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Ein früher Feind der Nazis | NZZ

Ein früher Feind der Nazis

Stefan Aust erinnert in seinem Buch «Hitlers erster Feind» an den Journalisten und ersten Hitler-Biografen Konrad Heiden.

Oliver Pfohlmann
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Der Journalist und Hitler-Biograf Konrad Heiden. (Bild: dpa)

Der Journalist und Hitler-Biograf Konrad Heiden. (Bild: dpa)

Wie sieht Adolf Hitler eigentlich aus? Diese Frage stellte 1922 das Münchner Satireblatt «Simplicissimus». Sie war durchaus ernst gemeint. Seinerzeit war zwar schon vielen politischen Beobachtern Hitlers Name ein Begriff. Aber das Aussehen des Agitators kannten nur wenige. Der frühe Hitler wollte ausserhalb der Biersäle lieber unerkannt bleiben, weshalb er Fotografien von sich verbot und bei seinen Auftritten mit Schummerbeleuchtung arbeitete. Im «Simplicissimus» erschien schliesslich die Zeichnung einer schwarzen Wolke über einem Wirtshaustisch, aus der Blitze zuckten – als Sinnbild für den rasenden deutschen Spiesser.

«Alles Unsinn, alles gelogen»

Einer, der schon damals ganz genau wusste, wie Hitler aussah, war Konrad Heiden. Der Journalist, der politisch der SPD nahestand, verfolgte seit den frühen 1920er Jahren aus nächster Nähe, wie die Nazis in München für die vom Krieg Deklassierten zum Sammelbecken wurden. Und er erkannte rasch, dass Hitler mehr als nur ein beliebiger Krawallmacher war. Im Rückblick schrieb Heiden, sein Urteil über Hitlers Reden habe rasch festgestanden: «Alles Unsinn, alles gelogen, und zwar dumm gelogen, und überhaupt alles so lächerlich, dass jeder, so meinte ich, das doch sofort einsehen müsse. Stattdessen sassen die Zuhörer wie gebannt, und manchem stand eine Seligkeit auf dem Gesicht geschrieben, die mit dem Inhalt der Rede schon gar nichts mehr zu tun hatte, sondern das tiefe Wohlbehagen einer durch und durch umgewühlten und geschüttelten Seele widerspiegelte.»

Mit seinen Artikeln, Broschüren und Enthüllungsbüchern über die Nazis, darunter 1936 «die erste bedeutende Hitler-Biografie» (so Joachim Fest), galt Heiden im amerikanischen Exil nach 1940 als Hitlers «public enemy no. 1». Das war zwar eine Übertreibung seines für Publicity sorgenden Verlags, aber im Kern durchaus richtig: Denn mit seinen Schriften reizte Heiden die Nazis immer wieder «bis zur Weissglut», wie es Stefan Aust formuliert. Der ehemalige Chef des «Spiegels» und heutige Herausgeber der «Welt» erinnert mit seinem Buch «Hitlers erster Feind» an Leben und Leistung dieses heute kaum noch bekannten Journalisten und Antinazi-Aktivisten.

1901 als Sohn eines sozialistischen Rechtsanwaltsassistenten und einer jüdischen Frauenrechtlerin geboren, studierte Konrad Heiden nach Kriegsende in München zunächst Jura und Wirtschaftswissenschaften. Danach lauschte er für die liberale «Frankfurter Zeitung» nicht nur Hitlers Wirtshaustiraden, sondern verfolgte auch dessen spektakuläre Auftritte im Gerichtssaal nach dem gescheiterten Putschversuch 1923 im Bürgerbräukeller, dessen Ablauf Heiden genau rekonstruierte. Bei seinen investigativen Reportagen konnte sich Heiden, wie Aust vermutet, auf Informanten aus Hitlers engstem Umfeld stützen, unter ihnen wahrscheinlich die dem linken NSDAP-Flügel angehörenden Strasser-Brüder, Hitlers Förderer Ernst Hanfstaengl sowie sein ehemaliger Reichswehr-Vorgesetzter Karl Mayr.

Als Heidens Hitler-Recherchen der Redaktion zu unbequem wurden, wurde er mit so brisanten Themen wie Skifahren in Bayern beauftragt. Das ging nicht lang gut: Heiden wurde freier Autor und veröffentlichte Ende 1932, kurz vor Hitlers «Machtübernahme», sein erstes Buch: «Geschichte des Nationalsozialismus. Die Karriere einer Idee». 1933 wollte Heiden zunächst im Untergrund gegen die Nazis aktiv werden, schliesslich floh er, zuerst in die Schweiz, dann ins zunächst noch neutrale Saargebiet.

Klarer Blick auf das, was kam

Bis zu seiner Flucht nach Frankreich im Januar 1935 informierte Heiden von Saarbrücken aus mit seiner Zeitschrift «Deutsche Freiheit» sowie in Propagandaschriften, die ins Reichsgebiet geschmuggelt wurden, über die Zustände in Hitlerdeutschland und die Konzentrationslager. Seine Schilderungen der eskalierenden Judenverfolgung gipfelten 1938 sogar in der Prophezeiung, die Nazis planten ein «Massaker, wie es die Geschichte (. . .) noch nie sah» – dies schon wegen der verwendeten technischen Mittel: «Alle Juden wird man in einem grossen Raum versammeln und dann durch Knopfdruck das Gas auslösen.»

Über Marseille und Spanien gelangte Heiden schliesslich 1940 in die USA, wo 1944 «Der Fuehrer – Hitler's Rise to Power» erschien und nicht zuletzt dank einer Lobeshymne Thomas Manns («ein Dokument ersten Ranges») zum Bestseller wurde. Seinem Lebensthema blieb der Publizist bis zu seinem Tod 1966 treu; schwer krank kämpfte Heiden in der Adenauerzeit schliesslich noch um eine Entschädigung als NS-Opfer. «Foe of nazis», Feind der Nazis, steht, einem Ehrentitel gleich, auf seinem Grabstein in East Orleans (Massachusetts).

Stefan Aust versteht seine Darstellung auch als «Buch über Journalismus», und nichts könnte in Zeiten von «fake news», «social bots» und «Lügenpresse»-Vorwürfen willkommener sein als eine Erinnerung an ein journalistisches Vorbild von diesem Kaliber. Leider aber krankt «Hitlers erster Feind» an verschiedenen Mängeln. Verzeihlich ist noch, dass Heidens Privatleben mangels Quellen nur umrisshaft-spekulativ rekonstruiert wird. Eher verwirrend als erhellend ist jedoch gleich im ersten Teil des Buches das Hin- und Herspringen zwischen Hitlers Lebensweg (primär gestützt auf Heidens Darstellungen) und dem des jungen Konrad Heiden.

Darstellung mit Mängeln

Zudem zitiert Aust aus Heidens Texten durchweg ohne Quellenangabe. Ob es sich um zeitnahe Beobachtungen oder Einschätzungen aus späteren Darstellungen handelt, erschliesst sich dem Leser nicht. Und, von Ausnahmen abgesehen, auch nicht, inwieweit Heidens Recherchen, etwa zum Ablauf des «Röhm-Putsches», dem Stand heutiger Forschung entsprechen. Zumal nicht immer klar wird, welche von Heidens Behauptungen auf Zeugnisse von Informanten zurückgehen – oder doch nur auf seine journalistische Phantasie. So beschrieb Heiden detailliert Hitlers Triebleben («er ist nicht homo- oder bisexuell, sondern hörig») oder den Tag der «Machtübernahme»: «Hitler lacht, springt vor Freude, grüsst und winkt zu den Massen hinunter. Als alles vorbei ist, als die Fenster geschlossen sind, legt er Goebbels beide Hände auf die Schultern, sieht ihm tief in die Augen, spricht kein Wort.» Von Goebbels jedenfalls dürfte Konrad Heiden von Hitlers Reaktion kaum erfahren haben.

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