Peter Jäggi
67-jähriger Jungfilmer: «So ganz schief ist mein erster Film wohl doch nicht»

Peter Jäggi aus Niederwil durfte an den Solothurner Filmtagen soeben seinen ersten Film präsentieren: «In der Nacht fliegt die Seele weiter». Vom Applaus sei er ganz berührt gewesen, sagt der 67-Jährige.

Lucien Fluri
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Nach über 100 grossen Radioreportagen hat Peter Jäggi seinen ersten Film realisiert und diesen soeben an den Filmtagen gezeigt.

Nach über 100 grossen Radioreportagen hat Peter Jäggi seinen ersten Film realisiert und diesen soeben an den Filmtagen gezeigt.

Lucien Fluri

Ihre beiden Glasaugen hat Pina Dolce aus der kleinen Blechdose genommen. Eins nach dem anderen legt sie sorgfältig auf ihre Zunge und feuchtet sie nacheinander an. Pina Dolce ist blind, ist Mutter, Malerin – und Protagonistin im ersten Film des Solothurners Peter Jäggi. «In der Nacht fliegt die Seele weiter», heisst dieser und ist soeben an den Filmtagen gezeigt worden.

Dann folgt eine der ergreifendsten Szenen des Films: Die blinde Mutter gibt ihre Glasaugen ihrem kleinen Sohn, der auf dem Tisch steht und darauf wartet, dass er die angefeuchteten Imitate in die Augenhöhle seiner Mutter drücken kann.

Das Unternehmen gelingt, der kleine Knirps lächelt – und im Solothurner Kino Palace ist das Publikum an diesem Sonntagmorgen berührt vom Dokumentarfilm, den Peter Jäggi unter Mithilfe der Solothurner Insertfilm fürs Schweizer Fernsehen produziert hat.

Er weiss, wie man Geschichten erzählt

Es ist Montagmorgen und der freischaffende Autor aus Niederwil sitzt im Landhaus am Kaffeetisch. Wie ist es, Herr Jäggi, wenn der erste eigene Film im Kino gezeigt wird? Noch immer gehe es ihm selbst kalt den Rücken hinunter, wenn er die Augenszene sehe, sagt Jäggi.

«Es war ein magischer Moment, als wir dies spontan gefilmt haben». Vom Applaus im Kino sei er «ganz berührt gewesen», sagt der Niederwiler. «So ganz schief», sei sein erster Film wohl nicht, kokettiert er.

Für einen Jungfilmer mag Peter Jäggi mit 67 schon etwas älter sein. Wie man Geschichten erzählt, weiss er allerdings. Jäggi hat mehr als 100 grosse Radioreportagen gemacht. Einem Grossteil der Solothurner Radiohörer ist seine Stimme als langjähriger Mitarbeiter beim Regionaljournal bekannt.

Hastig fasst die Hand nach den Zuckersticks auf dem Kaffeetisch, geht weiter zur Serviette und wieder zurück. Ein wenig rastlos scheint Peter Jäggi unterwegs zu sein. Der Film ist nur eines von vielen Projekten. Eben erst war der Niederwiler viele Wochen in Vietnam unterwegs, hat recherchiert zu den Folgen von Agent Orange und reiste ins Mekong-Delta im Süden des Landes. Bald wird er Schweizer Radiohörern und Zeitungslesern aufzuzeigen, wie die Klimaerwärmung dort Häuser im Wasser versinken lässt.

Reportagen spiegeln persönliche Interessen

Jäggi selbst lebt am Jurasüdfuss in einem etwas abgelegenen Bauernhaus. Von dort aus bricht er zu seinen Reportagen auf: Er war in der Gegend von Tschernobyl und hat in seinem Buch «Tschernobyl für immer» die Folgen der nuklearen Katastrophe thematisiert.

Auf Sumatra befasst er sich mit der illegalen Abholzung des Regenwaldes zur Palmölgewinnung. Aus Indien berichtete er über Leprakranke. – Immer wieder geht es auch um bedrohte Tiere: die Orang-Utans oder Elefanten in der Gefangenschaft.

Berufliche und private Interessen lassen sich bei Peter Jäggi schwer trennen. Seine Reportagen spiegeln seine ganz persönlichen Interessen. Nicht immer sei das kostendeckend gewesen, sagt Jäggi. Aber ohne eine Familie unterhalten zu müssen, lasse es sich als freischaffender Journalist leben. Mit vielen seiner Gesprächspartner ist er freundschaftlich verbunden.

Pina Dolce, die Protagonistin des Films, lernte er Jahre zuvor bei einer Radioreportage kennen, und ist seither mit ihr befreundet. Als früherer Chefredaktor der «Schweizer Jugend» erhielt Jäggi vor rund 30 Jahren einen Brief aus Indien: Ein junger Mann mit Schweizer Wurzeln wollte für das Magazin arbeiten. Jäggi hatte bald ein Interview mit Indira Gandhi im Heft. Die Freundschaft blieb, und Indien wurde zum Steckenpferd Jäggis.

Inzwischen kann der Journalist allerdings nicht mehr nach Indien reisen. Der Staat verweigert ihm ein Visum, Jäggi vermutet, dass dies mit seinen Recherchen zu Landkonflikten zu tun hat. Es ist nicht der einzige brisante Vorfall, von dem Jäggi beim Kaffee im Landhaus erzählen kann. In Tschernobyl folgte der Geheimdienst Jäggi und seiner Dolmetscherin, die oppositionellen Kreisen angehörte.

In Vietnam gab ihm der Staat einen Aufpasser mit. «Reportagen aus solchen Ländern sind schwierig», sagt Jäggi. Und trotzdem gibt es keine Sekunde Zweifel, dass er weitermachen wird – auf der Suche nach magischen Momenten, die das Publikum eine andere Welt sehen lassen.