Che Guevara: Revoluzzer, Killer, Popstar
Che Guevara Revoluzzer, Killer, Popstar
Ob Nivea, Mercedes-Benz, Coca Cola, Veuve Cliquot, Leibniz-Keks, man nehme Dr. Oetker oder Levi's Jeans - nach Jahrzehnten weiß man einfach nicht mehr genau, wann der Name begann, eine Marke zu werden. Unverwechselbar und einzigartig, ein Synonym für die Sache selbst.
Bei Ernesto "Che" Guevara ist die zeitliche Bestimmung relativ einfach: Nachdem er am 9. Oktober 1967 gestorben war, vom imperialistischen Feind mit neun Schüssen niedergestreckt, begann seine Karriere als Idol der Weltrevolution.
Politisch auf ganzer Linie gescheitert, als Ikone unsterblich.
Der göttlich Geopferte
Der Schriftsteller Peter Weiss ("Die Ästhetik des Widerstands") schrieb damals: "Als wir vom Tode Ches erfuhren, war unser erster Gedanke: Musste er sterben, gerade jetzt, wo er unentbehrlicher geworden war denn je...Hat er sich geopfert? Hat er das Los eines Märtyrers gewählt? ...Wie wir die Frage nach seinem Tod auch wenden, die Antwort bleibt, und sie ist einfach. Es ist eine Antwort, die auf unsere Niederlage und unsere Feigheit deutet."
Hier wird schon der hohe Ton der Heldenverehrung angestimmt, die zugleich die vermeintliche eigene Schwäche als revolutionäre Selbstanklage thematisiert. Die feigen Sünder knien nieder vor dem Heiligenbild des gleichsam göttlich Geopferten. Mitten in der Revolte von 1967/68 schlossen sich viele Linke dieser quasireligiösen Haltung an. Überall in Europa.
Ein kosmisch Entrückter als Vorbild, an dessen unerreichbarer, geradezu übermenschlicher Größe man gleichwohl guten Gewissens scheitern durfte. So hängte man sein Porträt stets ganz hoch an die Rauhfasertapete im Wohngemeinschaftsflur. Oder übers Bett.
Jean-Paul Sartre nannte Che Guevara den "vollständigsten Menschen seiner Zeit", und schon 1964 hatte der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, heute einer der führenden Globalisierungskritiker, über den früheren Mitstreiter Fidel Castros gesagt: "Guevara glaubte an die therapeutische Wirkung der Gewalt. Er meinte, wer Gewalt übt bis zum Selbstopfer, entdecke in sich die allmähliche Geburt eines neuen Menschen." Darum ging es, um die faszinierende Utopie vom ganz anderen, ganz neuen Menschen. Frei, stolz, selbst bestimmt.
"Che lebt!"
Che Guevara selbst hatte den "Menschen des 21. Jahrhunderts prophezeit", den Fidel Castro bei seiner Gedenkrede auf den Toten freilich schon ganz genau kannte: Er sollte sein wie Che Guevara.
In seinem Bild verband sich der selbstlos disziplinierte Revolutionär und Kommunist mit dem Evangelisten der Nächstenliebe und Barmherzigkeit zum Jesus Christus mit Machete und Kalaschnikov. Der Gekreuzigte als "Epiphanie des Heldischen", wie Hans Egon Holthusen formulierte.
"Che lebt!" rief es in den wilden Siebzigern von jedem zweiten 2 CV oder VW "Bulli" und tatsächlich wirkt er bis heute wie ein immer wieder neu Auferstandener. Obwohl er hunderte Menschenleben auf dem Gewissen hat, darunter kaltblütig liquidierte "Verräter" aus den eigenen Reihen, umwehte ihn stets die Aura des großen Sanftmütigen und Weitsichtigen, des souveränen Steuermanns auf hoher See, der weiß, wohin die Reise geht. Seine Sorte Solidarität im blutigen revolutionären Kampf war da nicht weniger als "die Zärtlichkeit der Völker", die das Joch imperialistischer Herrschaft abwerfen wollten.
"Der rote Stern an der Jacke/ Im schwarzen Bart die Zigarre/ Jesus Christus mit der Knarre/ - so führt Dein Bild uns zur Attacke/ Uns bleibt, was gut war und klar war: Dass man bei Dir immer durchsah,/ Und Liebe, Hass, doch nie Furcht sah,/Commandante Che Guevara."
Kultfigur für alles - und nichts
So sang 1976 auch Wolf Biermann zur Gitarre, und die Gänsehaut beim heraus geschmetterten Refrain "... Commandante Che Guevara!" ist heute noch zu spüren. Vier Jahrzehnte später werben selbst Wodka-Brenner, Auto-Vermieter, Uhrenhersteller und Bierproduzenten mit Che, der wunderbarerweise "eindimensional positiv konnotiert" ist, wie der Marketingdirektor von "Europcar" froh verkündete.
Längst also ist Che Guevara, Achtung: Dialektik! eine vielseitig verwendbare, ja austauschbare "Kultfigur" geworden, die für alles steht - und letztlich auch für nichts. Auf T-Shirts und Plakaten klebt sein Konterfei; es hing in Andreas Baaders Gefängniszelle, doch es grüßte auch von Johnny Depps Brust und Gisèle Bündchens Dekolleté.
Che ist universeller Chic geworden. Selbst überzeugte Pazifisten tragen sein Antlitz auf dem Citybag, weil er "mit voller Konsequenz für seine Ideale" eingetreten sei, für eine "gerechte Welt", wie ein Sechzehnjähriger meint.
Zentralmythos
Es ist die Eigenart von Ikonen, dass sich der Kult um sie vom persönlichen und historischen Kontext löst und zum Allzwecksymbol wird: Ob Palästinenser oder linke Juden im Kibbuz, ob Antifas, Christen für den Frieden oder Autonome für den Volkskrieg, alle machen sich das transzendente Wundermittel zu eigen - vage Utopie, energetische Frischzellenkur und preiswertes politisches statement in einem.
Zum Vergleich genügt ein Blick in die Gegenwart der Popkultur und Kultfiguren: Herbert Grönemeyer, Bono, Bob Geldof, Robbie Williams, Justin Timberlake und hundert andere Popstars zusammen bringen nicht ein Gramm von dem Pfund auf die Waage, das der tote Che Guevara immer noch zu bieten hat.
Anders als die anderen großen Legenden der Weltrevolution des zwanzigsten Jahrhunderts - Marx und Engels, Lenin, Stalin und Mao Tse-tung - war Che Guevara eben kein ausgesprochener Parteiideologe gewesen, kein langjähriger Führer unübersehbarer Volksmassen, und, trotz allem, kein Massenmörder, kein Bürokrat des Völkermords, kein Schreibtischtäter.
Zu sehr umwehte ihn stets das Romantisch-Abenteuerliche, das existentialistisch Verwegene, die Sehnsucht nach dem radikalen Neuanfang, nach der Erlösung von dem Übel.
So ist der Commandante Che Guevara bis heute der Zentralmythos einer profanen, weltumspannenden Religion.