Die Mike-Pence-Fliege nach TV-Duell "Es handelte sich um ein politisches Statement"
Musca Domestica, geboren am Samstag in einem verrotteten Sandwich in Salt Lake City, Utah, hat mit ihrem Auftritt bei der TV-Debatte zwischen Kamala Harris und Mike Pence für Aufsehen gesorgt. Donald Trump soll ihr bereits einen Posten als Beraterin angeboten haben, der demokratische Herausforderer Joe Biden twitterte: "Truth over flies!"
SPIEGEL: Ha! Haben wir Sie endlich!
Fliege: Ich gratuliere. Wie ist Ihnen das gelungen?
SPIEGEL: Wir haben uns Ihnen mit hohler Hand von hinten genähert und dann in einer schnellen Bewegung, ihre Flugbahn voraussehend …
Fliege: Verstehe, verstehe. Der alte Trick. Ich verurteile Ihre journalistischen Methoden, kann das publizistische Interesse aber verstehen. Es schmeichelt mir sogar ein wenig.
SPIEGEL: Sie sind die Fliege, die bei der TV-Debatte zwischen Kamala Harris und Mike Pence auf dem Kopf des Vizepräsidenten gelandet ist und dort ganze zwei Minuten verharrt hat.
Fliege: So ist es.
Fliege
SPIEGEL: Dürfen wir Ihren Namen …
Fliege: Ich möchte gern anonym bleiben. Allzu große Aufmerksamkeit bekommt uns nicht. Ich spreche aus Erfahrung. Belassen wir es bei Musca.
SPIEGEL: Musca?
Fliege: Musca Domestica. Wer unsere Neugier und unseren Bewegungsdrang kennt, kann ermessen, welche Kraft mich dieser Auftritt gekostet hat. Es handelte sich um ein politisches Statement. Und ich will nicht, dass mein Auftritt im Nachhinein von falscher Seite instrumentalisiert wird.
SPIEGEL: Es kommt nicht häufig vor, dass sich eine Stubenfliege direkt an eine größere Leserschaft wendet.
Fliege: Wir Insekten haben zum Treiben der Menschen gewöhnlich nicht viel beizutragen. Im Gegenteil. Wir profitieren von dem Scheiß, den ihr baut, und fliegen ansonsten unserer eigenen Wege.
SPIEGEL: Ihr Auftritt wird als Einbruch der echten Welt in den politischen Zirkus interpretiert. Sie sind nicht auf Facebook, twittern nicht, sind weder Bot noch ein "Deep Fake".
Fliege: Ich bin klein und schwarz, zugegeben. Aber ich bin real, und ich bin da in meiner ganzen kreatürlichen Unberechenbarkeit. Wie das Virus, wenn man so will.
SPIEGEL: Sie übertragen Ruhr, Typhus, Cholera ...
Fliege: Aber kein Covid-19!
SPIEGEL: War dieser Auftritt geplant?
Fliege: Allerdings. Geschlüpft bin ich vor fünf Tagen in der Mülltonne hinter dem TV-Studio. Die US-Wahlen sind für mich nicht mehr wichtig. In spätestens fünf Tagen bin ich tot. Sie sind aber entscheidend für meine Kinder, meine Kindeskinder und wiederum deren Larven. Sie dürfen mir glauben, das sind eine ganze Menge.
SPIEGEL: Haben Sie die Debatte verfolgt?
Fliege: Sehr aufmerksam sogar, zunächst von einem Scheinwerfer über der Bühne aus. Grelles Licht ist für mich sehr anziehend. Und die Haare des Vizepräsidenten sind sehr weiß. Das war aber nicht der Grund für meine Entscheidung, das will ich hier unterstreichen. Ich hätte auch auf dem Kopf von Kamala Harris landen können. Am Ende war es eine bewusste Entscheidung.
SPIEGEL: Ihr Timing war in der Tat grandios.
Fliege: Ja, oder? Gerade kreiste ich noch unschlüssig über den beiden Kandidaten, als Mike Pence die Vorwürfe erwähnte, der Präsident sei voreingenommen gegen Minderheiten. Das war mein Stichwort.
SPIEGEL: Sie wollten ihn ins Lächerliche ziehen mit dem Schädelanflug?
Fliege: Wo denken Sie hin? Ich bin eine republikanische Stubenfliege! Ich wollte das Pence-Statement unterstreichen. Ich flog in ziemlich spitzem Winkel an, mit 300 Flügelschlägen und einer Geschwindigkeit von drei Metern in der Sekunde und landete weich auf dem vizepräsidialen Scheitel.
SPIEGEL: Das ist auch eine sportliche Leistung.
Fliege: Kinderspiel. Ich gebe aber gern zu, dass ich mich in den schneeweißen Dünen seines Haares auf Anhieb wohlgefühlt habe. Es duftete nach dem Fett aus Talgdrüsen, natürlich, aber auch nach Buttersäure, Vaseline und Angstschweiß. Eine unwiderstehliche Mischung, dazu das Rampenlicht, die Weltöffentlichkeit …
SPIEGEL: Haben Sie nicht erwogen, dass Sie Ihrem Kandidaten damit schaden könnten?
Fliege: Inwiefern?
SPIEGEL: Insofern er wie ein alter weißer Mann wirkte, der bereits von einem Botschafter seiner eigenen Vergänglichkeit heimgesucht wird, von einem universellen Symbol des Verfalls, der Verwesung, des Niedergangs …
Fliege: Ich muss doch sehr bitten!
SPIEGEL: So sah es aber aus.
Fliege: Als Vertreterin einer marginalisierten Spezies war es nicht meine Absicht, Mike Pence wie einen Zombie erscheinen zu lassen. Ganz im Gegenteil. Es kommt auch hier auf die Sprechposition an. Uns Fliegen interessieren weder Vernunft noch Argumente, Menschlichkeit erst recht nicht. Wir können riechen, wer im Namen des Beelzebub spricht, des Herrn der Fliegen, wer zu seiner Rechten sitzt neben dem Thron der Niedertracht.
SPIEGEL: Aber mussten es denn zwei Minuten sein? Hätte eine knappe Zwischenlandung nicht genügt?
Fliege: Ein berechtigter Einwand. Ich nehme an, menschliche Unternehmer unterstützen ihre bevorzugten Kandidaten nach bestem Wissen und Gewissen. Mit viel Geld, ohne dabei den eigenen Nutzen im Blick zu haben. Als Fliege fehlen mir hier die finanziellen Mittel, auch kann ich einen gewissen Egoismus nicht abstreiten.
SPIEGEL: Worauf wollen Sie hinaus?
Fliege: Nun, die Haare von Mike Pence sind hart wie Beton. Die ganze Welt schaute zu. Es war nicht leicht, eine Stelle und einen Moment zu finden, wo ich alle meine 300 Eier …
SPIEGEL: Musca Domestica, wir danken für dieses Gespräch.
Fliege: Schon vorbei? Wenn Sie jetzt noch so freundlich wären, Ihre Faust wieder zu öffnen.