der Pole-Position. (Bild: NZZ)

  • Für den Ständerat hat es ihm nicht gereicht, aber dennoch kann Roger Köppel eine Trophäe vom Zürcher Wahlsonntag mit nach Hause nehmen: Mit 121 098 Stimmen ist der «Weltwoche»-Chef der bestgewählte Nationalrat überhaupt.
  • FDP-Kantonsrat Martin Farner hatte zum Angriff auf die Arrivierten geblasen – und hatte damit fast Erfolg. Der Agrarunternehmer landete mit dem sechstbesten Resultat auf dem ersten Nachrückplatz. Zugute kam dem hemdsärmligen Oberstammheimer, dass er bei SVP-Wählern beliebt ist und von dort entsprechend Panaschierstimmen erhalten hat. Farner wäre vor einem Jahr gerne Kandidat für den FDP-Regierungsratssitz geworden; der jetzige Wahlausgang dürfte für ihn eine Genugtuung sein. Dass es in der FDP-Fraktion während der kommenden Legislatur zu einem Rücktritt kommt, ist anzunehmen.
  • Überraschend hatten die SP-Delegierten ihrer populärsten Nationalrätin, Jacqueline Badran, den Spitzenplatz auf der Liste verwehrt und sie auf Platz 3 gesetzt. Die SP-Wähler änderten dieses Verdikt. Auch sonst wanderten auf der SP-Liste die Frauen nach oben. Mattea Meyer (2.) und Min Li Marti (3.) machten beide zwei Plätze gut. Handfeste Folgen hatte der Positionsgewinn von Céline Widmer: Die Stadtzürcher Kantonsrätin startete als Achte und eroberte den siebten und letzten Nationalratssitz der Zürcher SP auf Kosten von Martin Naef und Thomas Hardegger.

Die Pechvögel

Nationalrat Angelo Barrile ist in der SP gut vernetzt, die Wähler beurteilten ihn anders. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Nationalrat Angelo Barrile ist in der SP gut vernetzt, die Wähler beurteilten ihn anders. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

  • Pechvogel des Tages ist die CVP. Die Partei verlor einen ihrer beiden Sitze, obwohl sie bei der Parteistärke minim zulegen konnte. Diejenigen, die es hätten richten sollen, mussten eine Enttäuschung verdauen. Nicole Barandun, die auch beim Rennen um den Ständerat chancenlos blieb, und Kantonsrat Josef Wiederkehr zogen den Kürzeren.
  • Seinen wichtigsten Wahlkampferfolg feierte Angelo Barrile lange vor dem Wahltermin: Im Frühsommer setzten ihn die SP-Delegierten bei der Listenzusammenstellung auf Platz 1. Dies überraschte, weil sich der Secondo und Hausarzt im Nationalrat noch wenig zu profilieren vermochte. Barrile ist aber parteiintern gut vernetzt und beliebt. Die Wählerinnen und Wählern beurteilten ihn anders und reichten ihn durch – er verlor vier Plätze. Hätte er nicht die Spitzenposition innegehabt, wäre es für Barrile womöglich eng geworden.
  • Trotz grossen Hoffnungen blieb auch die AL unter den Erwartungen. Sie verlor minim und verpasste den Einzug in den Nationalrat – einmal mehr.
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