Nach einem Artikel über proisraelische Lobbyisten im Bundestag wehrt sich das deutsche Nachrichtenmagazin gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Eine angebliche israelische Einflussnahme, die der «Spiegel» suggeriert, bleibt allerdings unbelegt.
Der «Spiegel» wehrt sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Am Montag veröffentlichte das deutsche Nachrichtenmagazin auf seiner Homepage eine entsprechende, von der Chefredaktion gezeichnete Erklärung. Die Kritik hatte sich an einem Artikel entzündet, der in der Printausgabe vom vergangenen Samstag erschienen war. Darin beschäftigten sich sechs «Spiegel»-Redaktoren mit zwei Berliner Vereinen, die Einfluss auf Bundestagsabgeordnete genommen hätten.
Dies habe dazu geführt, dass der Bundestag im Mai mit einer breiten Mehrheit von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen die antiisraelische Boykott-Bewegung BDS («Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen») verurteilte. Der «Spiegel»-Text strotze vor «Beschuldigungen, die sich um angebliche jüdische Einflussnahmen mit Geldzahlungen drehen», erklärte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Damit würden antisemitische Klischees bedient. Mit Paul Ziemiak, dem Generalsekretär der CDU, äusserte sich auch ein prominenter Politiker. Damit seine Partei für das Existenzrecht des jüdischen Staates eintrete, brauche es «keine angeblichen Lobbyisten», sagte er der «Bild»-Zeitung.
Für die gegen BDS gerichtete Resolution habe unter anderem der Verein Werteinitiative geweibelt, schreibt der «Spiegel». Dessen Vorsitzender ist ein Berliner Zahnarzt, der bis vor kurzem auch zum Vorstand des Vereins Nahost-Friedensforum (Naffo) gehört habe. Sowohl Naffo als auch Werteinitiative hätten an Bundestagsabgeordnete gespendet beziehungsweise diesen Spenden angeboten. Illegal ist daran nichts; dies habe man auch gar nie behauptet, hält der «Spiegel» in seiner Erklärung vom Montag fest.
Dass Lobbyisten versuchen, Einfluss auf Abgeordnete zu nehmen, ist in Parlamenten üblich. Dass der Einfluss von Naffo weit über das übliche Mass hinausgehe, macht der «Spiegel» an Äusserungen fest, die 2018 an einer Mitgliederversammlung des Vereins gefallen seien. Laut Protokoll sei dort von einer an Bundestagsabgeordnete gerichteten «gezielten Kampagne» geredet worden; in mehreren Bundestagsdebatten im Frühjahr und Sommer 2018 habe man in den Reden etlicher Parlamentarier «unsere Positionen» wiedergefunden. Derartige Erfolgsmeldungen mögen auf naive Beobachter zynisch wirken, doch beschreiben sie auch nur, was letztlich jeder Lobbyist zu tun versucht: Mandatsträger auf seine Seite zu ziehen. Nichts deutet darauf hin, dass Naffo oder Werteinitative hierbei die Grenzen des Zulässigen überschritten hätten.
Durch seine Berichterstattung, so einige Kritiker, suggeriere der «Spiegel», eine jüdische Weltverschwörung habe zu dem Bundestagsbeschluss geführt. Tatsächlich raunt das Magazin von israelischer Einflussnahme: Der Verdacht liege nahe, dass auch die Werteinitiative und Naffo zu einer Reihe von «Frontorganisationen» gehörten, mit deren Hilfe Israel in Amerika und verschiedenen Ländern Europas Druck auf Banken ausübe, die Konten von BDS-nahen Initiativen zu schliessen. Belegt wird der Vorwurf nicht.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, die Gutachten zuhanden von Abgeordneten erstellen, haben Ende Januar eine Studie über Naffo abgeschlossen. Naffo koordiniere seine Aktivitäten weder mit der israelischen Botschaft in Berlin noch mit anderen israelischen Behörden, wird darin aus einer schriftlichen Stellungnahme des Vereins zitiert. Von Naffo organisierte Reisen nach Israel und in die palästinensischen Gebiete, an denen Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Parteien ausser der AfD teilgenommen hätten, seien als Einzeldienstreisen mit Genehmigung durch den Bundestagspräsidenten beziehungsweise über die Fraktionen abgerechnet worden.
«Wir halten uns an die Fakten», schreibt die Chefredaktion des «Spiegels». Das ist richtig. Und weil die Tatsachen das gewünschte Bild offenbar nicht genügend abrundeten, behalf man sich mit Andeutungen.
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